Ärztemangel in Großbritannien Zahnarzt verzweifelt gesucht
Großbritannien leidet unter einem massiven Mangel an Zahnärzten. Selbst Kinder werden in vielen Praxen nicht mehr aufgenommen. In ihrer Verzweiflung versuchen manche Patienten, sich selbst zu behandeln - mit drastischen Mitteln.
Der staatliche britische Gesundheitsdienst NHS ist völlig überfordert. Die BBC hat enthüllt, dass neun von zehn Zahnarztpraxen englandweit keine neuen Patienten mehr aufnehmen. Die Folge sind Schmerzen und verzweifelte Selbsthilfemaßnahmen von Menschen, die sich keine Privatbehandlung leisten können.
Bei Denise Pile gibt es wieder mal Suppe zum Mittagessen - was für eine Überraschung, scherzt sie. Dabei ist der Rentnerin aus Cornwall das Lachen eigentlich längst vergangen: Seit vier Jahren wartet sie auf ein künstliches Gebiss. Sie hat kaum noch Backenzähne, immerhin Schneidezähne, aber selbst die wackeln, schildert sie der BBC:
"Ich kann nichts mehr beißen, noch nicht mal Tomaten oder kleingeschnittene Gurken. Alles zu hart. Nachdem ich fünfzig Jahre gearbeitet und Abgaben geleistet habe, wäre es doch nicht zu viel verlangt, einfach ein Gebiss zu bekommen."
Enorme Wartezeiten oder gar kein Termin
Denise Pile kann es sich wie viele Menschen mit Renten und niedrigen Einkommen nicht leisten, eine Zahnarztbehandlung aus eigener Tasche zu zahlen. Und Zahnarzttermine, die der nationale Gesundheitsdienst NHS subventioniert und bei denen nur eine geringe Zuzahlung nötig ist, sind zur Rarität geworden.
Neun von zehn NHS-Praxen englandweit nehmen keine neuen erwachsenen Patienten an, wie eine BBC-Recherche zeigt. Acht von zehn nehmen auch keine Kinder mehr neu an. Und auch für registrierte Patienten sind die Wartezeiten enorm.
Der Zahnarztverband klagt, viele Zahnmediziner seien überlastet und könnten mit den vom NHS gezahlten Pauschalen nur eine bestimmte Anzahl Patienten behandeln.
Shawn Charlwood von der British Dental Association rechnet vor, dass die staatlich finanzierten Pauschalen nur rund die Hälfte der Bevölkerung abdecken würden.
Viele Zahnärzte haben aufgehört
Die Pandemie hat die Situation verschärft, wegen geschlossener Praxen und verpasster Vorsorgetermine. Das Gesundheitsministerium erklärt, es habe zusätzliche 50 Millionen Pfund investiert, um die Corona-Wartelisten abzubauen. Aber es gibt einfach zu wenig Ärzte.
Rund zehn Prozent der Zahnärzte haben sich in den vergangenen Jahren aus NHS-Praxen zurückgezogen und behandeln nur noch privat - auch, weil sie ihre komplexe Arbeit durch die NHS-Pauschalen nicht genügend gewürdigt sehen. Doch der Zahnarztmangel hat aus Sicht von Shawn Charlwood noch einen weiteren Grund:
"Nach der Brexit-Entscheidung haben europäische Zahnärzte das Land in Richtung Heimat verlassen und sind nicht wiedergekommen. Das sind Tausende, und das hat die Lage zusätzlich verschärft."
Selbstbehandlung mit der Kneifzange
Joshua Keeling wurde von seiner Lebensgefährtin gebeten, ihr einen Zahn mit der Kneifzange zu ziehen, weil sie die Schmerzen nicht mehr aushielt. Eine furchtbare Situation. Darum hat er jetzt eine Unterschriftenaktion für bessere Versorgung gestartet. 180.000 Menschen haben schon unterschrieben.
Doch bis sich etwas ändert, werden Menschen weiter mit Feilen und Zangen ihre Zähne bearbeiten und zu gefährlicher Selbsthilfe greifen, schildert Louise Ansari von der Organisation Healthwatch England:
"Die Menschen leben mit Schmerzen und Angst, sie können nicht richtig essen und sprechen. Und in ihrer Verzweiflung kleben sie sich Kunstharz-Pfropfen mit Superkleber aufs Zahnfleisch."