Energieversorgung Wie Frankreichs Gas nach Deutschland kommt
Normalerweise fließt durch den saarländischen Bliesgau russisches Erdgas von Deutschland nach Frankreich. Nun könnte Frankreich Gas an Deutschland liefern. Beim Richtungswechsel gibt es nur einen Haken.
Es ist ein schwieriger Herbst für jede Regierung, die ihre Bürger nicht frieren lassen will. In Deutschland sorgt man sich, ob das Gas reicht. Zwar sind die Speicher voller als geplant, aber die Bundesregierung sucht weiter fieberhaft nach zusätzlichen Lieferanten. In Frankreich dagegen hat man Gas genug - die Frage ist dort, ob der Strom reicht. Präsident Emmanuel Macron hat deshalb einen Tausch vorgeschlagen: Deutschland bekommt heiß begehrtes französisches Gas, wenn dafür deutscher Strom nach Frankreich geliefert wird.
Ein technisch machbarer Schritt
Herzstück dieses Tauschgeschäfts wäre die Gasübergabestelle in Medelsheim im Bliesgau. Sie ist der einzige direkte "Grenzübergang" für Gas zwischen Deutschland und Frankreich. Das Gas floss hier bislang von Ost nach West: Über die Ostseepipeline Nord Stream 1 kam es aus Russland, über die Megal-Pipeline wurde es vom bayerischen Waidhaus ins Saarland geleitet. Die Richtung umzukehren ist technisch gesehen kein großes Problem. Neues Gas aus Russland ist sowieso in nächster Zeit nicht zu erwarten, und Frankreich importiert Gas aus dem Nahen Osten und Afrika, das es weitergeben kann.
Auch der Transport des deutschen Stroms nach Frankreich ist einfach: Über das europäische Strom-Verbundnetz sind die beiden Länder (und 17 weitere) schon seit längerer Zeit zusammengeschlossen. Die Passage der Grenzen funktioniert fast von selbst. Schon in diesem Sommer lieferte Deutschland so überschüssige Windenergie in das Nachbarland. Aber auch die deutschen Atomkraftwerke könnten ihren französischen Kollegen unter die Arme greifen.
Frankreichs Stromerzeuger im Leerlauf
Dass Frankreich, einst Europas größter Atomenergie-Produzent, in Stromnöte geraten konnte, ist selbstverschuldet. Rund 70 Kilometer westlich von der saarländischen Gas-Grenzstelle in Medelsheim liegt das Paradebeispiel für die drängenden Probleme der französischen Energiewirtschaft: Das Atomkraftwerk Cattenom, das siebtgrößte der Welt. Es produziert derzeit kaum noch Strom. Drei von vier Reaktoren sind abgeschaltet, weil die Rohre der Kühlsysteme rosten. Ähnlich wie in Cattenom sieht es in vielen AKW in Frankreich aus - sie sind in die Jahre gekommen, heruntergefahren wegen Reparaturarbeiten oder um sie auf Schäden zu überprüfen. 32 von 56 Reaktorblöcken im ganzen Land liefern keinen Strom.
Im Winter droht sich der Mangel zu verschärfen, denn viele französische Haushalte heizen mit Strom. Im November will die Regierung die ersten Atommeiler wieder ans Netz schalten. Doch bis alle wieder Energie einspeisen können, dauert es mindestens bis Februar. Der Tausch Gas gegen Strom ist damit zumindest auf den ersten Blick der perfekte Handel.
Gas müsste gereinigt werden
Doch es gibt einen Haken: Eigentlich ist das französische Gas mit dem deutschen Netz inkompatibel. In Frankreich wird Erdgas mit Geruchsstoffen versehen, damit etwaige Lecks schneller auffallen. In Deutschland passiert das erst dann, wenn das Gas in die Stadtnetze eingespeist wird. Großkunden, die direkt an der Pipeline hängen, bekommen es dagegen ohne diese sogenannte Odorierung. Der Grund: Die Schwefelverbindungen, die die Netzbetreiber dafür einsetzen, könnten in der Industrie auf lange Sicht Schäden verursachen. Eine Deodorierungsanlage, um die Stoffe wieder herauszufiltern, könnte in Medelsheim frühestens in ein paar Jahren stehen.
An anderen Grenzübergängen, zum Beispiel im baden-württembergischen Wallbach an der Grenze zur Schweiz, gibt es schon eine Deodorierungsanlage. Sie ist im vergangenen Jahr in Betrieb gegangen. Doch auch sie hat ihre Nachteile: Die chemische Reinigung des Gases ist energieintensiv und teuer.
Für die Dauer der Gaskrise könnten die Netzbetreiber deshalb bald einen anderen Weg gehen: Sie speisen schlicht das schwefelhaltige Erdgas ins Netz ein und berufen sich auf Ausnahmeregelungen. Geht es nach der Bundesnetzagentur, könnten die Netzbetreiber etwaige Schadensersatzforderungen bald direkt auf ihre Kunden umlegen. Das klingt auf den ersten Blick erschreckend, folgt aber einer klaren Logik: Dürfen sie das nicht, verzichten die Gaskonzerne lieber ganz auf den Import aus Frankreich - und das wäre auch nicht im Sinne des Bundes.
Lieferungen beginnen Mitte Oktober
Und so beginnen die französischen Gaslieferungen nach Deutschland wohl mit odoriertem Gas - über Medelsheim und über Wallbach. Irgendwann in der Woche ab dem 10. Oktober soll es losgehen. 100 Gigawattstunden Erdgas sollen dann pro Tag durch die Leitungen fließen. Etwa drei Prozent des deutschen Verbrauchs wären das.
Aber alleine die Pipeline in Medelsheim könnte fast das Zehnfache entgegennehmen. Dass Frankreich künftig noch mehr Gas nach Deutschland liefert, ist aber unwahrscheinlich, da auch Frankreich von seinen jeweiligen Gaslieferanten abhängig ist.