Vertrauensfrage im Bundestag Wie die EU auf das Ampel-Aus blickt
In Brüssel weint niemand der Ampel eine Träne nach. Die übrigen Mitgliedsstaaten und die EU-Institutionen setzen darauf, dass in Berlin schnell wieder stabile Verhältnisse herrschen.
Angela Merkel absolvierte ihren letzten EU-Gipfel als Bundeskanzlerin vor gut drei Jahren gewohnt nüchtern und ohne große Abschiedsworte. Die fanden dafür die restlichen 26 Staats- und Regierungschefs am Gipfeltisch, indem sie Merkel wahlweise als Monument, Kompass, Lichtgestalt oder Kompromissmaschine würdigten.
Merkels Nachfolger hatte weit weniger Zeit, sich in Europa zu profilieren. Nicht nur deshalb dürfte der Blick der übrigen EU-Mitgliedsstaaten auf die Leistungen von Olaf Scholz und die von ihm geführte Ampelkoalition kritischer ausfallen.
Der Rest Europas erwartet, dass der Regierungschef des bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten Mitgliedsstaates eine führende Rolle einnimmt. Bei Scholz hat man das einmal erlebt, beim EU-Gipfel vor einem Jahr, als der Bundeskanzler den ungarischen Regierungschef Viktor Orban zum Kaffeetrinken aus dem Saal schickte, um ein Veto gegen Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine zu vermeiden.
Distanz zu den Partnern
Aber europapolitische Anstöße hat Scholz nicht gegeben. Seine Prager Grundsatzrede vom Sommer 2022 verhallte ohne großes Echo. Während seiner Regierungszeit hat sich auch das für Europa so wichtige deutsch-französische Verhältnis abgekühlt - weil die Chemie zwischen dem Bundeskanzler und Präsident Emmanuel Macron nicht stimmte und weil die Regierungen beider Länder in Energie-, Finanz- und Verteidigungsfragen unterschiedlich tickten.
Das Trennende stand im Vordergrund - egal, ob es um die Rolle der Atomkraft, Ausgleichszölle für E-Autos aus China oder das Mercosur-Abkommen ging. Auch das Verhältnis zu Polen blieb distanziert.
Scholz' Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin Mitte November kam in Warschau nicht gut an. Osteuropäische EU-Partner kritisierten außerdem die aus ihrer Sicht zögerliche Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine und das Nein des Kanzlers zu Taurus-Marschflugkörpern für Kiew.
Ärger über Alleingang
Dabei leistet Deutschland nach den USA mit Abstand am meisten finanzielle und militärische Hilfe für die Ukraine. Aber die Erwartung an die Bundesregierung, zu koordinieren, in Europa zu vermitteln und dabei kleinere Länder mitzunehmen, wurde enttäuscht.
Stattdessen verärgerte Berlin die EU-Partner im Herbst vor zwei Jahren durch einen Alleingang, der manche in ihrem Vorurteil von der vermeintlichen deutschen Arroganz zu bestätigen schien.
Scholz stellte ohne Absprache einen Abwehrschirm gegen die Folgen der Energiepreiskrise im Umfang von bis zu 200 Milliarden Euro in Aussicht. Daran störte die Kritiker in einigen Mitgliedsstaaten, dass Deutschland sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen wollte, indem es Haushalte und Firmen in einer Größenordnung unterstützt, die sich andere Länder nicht leisten können.
Ampel-Streit landete in Brüssel
Die Ampel war auch in Europa oft mit sich selbst beschäftigt. In Brüssel nahm man verwundert zur Kenntnis, dass die Ampel-Parteien gegen ihre eigenen im Koalitionsvertrag niedergelegten Maximen verstießen, geschlossen aufzutreten und sich "...durch eine stringentere Koordinierung eindeutig und frühzeitig zu Vorhaben der Europäischen Kommission zu positionieren".
Die Ampel wollte ausdrücklich die berüchtigten "german votes" vermeiden, also Enthaltungen in Brüssel, weil sich die Koalitionspartner in Berlin nicht einigen konnten. Tatsächlich aber bremste die Bundesregierung in letzter Minute beim Lieferkettengesetz, obwohl es mit dem EU-Parlament und dem Rat der Mitgliedsstaaten längst eine Einigung gab.
Auch bei den Abstimmungen über das faktische Verbot des Verbrennungsmotors, die Schadstoffnorm Euro 7, die Verordnung gegen Zwangsarbeit und das Gesetz zur Künstlichen Intelligenz schlug der Koalitionsstreit zwischen Grünen und FDP auf die gesamte EU durch und beeinträchtigte so Deutschlands Handlungsfähigkeit und schadete seinem Ansehen.
Dass die für die europapolitische Koordinierung wichtigsten Stellen der Bundesregierung - Kanzleramt und Auswärtiges Amt - von unterschiedlichen Parteien besetzt werden, nämlich von SPD und Grünen, machte die Sache nicht einfacher.
Hoffnung auf schnelle Klarheit
In Frankreich ist kein Ende der Regierungskrise in Sicht. Umso größer ist die Hoffnung der anderen Mitgliedsstaaten und der EU-Institutionen, dass zumindest Deutschland nach der geplanten Neuwahl Ende Februar schnell wieder politisch handlungsfähig wird und eine neue Bundesregierung das derzeitige Führungsvakuum in Europa beendet.
Denn es ist unter anderem die wichtige Frage zu klären, wer sich im Namen Europas mit Donald Trump auseinandersetzt, der Ende Januar sein Amt als US-Präsident antritt. Es geht um die Zukunft der Ukraine-Hilfe und Europas Haltung zur Krise im Nahen Osten.
Im zweiten Halbjahr 2025 beginnen außerdem die Verhandlungen über den mehrjährigen EU-Finanzrahmen. Dabei hat Deutschland als größter Nettozahler in der EU ein gewichtiges Wort mitzureden.