Macron in Deutschland Auf der Suche nach gemeinsamen Antworten
Zum ersten Mal seit 24 Jahren ist ein französischer Präsident zum Staatsbesuch nach Deutschland gereist. Bei den großen politischen Zielen sind sich Macron und Kanzler Scholz einig - nicht aber über den Weg.
Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Dieses urdeutsche Motto wirft man beim Besuch des französischen Präsidenten in Deutschland getrost über den Haufen. Denn: Erst wird gefeiert - in Berlin, Dresden und Münster - dann wird gearbeitet, und zwar beim Deutsch-Französischen Ministerrat in Meseberg.
Die Arbeit ist selbstredend der weniger amüsante Teil. Erst mal geht es feierlich um die Botschaft, dass die deutsch-französische Beziehung wichtiger sei denn je, erklärt der Politikwissenschaftler Eric-André Martin vom Französischen Institut für internationale Beziehungen (IFRI).
"Sie ist wichtig, um in Europa die Energien zu bündeln", sagt er. Außerdem erwarteten die europäischen Partner ein Signal der Übereinstimmung zwischen Paris und Berlin.
Paris setzt auf Kapitalmarktunion
Übereinstimmung herrscht bei den großen Linien. Europa muss unabhängiger und souveräner werden. Dieses Ziel teilen beide, Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Bloß der Weg birgt Konflikte. Grob gesagt geht es um zwei große Felder.
Ein Streitpunkt ist die Wirtschaft. Zwar haben die Regierungen in Paris und Berlin gerade eine gemeinsame Initiative für mehr Wachstum angestoßen. Sie wollen etwa das Projekt einer europäischen Kapitalmarktunion vorantreiben, damit die hiesigen Unternehmen leichter an Kredite kommen.
Doch sobald es um den internationalen Wettbewerb geht, ist die Lesart Macrons eine ganz andere als die von Scholz.
Frankreich will protegieren, Deutschland exportieren
In seiner zweiten großen Europa-Rede an der Pariser Universität Sorbonne forderte der französische Präsident Ende April einen Paradigmenwechsel: "Offener Markt ja, aber wir müssen unsere Interessen verteidigen. Wir können nicht die einzigen sein, die sich an die alten Handelsregeln halten."
Wenn China und die USA sich nicht mehr daran hielten und ihre strategischen Wirtschaftssektoren übersubventionierten, dann könnte Europa nicht weitermachen wie bisher. "Das wird nicht funktionieren", so Macron.
Das klingt nach Protektionismus und ist auch so gemeint. Ein No-Go für die auf Export ausgerichtete deutsche Wirtschaft, die stark mit China kooperiert und einen Wettlauf der Schutzzölle nicht gebrauchen könnte.
Der französische Präsident Emmanuel Macron war wiederholt zu Besuch in Deutschland. Nun ist er zum ersten Mal zu einem offiziellen Staatsbesuch nach Deutschland gereist. Anders als bei offiziellen Besuchen, Arbeits- oder Terminbesuchen gelten für Staatsbesuche eigene Protokolle. So gibt es bei einem Staatsbesuch in der Regel einen Empfang mit militärischen Ehren und ein Staatsbankett. Zuletzt wurde ein französischer Präsident vor 24 Jahren im Rahmen eines Staatsbesuchs in Deutschland empfangen.
Neues Wirtschafts- und Wachstumsmodell?
Für Politikwissenschaftler Martin stellt sich die entscheidende Frage: "Werden Deutschland und Frankreich in der Frage europäischer Zölle eine gemeinsame Antwort finden?" Dem französischen Magazin L’Express hat Macron jüngst gesagt, er werde versuchen, die Deutschen von einem neuen Wirtschafts- und Wachstumsmodell zu überzeugen.
Die EU brauche ein umfangreiches Budget für Investitionen etwa in Klimaschutz, Künstliche Intelligenz aber auch in Verteidigung.
Bodentruppen-Ansage sorgte für Distanz
Die Verteidigung ist der zweite Knackpunkt zwischen Deutschland und Frankreich. "Man sollte nichts ausschließen." Dieser kurze Satz von Macron hatte in Berlin Ende Februar erst Wallungen ausgelöst und dann harsche Abwehr hervorgerufen. Es ging um Bodentruppen für die Ukraine. Martin vom IFRI spricht von einer Irritation, die Distanz zwischen die beiden engen Partner gebracht habe.
Hinzu komme das unterschiedliche Vorgehen bei der Bewaffnung der Ukraine. Während die Regierung in Paris seine "SCALP"-Mittelstreckenraketen Kiew schon längst bereitstellt, lehnt es die Bundesregierung ab, "Taurus"-Marschflugkörper zu liefern. In Berlin wird im Gegenzug gerne die Frage geäußert, ob Frankreich nicht im Vergleich mit Deutschland viel zu wenig für die Ukraine tue.
Zwar hätten Deutschland und Frankreich endlich Fortschritte mit dem gemeinsamen Panzerprojekt MGCS gemacht, aber das verdecke ein bisschen die unterschiedliche Herangehensweise, die unterschiedlichen Persönlichkeiten von Scholz und Macron, sagt Martin. Das ist ein entscheidender Punkt in den deutsch-französischen Beziehungen.
Eine Geschichte wie Ebbe und Flut
Scholz und Macron, das ist eine Geschichte von stetem Hin und Her, wie Ebbe und Flut. Hier der dynamische, hyperaktive Franzose, Spitzname "Jupiter" oder auch "L’Elu", der Auserwählte, wie ihn seine geliebte Großmutter nannte. Dort der stoische, unterkühlte Hanseat, Spitzname "Scholzomat".
Unterschiedlicher können Temperamente nicht sein. Der eine hüpft wie ein Gummiball von Termin zu Termin, von Vision zu Vision, hält stundenlang geschliffene Reden. Der andere brütet lieber lange und intensiv, hält Visionen für schädlich und kommuniziert nach Außen ausgesprochen ungern. Überzeugt von sich selbst sind sie allerdings beide sehr.
Frankreichs Präsident liebt Pathos
Im Kanzleramt in Berlin rollt man gelegentlich die Augen über den Weltverbesserungsdrang des französischen Präsidenten. Auch seine bisweilen arg morbiden Ausführungen werden im nüchternen Berlin als im Kern zwar richtig, in der Sprache aber als alarmistisch erachtet.
So bezeichnete der Franzose 2019 die NATO-Allianz als "hirntot". Ähnliche Töne schlug der Präsident im April bei seiner Sorbonne-Rede an. Er sagte damals: "Wir müssen uns heute darüber im Klaren sein, dass unser Europa sterblich ist. Es kann sterben."
Macron bedient sich oft und gerne bei französischen Dichtern; in der Sorbonne-Rede war es Paul Valéry. Scholz liest zwar auch gerne und viel, aber käme kaum auf die Idee, in seinen Reden deutsche Dichter zu zitieren. Pathos ist dem Bundeskanzler so fremd, wie er dem französischen Präsidenten lieb ist.
Auch Merkel fremdelte lange mit Macron
Zur Erinnerung: Auch Scholz‘ Amtsvorgängerin Merkel und Macron fremdelten zu Beginn stark. Am Ende stand "Mercron": ein Duo, das trotz fundamentaler Unterschiede in Wirtschaftsfragen und auch Temperamenten, zusammengefunden hatte. Oder wie Merkel es gegen Ende ihrer Amtszeit trocken formulierte: "Wir haben uns zusammengerauft."
Dass es in naher Zukunft zu einem Duo "Schocron" kommen könnte, also einem Scholz und Macron, die sich zusammengerauft haben, ist jedoch nicht ausgemacht.
Scholz lobt Macron in Gastbeitrag
Der politische Wille dazu scheint immerhin vorhanden. Der Bundeskanzler hat schnell auf Macrons zweite große Europarede im April reagiert. Auf der Plattform X bedankte er sich für die guten Impulse. Gerade hat Scholz im britischen Magazin The Economist einen Gastbeitrag veröffentlicht. Darin lobt er ausdrücklich Macrons Vorschlag, die gemeinsame europäische Verteidigung zu stärken.
Er begrüßt, dass Macron die französische Abschreckung durch Nuklearwaffen auch in den Dienst Europas stellen will. Das wird beim französischen Präsidenten gut angekommen sein. Noch lieber wäre es Macron sicher gewesen, der Kanzler hätte diese Zeilen in einer französischen Zeitung veröffentlicht.