Besetztes ukrainisches AKW IAEA-Delegation erreicht Saporischschja
Eine Delegation der Internationalen Atomenergieagentur IAEA hat die Stadt Saporischschja erreicht. Laut IAEA-Chef Rossi soll die Arbeit im Atomkraftwerk morgen beginnen. Das Gelände wurde auch heute wieder beschossen.
Auf dem Weg zum ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja ist ein Expertenteam der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) in der gleichnamigen Stadt in der Südukraine eingetroffen. Die Nachrichtenagentur AFP berichtete von einem Konvoi aus rund 20 Fahrzeugen, darunter auch ein Rettungswagen, die in Saporischschja ankamen.
Wieder Beschuss auf Gebiet um Atomkraftwerk
Die IAEA-Delegation hatte zuvor den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in der Hauptstadt Kiew getroffen. Nach dem Aufbruch des IAEA-Teams von dort aus war die Stadt Enerhodar, der Standort des Atomkraftwerks, beschossen worden. Die Ukraine und Russland beschuldigten sich erneut gegenseitig, dafür verantwortlich zu sein.
Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, spricht mit Rafael Gross (2.v.r.), Generaldirektor der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA).
Die Stadt am Dnipro werde von den Russen mit Granaten angegriffen, erklärte der Chef der Militärverwaltung des am gegenüberliegenden Flussufer liegenden Bezirks Nikopol, Ewhen Jewtuschenko, bei Telegram. Er sprach von einer "gefährlichen" Situation.
Der aus der Stadt geflohene Bürgermeister Dmytro Orlow verbreitete ebenfalls auf Telegram Bilder des Rathauses von Enerhodar mit beschädigter Fassade. Das Gebäude ist nur einige Kilometer von dem Atomkraftwerk entfernt.
Das russische Verteidigungsministerium warf seinerseits der ukrainischen Armee "Provokationen" vor, die darauf abzielten, "die Arbeit der IAEA-Mission zu stören". Ukrainischer Artillerie-Beschuss habe einen Tag zuvor "ein Gebäude zur Wiederaufbereitung radioaktiver Abfälle" auf dem Kraftwerksgelände "getroffen".
Morgen soll Arbeit beginnen
Laut der russischen Nachrichtenagentur Tass soll das IAEA-Team am Donnerstag in dem Kraftwerk eintreffen. Nach Angaben von IAEA-Chef Rafael Grossi erhielt das Team Sicherheitsgarantien von beiden Seiten. "Wir bereiten uns auf die eigentliche Arbeit vor, die morgen beginnt", sagte er. Laut Grossi will die IAEA eine "dauerhafte Präsenz" in dem AKW einrichten.
Die Stadt Saporischschja ist eigentlich nur zwei Autostunden von der Anlage entfernt, auf dem Weg muss der IAEA-Konvoi aber von Russland besetzte Gebiete durchqueren. Das ukrainische Außenministerium forderte Russland auf, den Beschuss der vorgesehenen Reiseroute der IAEA-Delegation einzustellen. "Die russischen Besatzungstruppen müssen aufhören, die Korridore zu beschießen, die von der IAEA-Mission genutzt werden sollen, und dürfen ihre Aktivitäten in der Anlage nicht behindern", schrieb der Ministeriumssprecher Oleh Nikolenko auf Facebook.
Warnung vor nuklearer Katastrophe
Das AKW Saporischschja ist mit seinen sechs Reaktoren und einer Nettoleistung von 5700 Megawatt das größte Atomkraftwerk Europas. Vor dem Krieg arbeiteten dort mehr als 10.000 Menschen. Seit Anfang März wird es von russischen Truppen kontrolliert.
Der Beschuss des AKW-Geländes in den vergangenen Wochen nährte die Furcht, dass es in Saporischschja zu einer ähnlichen Atomkatastrophe kommen könnte wie 1986 im ukrainischen, damals zur Sowjetunion gehörenden Tschernobyl.
IAEA-Chef Grossi hatte über Monate Zugang für seine Kontrolleure zum Atomkraftwerk Saporischschja gefordert - und Anfang August vor der "sehr realen Gefahr einer nuklearen Katastrophe" gewarnt.
Nun sagte Grossi in Saporischschja, Ziel der Mission sei es, "einen Atomunfall zu verhindern". Das Team sei nach sechsmonatigen Bemühungen "endlich in Bewegung".
Greenpeace dämpft Erwartungen
Die Umweltorganisation Greenpeace warnte vor zu hohen Erwartungen an das IAEA-Team. Die Zeit für eine gründliche Untersuchung sei viel zu kurz, sagte der Greenpeace-Experte Heinz Smital. Zudem habe Russland etwa über den Energieriesen Rosatom großen Einfluss auf die IAEA. "Dies könnte dazu führen, dass die Delegation weniger Kritik übt, als es angemessen wäre. Ihre Ergebnisse werden daher kritisch zu hinterfragen sein", sagte der Atomphysiker Smital.