Deutschland und Frankreich Von "Scholcron" weit entfernt
Das deutsch-französische Verhältnis ist angespannt wie lange nicht - nicht nur wegen Unstimmigkeiten bei einem EU-Gaspreisdeckel. Präsident Macron empfängt heute Bundeskanzler Scholz. Der Beginn einer Wiederannäherung?
Das Ambiente ist feierlich: Hinter dem imposanten Schreibtisch stehen jeweils an beiden Seiten die Flaggen von Deutschland, Frankreich sowie der Europäischen Union. Durch den historischen Saal hallen Reden mit großen bedeutsamen Worten. "In dieser Welt, in diesem Europa, müssen Deutschland und Frankreich ihre Verantwortung wahrnehmen und den Weg weisen", sagt Emmanuel Macron. Es ist der 22. Januar 2019. Der französische Präsident unterschreibt gemeinsam mit Angela Merkel in Aachen einen neuen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag.
Das Pathos solcher Feierstunden taugt selten für die Langstrecke des Alltagsgeschäftes. Probleme und Verstimmungen zwischen beiden Ländern gab es immer wieder. Und doch klingen die aktuellen Beschreibungen des deutsch-französischen Verhältnisses ausgeprägt negativ. Linn Selle, Präsidentin der Europäischen Bewegung Deutschland, sagt im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio: "Paris und Berlin dürfen sich nicht länger zum Schaden aller in der EU gegenseitig ausspielen. Ohne eine starke EU verlieren wir alle." Und das ausgerechnet in Kriegszeiten?
Verstimmung in Paris
Dass das deutsch-französische Paar weit unter Bestform agiert, trat zuletzt offen zu Tage. Das eigentlich für heute geplante Treffen der Ministerinnen und Minister beider Länder in Fontainebleau bei Paris wurde kurzfristig abgesagt und in den Januar verschoben. Als Begründung nannte der Sprecher des Bundeskanzlers Paralleltermine einiger Minister und anhaltenden Abstimmungsbedarf in "bilateralen Fragen". Es gehört zur Aufgabe von Regierungssprechern, Unstimmigkeiten in harmloser klingende Worte zu kleiden.
Auf dem EU-Gipfel in der vergangenen Woche trafen sich Macron und Scholz zwar vor Beginn zum Zweier-Gespräch. Dass der Franzose aber öffentlich davor warnte, dass sich Deutschland in Europa "isoliert", war ein äußerst ungewöhnlicher Vorgang. Macron dürfte damit auch die Bedenken des Bundeskanzlers gegen einen EU-Gaspreisdeckel gemeint haben. Am Ende blieb der große Knall in Brüssel aus. Man habe sich "zusammengerauft", so Scholz. Gelöst ist die Frage noch nicht.
Für Verstimmung in Paris hatte auch gesorgt, dass die Bundesregierung ihren 200 Milliarden "Doppel-Wumms" nicht ausreichend in Richtung Elysée kommuniziert hatte. "Deutschland sollte als größtes und mächtigstes Land innerhalb der Europäischen Union stärker auf europäische Lösungen drängen und weniger auf Lösungen, die vor allem Deutschland nutzen“, sagt der Grüne Anton Hofreiter, Vorsitzender des Europaausschusses im Bundestag. Die Bundesregierung agiere zu "selbstbezogen", kritisiert der CSU-Politiker Manfred Weber, Parteivorsitzender der europäischen Christdemokraten.
Konfliktpotential im Bereich Verteidigung
Konfliktpotential liegt im Bereich Verteidigung. Der Bundeskanzler hält in Prag eine europäische Grundsatzrede, schlägt den Aufbau einer gemeinsamen Luftabwehr vor. Technologie aus Frankreich spielt dabei jedoch keine Rolle. Deutschland richtet einen 100 Milliarden-Sondertopf für die Bundeswehr ein. Kampfjets sollen in den USA bestellt werden. Und die gemeinsame deutsch-französische Entwicklung von FCAS, einem Luftkampfsystem unter anderem aus Kampfjets und Drohnen, hat sich bereits erheblich verzögert. Hier ist das Problem jedoch zu großen Teilen auch in Frankreich zu suchen.
Was stimmt da nicht? Liegen die Probleme auch darin begründet, dass zwei Alpha-Politiker nicht miteinander klar kommen? Eine Lesart, die zu hören ist: Seit dem Abgang Merkels sei die Rolle der Nummer Eins am europäischen Gipfeltisch neu zu vergeben. Ist das jetzt Macron? Oder doch weiterhin der Regierungschef aus Deutschland?
Ohne Zweifel treten beide nach außen deutlich unterschiedlich auf. Macron ist extrovertiert, Scholz haftet das Etikett des kühlen Hanseaten an. Beide versuchen auf europäischer Bühne ihre Akzente zu setzen. "Olaf Scholz muss in Paris zu einem vertrauensvollen und engen Miteinander mit Präsident Macron zurückfinden", fordert CSU-Mann Weber im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio.
Es gibt Annäherung
Das deutsch-französische Verhältnis in den düstersten Farben zu zeichnen, scheint jedoch auch nicht angebracht. Es gibt Annäherung: Die von Macron entwickelte Idee einer größeren europäischen Gemeinschaft fand Unterstützung und lobende Worte von Scholz. Die beiden Länder unterstützen sich gegenseitig mit Strom- und Gaslieferungen.
Eine dauerhafte Verstimmung in Zeiten von Krieg, Inflation und Pandemie können sich die beiden Länder, kann sich die EU kaum leisten. Und doch: Von einer so engen Zusammenarbeit, dass wie bei Merkel und Sarkozy die Namen zu "Merkozy" verschmelzen, sind Scholz und Macron noch deutlich entfernt. "Scholcron" oder "Macrolz" sind noch nicht in Sicht.