Gräueltaten in der Ukraine OSZE sieht Beweise für gezielte Tötungen
Ermittler im Auftrag der OSZE wollen "glaubwürdige Hinweise" für Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Ukraine gefunden haben. Der Chefankläger der Internationalen Strafgerichtshofs, Khan, nannte sogar die gesamte Ukraine einen "Tatort".
Laut einem Bericht der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gibt es zahlreiche Hinweise auf schwere Menschenrechtsverletzungen der russischen Truppen seit ihrer Invasion der Ukraine.
Auch wenn eine "detaillierte Einschätzung" nicht möglich gewesen sei, hätten unabhängige OSZE-Experten bei ihrer Untersuchung im März eine Reihe "eindeutiger Fälle" festgestellt, hieß es in dem 100-seitigen Bericht, der noch vor den Leichenfunden in Butscha abgeschlossen worden war.
In dem Bericht, der sich auf Informationen verschiedener Quellen vor Ort - darunter Nichtregierungsorganisationen, Ermittlungsbehörden und Amtsträger - stützt, wird auf Angriffe auf "Krankenhäuser, Wohnhäuser, Kulturgüter, Schulen sowie auf die Wasser- und Stromversorgung" verwiesen, "mit katastrophalen Folgen für die Zivilbevölkerung.
Der Bericht spricht zudem von "glaubwürdigen Beweisen" für Folter und Misshandlungen sowie für gezielte Tötungen und Entführungen von Zivilisten.
Die Mission stellt auch "Verstöße auf ukrainischer Seite" fest, insbesondere bei der "Behandlung von Kriegsgefangenen". Die von Russland begangenen Verstöße seien jedoch "nach Art und Umfang weitaus schwerwiegender".
Internationaler Strafgerichtshof zu Butscha
Im Rahmen der Ermittlungen zu möglichen Kriegsverbrechen in der Ukraine hat auch der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Kharim Khan, Butscha besucht. Vor Reportern in dem Kiewer Vorort bezeichnete Khan die gesamte Ukraine als "Tatort": "Wir sind hier, weil wir Grund zur Annahme haben, dass Verbrechen begangen werden, die in den Zuständigkeitsbereich des Gerichts fallen", sagte er.
Kharim Khan besichtigt ein Massengrab in Butscha (Ukraine).
Es sei wichtig, "den Nebel des Krieges zu durchdringen, um auf die Wahrheit zu stoßen", sagte der Brite. Erforderlich seien "unabhängige und unvoreingenommene Untersuchungen". Deshalb sei ein Forensiker-Team des IStGH in Butscha, "damit wir wirklich sicherstellen können, dass wir die Wahrheit von Fiktion trennen".
Anfang April waren in Butscha nach dem Abzug russischer Truppen die Leichen hunderter Zivilisten entdeckt worden. Die ukrainischen Behörden sprechen von systematischen Morden, Vergewaltigungen und Folter durch das russische Militär, Moskau weist die Vorwürfe zurück.
Kreml widerspricht Biden
Der Kreml wies auch den US-Vorwurf eines Völkermordes in der Ukraine entschieden zurück. "Wir sind kategorisch anderer Meinung und halten jeden Versuch, die Situation auf diese Weise zu verzerren, für inakzeptabel", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Die Aussage sei nicht akzeptabel, zumal sie von dem Präsidenten eines Landes komme, "dessen Machenschaften in der jüngeren Geschichte wohlbekannt sind", fügte er hinzu.
Zuvor hatte US-Präsident Joe Biden erstmals von "Völkermord" in Bezug auf die Gräueltaten gesprochen. "Ich habe es Völkermord genannt, denn es wird klarer und klarer, dass Putin einfach versucht, die Idee, überhaupt Ukrainer sein zu können, einfach auszuradieren", sagte er. Letztlich sei es aber Sache der Gerichte, zu beurteilen, ob das russische Vorgehen in der Ukraine als Völkermord einzustufen sei.
EU stockt Militärhilfe für Ukraine auf
Der Rat der Europäischen Union hat die Aufstockung der gemeinsamen Militärhilfe um 500 Millionen Euro auf 1,5 Milliarden Euro beschlossen. Zuvor hatten sich die EU-Außenminister bei einem Treffen in Luxemburg auf diesen Schritt verständigt.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte, die nächsten Wochen würden entscheidend. Da Russland eine Offensive im Osten des Landes vorbereite, müsse die EU ihre militärische Unterstützung erhöhen, damit die Ukraine "ihr Territorium und die Bevölkerung schützen und weiteres Leiden verhindern" könne.
Russland kündigte an, US- oder NATO-Fahrzeuge, die Waffen auf ukrainischem Territorium transportieren, als legitime Angriffsziele anzusehen. Das sagt der stellvertretende Außenminister Sergej Rjabkow der russischen Nachrichtenagentur Tass.
Die Kampfhandlungen in der Ukraine gehen unterdessen mit unverminderter Härte weiter. Die ukrainischen Truppen meldeten zuletzt den Abschuss eines russischen Erdkampfflugzeugs vom Typ Su-25. Der ukrainische Generalstab teilte per Facebook mit, zivile Objekte in den Gebieten Charkiw und Saporischschja seien mit Raketen angegriffen worden. Auch der Artilleriebeschuss der ostukrainischen Metropole Charkiw werde fortgesetzt.
Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.
Ebenso werden nach Angaben des Generalstabs in der belagerten südostukrainischen Hafenstadt Mariupol weiter ukrainische Positionen bombardiert. Diese Angaben sind nicht unabhängig überprüfbar.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wirft Russland den Einsatz von Phosphorbomben vor. Das sei Terror gegen die Zivilbevölkerung, sagte er in einer Video-Ansprache vor dem estnischen Parlament. Er warnte davor, dass Russland weitere Länder in Europa mit Krieg überziehen könnte.
Russlands Verteidigungsministeriums verbreitete inzwischen eine Meldung, dass mehr als 1000 ukrainische Soldaten und Soldatinnen ihre Waffen niedergelegt und sich in Gefangenschaft begeben hätten.
Es soll sich um 1026 Angehörige der 36. Brigade der Marineinfanterie handeln, gab der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, an. Auch diese Angaben sind nicht unabhängig überprüfbar.