Vor Ablauf der Vereinbarung Wer vom Getreideabkommen profitiert
Heute läuft das Getreideabkommen ab. Trotz des russischen Angriffskriegs kann Kiew Getreide und landwirtschaftliche Produkte über das Schwarze Meer exportieren. Die Ukraine möchte das Getreideabkommen verlängern.
Oleksiy Nowochatko steht auf dem größten seiner Felder, bückt sich und zieht eine erdige Rapspflanze aus dem nassen Ackerboden. Bis tief in die Nacht hat er die Ernte eingebracht, doch dann brach ein Gewitter aus. "Die letzten fünf Hektar haben wir nicht mehr geschafft", sagt er bedauernd.
Der 41-Jährige bewirtschaftet 100 Hektar Land bei Tripilija rund 60 Kilometer westlich von Kiew. Außer Raps baut er Weizen und Sojabohnen an - und er setzt auf Nischenkulturen, in diesem Jahr Senf.
Nowochatko gehört der Astra-Hof, ein kleiner Familienbetrieb in zweiter Generation, auf dem er schon als Zehnjähriger mitgeholfen hat. Er besitzt keine Silos oder Lagerhallen, sondern mietet, was er braucht.
Die Ukraine möchte das Getreideabkommen unbedingt zum vierten Mal verlängern und Landwirt Nowochatko hat dazu eine eher selten zu hörende Meinung: Er will keine Verlängerung, da er jede Art von Abkommen mit dem Terrorstaat Russland ablehnt. "Natürlich sollen Schiffe unser Getreide ins Ausland transportieren, aber begleitet von ukrainischem Militär, das die russischen Truppen vernichtet, damit sie die Getreidekorridore nicht behindern", sagt er.
Landwirt Oleksiy Nowochatko verkauft seinen Raps über Händler und Weizen an Mühlen in der Ukraine.
Starker Preisverfall für Landwirte
Er mache Verluste und komme kaum über die Runden, fährt Nowochatko verärgert fort. Vor zwei Jahren habe die Tonne Raps umgerechnet rund 600 US-Dollar gebracht, jetzt sei es nur noch etwas mehr als die Hälfte. Vom Getreideabkommen würden nicht Landwirte wie er profitieren, sondern ukrainische Agrarunternehmen, Händler oder Russland. Dabei komme das Produkt, an dem so viele verdienen würden, von den Feldern der Bauern.
"Wenn uns das Betriebskapital ausgeht und viele hohe Kredite aufnehmen müssen, verdient niemand mehr", sagt er. "Weder Spediteure, noch Händler, noch der Staat. Die Einkommen fallen dann einfach weg und ein Getreideabkommen ändert nichts daran. Denn was nützt dies, wenn es keine guten Preise gibt?"
Nahrungssicherheit und stabile Preise
In der Ukraine seien die Preise für Agrarprodukte teilweise um bis zu 40 Prozent gefallen, sagt Denys Martschuk. Im Gegensatz zu Landwirt Nowochatko setzt der Vizechef des ukrainischen Bauernverbands stark auf das Getreideabkommen. Russland verzögere ständig die Umsetzung und blockiere die Schiffe. Dabei sei das Abkommen wichtig für die weltweite Versorgung mit Lebensmitteln und stabile Weltmarktpreise, betonte Martschuk bei einem Pressegespräch in Kiew.
"Ich möchte daran erinnern, dass, seitdem wieder aus der Ukraine exportiert wird, die Weltmarktpreise um etwa 24 Prozent gesunken sind", so Martschuk. "Dies wurde möglich dank des ukrainischen Getreides. Wenn ukrainische Agrarprodukte nicht rechtzeitig auf die internationalen Märkte geliefert werden, müssen wir damit rechnen, dass auch die Lebensmittelpreise steigen."
Russland bleibe als aggressiver Angreifer ein unzuverlässiger Abkommenspartner, sagt Martschuk. Die Donauhäfen müssten für den Export weiter ausgebaut werden, so der Agrarfunktionär.
Mehr als 30 Millionen Tonnen exportiert
Vor dem formalen Ende des Getreideabkommens verließ am Sonntag das letzte Schiff den Hafen von Odessa. Beladen mit rund 15.000 Tonnen Raps und mehr als 20.000 Tonnen Mais für die Niederlande verschwand es am Horizont in Richtung Bosporus.
Seit die Export-Einigung im Juli 2022 unter Vermittlung der Vereinten Nationen und der Türkei zustande kam, wurden nach UN-Angaben mehr als 32 Millionen Tonnen Getreide, Sonnenblumenöl und weitere landwirtschaftliche Produkte im Wert von circa neun Milliarden US-Dollar über drei ukrainische Schwarzmeerhäfen verschifft, vor allem nach China, Spanien und in die Türkei. Ziele gibt es aber auch in afrikanischen Ländern.
Vor dem Ende des Abkommens sprach der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi mit seinem südafrikanischen Amtskollegen Cyril Ramaphosa. Beide fänden es wichtig, dass die Initiative weitergehe, sagte Selenskyj anschließend. Die Nahrungsmittelsicherheit dürfe nirgends auf der Welt gefährdet werden. "Russland muss verstehen, dass jeder, der die Gefahr von Hunger verstärkt - vor allem in besonders kritischen Regionen Afrikas - die ganze Welt terrorisiert", so Selenskyj.
Einfuhrverbote in EU-Länder
Was ihren Agrarexport angeht, hat die Ukraine ein weiteres Problem: die vorübergehenden Einfuhrverbote für ukrainisches Getreide und landwirtschaftliche Produkte. Diese waren von Polen, Ungarn, der Slowakei, Bulgarien und Rumänien als Reaktion auf empörte Proteste ihrer Landwirte verhängt worden.
Hintergrund ist eine Entscheidung der EU-Kommission, als Zeichen der Solidarität und zur Stärkung der ukrainischen Wirtschaft Zölle und Einfuhrquoten für ukrainische Agrarprodukte abzuschaffen.
Nach Einschätzung ukrainischer Experten treffen die vorübergehenden Einfuhrverbote vor allem mittlere und kleiner Landwirte, die ihre Erzeugnisse etwa ins Nachbarland Polen verkaufen und sich Exporte über das Schwarze Meer oder die Donauhäfen nicht leisten könnten.
"Ukraine wird ein Land von Invaliden sein"
Landwirt Nowochatko verkauft seinen Weizen in der Ukraine an Mühlen und den Raps an Händler, die ihn dann exportieren. Er fordert weniger Bürokratie, mehr finanzielle Unterstützung, etwa für Lagerhallen, und eine Politik im Interesse kleiner Höfe und nicht großer Agrarkonzerne und Händler.
Nach dem Beginn der russischen Großinvasion meldete er sich zur Territorialverteidigung in der Gegend. Seine Kommandeure hätten ihm frei gegeben, um seine Felder nebenher zu bestellen, doch er habe große Verluste gemacht. Auch andere Landwirte hätten sich zur Armee gemeldet und würden damit ihre Existenz als Landwirte riskieren, so Nowochatko.
Er selbst habe nicht im Krieg gekämpft, aber andere Landwirte hätten drei Rotationen gehabt. Unter anderem in Bachmut, Lyssitschansk und Siwerskyj Donez. Heftig umkämpfte Städte, die inzwischen russisch besetzt sind. Viele seien getötet worden, andere seien vermisst oder verwundet worden. "Es wird nicht darüber gesprochen, aber die Ukraine wird nach dem Krieg ein Land von Invaliden sein", sagt Nowochatko.