Krieg gegen die Ukraine Beschlagnahmtes Russland-Vermögen für den Wiederaufbau?
Die meisten EU-Staaten wollen Russland am Wiederaufbau der Ukraine beteiligen. Aber das Geld aus beschlagnahmten russischen Vermögen lässt sich nicht einfach verwenden. Brüssel arbeitet an einer Lösung.
Die Ansage Richtung Moskau kam schon öfter seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine, aber noch nie war sie so klar: EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat in der vergangenen Woche bei einer Konferenz in London angekündigt, Hilfe für die Ukraine auch durch Erlöse finanzieren zu wollen, die aus eingefrorenem russischem Vermögen stammen.
Dafür will Brüssel noch vor der Sommerpause einen Vorschlag vorlegen. "Der Täter muss zur Rechenschaft gezogen werden", betonte die Kommissionspräsidentin in London.
Gewinne aus russischem Vermögen besteuern?
So sieht man das auch in vielen europäischen Staaten. Trotzdem kam von der Leyens Vorstoß überraschend. Die EU hat Schätzungen zufolge etwa 300 Milliarden Euro russische Zentralbankreserven festgesetzt, rund zwei Drittel dieses Vermögens befinden sich innerhalb der EU. Das Geld gehört dabei immer noch Moskau, der Kreml kann nur nicht frei darüber verfügen und es etwa weiter zur Finanzierung des Angriffskrieges einsetzen.
Die EU kann dieses Vermögen nicht einfach beschlagnahmen und an die Ukraine weiterleiten. Das wäre ein Novum und ein Bruch internationalen Rechts mit unabsehbaren Folgen für das Vertrauen in den Finanzmarkt. Stattdessen liegt das Geld zur Zeit bei sogenannten Zentralverwahrern - Unternehmen, die wie riesige Tresore Wertpapiere und anderes Vermögen im Auftrag von Banken verwalten. Die EU könnte das Vermögen zwar investieren und die Gewinne einstreichen. Damit würde sie aber auch für mögliche Verluste haften.
Seit Februar brütet eine Arbeitsgruppe der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft über Alternativen. Ihr Vorschlag: eine Steuer auf Gewinne, die die Verwahrstellen derzeit durch das Verzinsen des auf Eis gelegten Vermögens erzielen. Namentlich sind das die Zentralverwahrer Euroclear in Belgien oder Clearstream in Luxemburg.
Euroclear hat im ersten Quartal 734 Millionen Euro solcher Zinsgewinne gemeldet. Anders Ahnlid, der die Arbeitsgruppe leitet, ist nach eigenen Worten zuversichtlich: "Ich glaube, dass es unter den Mitgliedstaaten genügend Interesse gibt, weiter daran zu arbeiten, um Zufallsgewinne aus diesem mehr als 200-Milliarden-Euro-Vermögen der russischen Zentralbank in der EU für den Wiederaufbau der Ukraine zu verwenden."
"Keine unvernünftige Idee"
Der Wirtschaftswissenschaftler Nicolas Vergon von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel mahnt zu besonderer Vorsicht: Nach seinen Worten geht es dabei um eine komplexe Mischung strategischer, politischer und rechtlicher Erwägungen. Trotzdem hält er Überlegungen für legitim, die riesigen Geldmengen unter EU-Kontrolle zum Wohle der Ukraine zu nutzen.
Dabei könnte die Besteuerung von Übergewinnen der Vermögensverwahrer eine Lösung sein: "Das ist keine unvernünftige Idee. Sie wirft zwar auch Probleme auf, zum Beispiel, dass diese Besteuerung mit Euroclear nur auf einen Marktteilnehmer abzielt. Aber das könnte ein Weg sein, um dieser Herausforderung zu begegnen." Grundsätzlich fordern fast alle EU-Regierungen, den Aggressor am Wiederaufbau der Ukraine zu beteiligen. Besonders nachdrücklich tun das osteuropäische und die baltischen Staaten. Aber wenn es konkret wird, sehen viele rechtliche und politische Hürden.
Große Bedenken, kleiner Ertrag
Gerade große Mitgliedsstaaten melden Bedenken an, darunter Deutschland. Die Europäische Zentralbank warnt laut Medienberichten davor, dass sich internationale Anlegerinnen und Anleger aus Europa zurückziehen könnten, wenn die EU auf Zufallsgewinne der Verwahrer von russischem Vermögen zugreift.
Die möglichen Erträge eines solchen Schrittes wären nach Darstellung von Arbeitsgruppenleiter Ahlid überschaubar: "Konservativ gemessen schätze ich drei Milliarden Euro pro Jahr zu Beginn und diese Zahl könnte steigen, wenn mehr Vermögenswerte fällig werden. Das mag sich nach einer ziemlich kleinen Summe anhören, aber für den Wiederaufbau der Ukraine wird es doch ziemlich bedeutend sein."
Drei Milliarden Euro - das ist weniger als ein Prozent dessen, was die Weltbank für den Wiederaufbau des zerstörten Landes veranschlagt. Sie rechnet mit Kosten von mindestens 380 Milliarden Euro.
Geringer Ertrag bei großen politischen und rechtlichen Risiken - es ist gut möglich, dass den markigen Worten keine Taten folgen. Ende der Woche diskutiert der EU-Gipfel darüber. Die schwedische Arbeitsgruppe gibt den Stab jedenfalls an die Spanier weiter, die ab Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen.