Emmanuel Macron
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Macrons Europa-Rede Völlig unscholzig, aber die gleiche Richtung

Stand: 25.04.2024 18:38 Uhr

In seiner zweiten Europa-Rede vor der Sorbonne fand Frankreichs Präsident Macron scharfe Wort für die aktuelle Lage. So würde Bundeskanzler Scholz niemals reden, oder? Dabei liegen die beiden gar nicht so weit auseinander.

Ein Kommentar von Julia Borutta, ARD Paris

Diese Rede war ein typischer Macron: kämpferisch, voller Pathos. Insofern also einmal mehr das Gegenstück zu Scholz. Aber das macht vielleicht gar nichts. Denn in der Sache liegen die beiden nicht so weit auseinander, wie es scheint.

Nehmen wir die explosivste Aussage von Macrons fast zweistündiger Rede: "L’Europe peut mourir." Europa kann sterben, hat der französische Präsident gesagt und hinzugefügt: "Europa kann an uns sterben". Ein krasser Satz. Völlig unscholzig. Aber wenn man genau hinschaut, sagt der Kanzler das Gleiche, nur anders: In seiner großen Europa-Rede im vergangenen Mai im Straßburger EU-Parlament erklärte Scholz: "Europas Zukunft liegt in unserer Hand". Andere Worte, gleiche Idee.

Macron auf gleicher Distanz zu China und den USA

Zweites Beispiel: Der französische Präsident will "strategische Autonomie", kritisiert die USA ebenso wie China. Beide Großmächte scherten sich einen feuchten Kehricht um Regeln und subventionierten ihre heimische Wirtschaft ebenso hemmungs- wie rücksichtslos, hat er in seiner aktuellen Sorbonne-Rede gewettert. Solch eine harsche, offene Kritik gegenüber den USA käme Scholz nie über die Lippen.

Der Kanzler sieht die USA immer noch als wichtigsten Verbündeten. Und Macrons zur Schau gestellte Äquidistanz zum transatlantischen Partner wie zum chinesischen Rivalen würde Scholz niemals einnehmen. Aber auch Scholz sieht, dass sich die Europäische Union strategisch neu aufstellen muss und wünscht sich eine "geopolitische EU" in einer multipolaren Welt.

Die gemeinsame Richtung scheint zu stimmen

Drittes Beispiel: Macron fordert "europäische Präferenz" - in allen Belangen. Ob bei Investitionen in Start-ups, beim Kauf von Rüstungsgütern, bei der Anwendung von Regeln oder der Entwicklung neuer Technologien. "Europäische Präferenz", das würde Scholz so nicht sagen. Klingt zu sehr nach "America first".

Aber schon in seiner Europa-Rede vergangenes Jahr hat Scholz bekundet, dass die Europäer mehr investieren müssen: in Sicherheit und Verteidigung, in technologische Souveränität, in die Beschaffung von seltenen Rohstoffen. Nicht um den USA die Stirn bieten zu können, wie Macron angriffslustig verkündet. Sondern um, wie Scholz es formuliert, "unseren transatlantischen Freunden bessere Verbündete" zu sein. 

Festzuhalten ist also: Wieder einmal gehen Deutsche und Franzosen die Sache anders an, klingen anders, aber das macht, wie gesagt, nichts. Denn die Richtung scheint zu stimmen. Und wenn beide auf ihre Weise wirken, kommt die EU am Ende doch voran.

Julia Borutta, ARD Paris, tagesschau, 25.04.2024 18:22 Uhr
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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 25. April 2024 um 17:00 Uhr.