Europawahl auf der Insel Ungeplanter Urnengang
Seit heute läuft in Großbritannien die Europawahl: Den Tories von Premierministerin May droht eine Pleite. Aber wer geht eigentlich zu einer Wahl, die nicht mehr hätte stattfinden sollen?
Der schottische Abgeordnete Ian Blackford sagte das, was andere vor ihm auch schon gesagt hatten: Theresa May genießt kein Vertrauen mehr und soll gehen. Nach der Parlamentsdebatte gab es aufgeregte Diskussionen und heiße Spekulationen darüber, ob die Premierministerin noch am Abend zu einem sofortigen Rücktritt gezwungen werden würde.
Es war zweifellos der Tiefpunkt in Mays Karriere, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass nun noch ein weiterer folgt. Denn die Wähler könnten Mays Partei, die Tories, heute regelrecht abstürzen lassen. Laut Umfragen ist sogar ein Ergebnis im einstelligen Bereich denkbar.
"Eine sinnlose Aktion"
Aber wer geht eigentlich zur Wahl, an diesem Wahltag, den es doch eigentlich gar nicht hätte geben sollen? Ein Passant tut es nicht, er hat die Nase voll von der Politik, sagt er. Dann hastet er weiter und ruft im Weggehen fast entschuldigend über die Schulter: "Zum ersten Mal in meinem Leben!"
Steven, der es gar nicht eilig hat, geht auch nicht zur Wahl. Er hat nicht das Gefühl, etwas zu verpassen. Das Ganze sei eine sinnlose Aktion. Das ist von vielen zu hören.
Cloe sieht das dagegen ganz anders: Die 23-jährige will wählen gehen und hält es generell für wichtig, dass die jungen Leute an Wahlen teilnehmen.
Europawahl als zweites Referendum?
Die Wahlbeteiligung bei Europawahlen ist allerdings traditionell gering. 2014 lag sie in Großbritannien nur bei gut 35 Prozent. Vielleicht ist das heute wieder so, vielleicht werden die Briten die Abstimmung aber auch als eine Art zweites Referendum nutzen.
Nigel Farage, Vorsitzender der Brexit-Partei, könnte heute in die Geschichtsbücher eingehen.
2014 hieß der Überraschungssieger bei der Europawahl: UKIP - die UK Independence Party mit Nigel Farage an der Spitze. Der voraussichtliche Sieger diesmal: Die Brexit-Party - mit Nigel Farage an der Spitze. Der Populist könnte als erster Parteichef, der mit zwei unterschiedlichen Parteien Wahlen gewonnen hat, in die Geschichtsbücher eingehen. Tatsächlich wird mit einer massiven Abwanderung konservativer Wähler zur Brexit-Partei gerechnet.
Nicht nur EU-Gegner stimmen für Farage
Das werden aber nicht alles nur frustrierte EU-Gegner sein, glaubt der Politikwissenschaftler Matthew Goodwin von der Universität in Kent. Auch konservative Hardliner würden sich darunter befinden, die ihre Stimme strategisch einsetzen:
Farage hat viele Freunde bei den Konservativen, die ihn benutzen wollen. Das ist ein bisschen wie ein politischer One-Night-Stand. Farage ist bis zu einem gewissen Punkt nützlich für sie. Und wenn der dann mit seinem Wahlergebnis das EU-kritische Lager gestärkt hat, gehen sie wieder zurück zu den Tories.
Mit Spannung wird auch erwartet, wie massiv die Verluste für Labour sein werden - denn auch die große Oppositionspartei muss zittern. Bei den kleineren Parteien könnten die Liberaldemokraten für eine Überraschung sorgen. Die Partei, die vehement für den Verbleib in der EU eintritt, hat sich in einigen Umfragen inzwischen schon auf Platz zwei vorgeschoben - noch vor die Labour-Partei.
Insgesamt geht es bei dieser Wahl um 73 Sitze im Europaparlament. Falls es dabei bleibt, dass der Brexit erst einmal nicht kommt, werden die neugewählten EU-Parlamentarier ihre Arbeit in Brüssel tatsächlich aufnehmen müssen.