Evan Gershkovich umarmt seine Mutter nach der Rückkehr aus russischer Haft auf einem Flughafen bei Washington.

Journalisten, Aktivisten, Kriegsgegner Wer beim Gefangenenaustausch freikam

Stand: 02.08.2024 13:02 Uhr

Beim Gefangenenaustausch mit Russland erreichte der Westen, dass Oppositionelle, Medienleute und Privatpersonen wieder in Freiheit sind. Der Preis: Unter anderem mussten Spione und ein verurteilter Mörder Russland überstellt werden. Ein Überblick.

Es ist kurz vor Mitternacht Ortszeit, als die freigelassenen US-Gefangenen auf einem Militärflughafen unweit von Washington wieder US-amerikanischen Boden betreten. Bilder zeigen, wie sie unter Jubel und Freudentränen ihren Familien in die Arme fallen. Auch US-Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris applaudierten.

Der Journalist Evan Gershkovich, der ehemalige Soldat Paul Whelan und die Journalistin Alsu Kurmasheva waren Stunden zuvor bei einem groß angelegten Gefangenenaustausch zwischen Russland und dem Westen freigekommen. Am Abend hatte Bundeskanzler Olaf Scholz schon 13 Freigelassene in Deutschland in Empfang genommen.

Der Austausch sei ein "harter Brocken" gewesen, sagte US-Präsident Biden. Es war der größte seit Ende des Kalten Krieges mit insgesamt 26 Personen. Ein Überblick über die Freigelassenen.

Von Russland und Belarus freigelassen

Evan Gershkovich

Der 32-Jährige arbeitet als Reporter für das Wall Street Journal. Er wurde im März 2023 in Jekaterinburg wegen des Vorwurfs der Spionage verhaftet. Gershkovich war der erste westliche Journalist seit Ende des Kalten Krieges, der in Russland wegen Spionagevorwürfen inhaftiert wurde. Im Juli 2024 wurde er zu 16 Jahren Haft verurteilt.

Gershkovichs Eltern waren in den 1970ern aus der Sowjetunion geflohen. Er selbst wuchs in den USA auf, arbeitete später aber in Russland.

Evan Gershkovich

Evan Gershkovich ist Journalist für das Wall Street Journal.

Paul Whelan

Der 54-Jährige ist in Kanada geboren, besitzt aber auch die US-amerikanische, die britische und die irische Staatsbürgerschaft. Whelan diente als US-Marine unter anderem im Irak-Krieg.

Er wurde im Dezember 2018 in Moskau festgenommen und wegen angeblicher Spionage zu 16 Jahren Haft verurteilt. Laut seinem Anwalt war Whelan bei seinem Aufenthalt in Russland in einen Hinterhalt gelockt worden: Er habe damals von einem Bekannten einen USB-Stick erhalten, von dem er glaubte, dass sich Urlaubsfotos darauf befänden. Nach Darstellung des russischen Geheimdiensts waren jedoch geheime Daten auf dem Stick.

Ex-Marine Paul Whelan

Paul Whelan war in Russland zu 16 Jahren Haft verurteilt worden.

Alsu Kurmasheva

Die 47-Jährige arbeitete als Journalistin in Prag für den Sender Radio Free Europe/Radio Liberty. Im November 2022 veröffentlichte sie ein Buch mit dem Titel "Nein zum Krieg. 40 Geschichten von Russen, die sich gegen die Invasion in der Ukraine wehren". Kurmasheva besitzt die US-amerikanische und die russische Staatsbürgerschaft.

Als sie 2023 wegen ihrer erkrankten Mutter nach Russland reiste, beschlagnahmten die Behörden bei der Wiederausreise am Flughafen in Kasan ihre Pässe. Später wurde Kurmasheva angeklagt, weil sie sich nicht als "ausländische Agentin" registriert habe. Sie wurde im Juli 2024 zu sechseinhalb Jahren Strafkolonie verurteilt.

Alsu Kurmasheva umarmt ihre Familie.

Alsu Kurmasheva umarmt ihre Familie.

Kevin Lick

Der 19-jährige Deutsch-Russe ist in Rheinland-Pfalz aufgewachsen. Anschließend zog er mit seiner Mutter in deren Heimatstadt im Nordkaukasus.

Lick stand dem russischen Regime jedoch kritisch gegenüber und soll sich gegen den Angriffskrieg gegen die Ukraine eingesetzt haben. Mit 17 Jahren wurde Lick wegen angeblichen Landesverrats verhaftet - er soll mehrfach Militärstützpunkte fotografiert und die Aufnahmen nach Deutschland geschickt haben.

Im Dezember 2023 wurde er zu vier Jahren Strafkolonie verurteilt. Er war der jüngste Beschuldigte, der je in Russland wegen Verrats verurteilt wurde.

Rico K.

Der 30-jährige Deutsche hat früher als Sanitäter und Sicherheitsmann gearbeitet. Ende Juni wurde er in Belarus in einem Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit wegen Vorwürfen wie Terrorismus und Söldnertum zum Tode verurteilt.

K. wurde beschuldigt, 2023 militärische Anlagen in Belarus fotografiert und auf einen Befehl aus der Ukraine hin, einen Sprengsatz auf eine Bahnstrecke in der Nähe von Minsk platziert zu haben. Laut der Menschenrechtsorganisation Wjasna hing seine Verurteilung mit dem Kastus-Kalinouski-Regiment zusammen - einer Vereinigung von belarusischen Bürgern, die an der Seite der Ukraine gegen die russische Armee kämpfen.

Nach seiner Verurteilung bat er in vom belarusischen Staatsfernsehen gezeigten Aufnahmen um seine Begnadigung, die Präsident Lukaschenko am Dienstag gewährte.

Dieter Woronin

Der Politologe, der in Berlin lebte und die russische wie die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, war wegen angeblichen Verrats 2021 verhaftet und 2023 zu 13 Jahren Haft verurteilt worden. Angeblich soll er für den BND gearbeitet und Militärinformationen weitergegeben haben, was er und der BND laut dem Magazin Spiegel bestreiten.

German Moyzhes

Der deutsch-russische Anwalt war im Mai in St. Petersburg festgenommen worden. Er wurde des Verrats beschuldigt. Moyzhes hatte sich als kommunaler Aktivist und Radfahr-Lobbyist einen Namen gemacht.

Patrick Schöbel

Der Deutsche war im Februar am Flughafen St. Petersburg festgenommen worden, als er eine Internetbekanntschaft besuchen wollte. In seinem Gepäck befanden sich Cannabis-Gummibärchen, wegen derer er mit dem Vorwurf des Drogenschmuggels verhaftet wurde.

Wladimir Kara-Mursa

Der 42 Jahre alte prominente Oppositionelle wurde 2022 festgenommen, nachdem er den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine kritisiert hatte. Er wurde unter anderem wegen Verrats zu 25 Jahren Haft verurteilt.

Kara-Mursa wurde als Kolumnist der Washington Post mit dem renommierten Pulitzer-Preis ausgezeichnet. 2015 und 2017 überlebte er Vergiftungen, für die er den Kreml verantwortlich machte. Kara-Mursa besitzt die russische und die britische Staatsbürgerschaft.

Wladimir Kara-Mursa

Wladimir Kara-Mursa kritisierte den Krieg in der Ukraine.

Oleg Orlow

Der 71-Jährige wurde wegen Diskreditierung des russischen Militärs im Februar zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Auch er hatte gegen den Angriffskrieg in der Ukraine protestiert. Orlow war Mitbegründer der Menschenrechtsorganisation Memorial, die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.

Ilja Jaschin

Der 41 Jahre alte Kreml-Kritiker und frühere Moskauer Lokalpolitiker war wegen seiner Kritik am Angriffskrieg gegen die Ukraine zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Er hatte kritisch über das Massaker von Butscha berichtet.

Lilija Tschanyschewa, Xenija Fadejewa und Wadim Ostanin

Die drei Oppositionellen hatten in der Vergangenheit mit dem inzwischen Verstorbenen Alexej Nawalny zusammengearbeitet.

Sie wurden 2021 für ihr politisches Engagement verhaftet und später wegen Extremismus angeklagt. Fadejewa, 32, und Ostanin, 47, wurden je zu neun Jahren Haft verurteilt. Tschanyschewa, 42, zu neuneinhalb Jahren.

Lilia Tschanyschewa

Lilija Tschanyschewa war Mitstreiterin des verstorbenen Alexej Nawalny.

Andrej Piwowarow

Der 42-Jährige leitete in Russland die Oppositionsgruppe Open Russia, die 2021 verboten wurde. Piwowarow wurde im gleichen Jahr aus einem Flugzeug geholt und verhaftet. 2022 wurde er wegen des Vorwurfs verurteilt, er habe Aktivitäten für eine "unerwünschte" Organisation betrieben. Er bekam eine Haftstrafe von vier Jahren.

Alexandra Skotschilenko

Die 33-Jährige wurde im November 2023 zu sieben Jahren Haft verurteilt. Sie hatte in einem Kleidungsgeschäft in St. Petersburg Preisschilder durch Anti-Kriegs-Slogans ausgetauscht.

Vom Westen freigelassen

Wadim Krassikow

Der 58-Jährige wurde als sogenannter Tiergartenmörder bekannt, als er in Berlin im Auftrag des russischen Geheimdienstes einen georgischen Staatsbürger erschoss. Das Berliner Kammergericht verurteilte ihn 2021 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Kremlchef Wladimir Putin nahm den Mörder öffentlich in Schutz, weil er aus russischer Sicht einen Staatsfeind beseitigt hatte.

Am Tag nach seiner Rückkehr nach Russland bestätigte der Kreml, dass Krassikow ein Agent des russischen Geheimdienstes FSB ist. "Er hat mit mehreren (derzeitigen) Beschäftigten für den Sicherheitsdienst des Präsidenten gearbeitet", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.   

Wladimir Putin begrüßt russische Staatsangehörige, die im Rahmen eines Gefangenenaustauschs zwischen Russland und westlichen Ländern freigelassen wurden.

Präsident Wladimir Putin begrüßte die Freigelassenen am Flughafen.

Roman Selesnjow

Der Sohn eines russischen Parlamentsmitglieds wurde 2017 in den USA zu 27 Jahren Haft verurteilt. Er soll über 500 Unternehmen gehackt, Millionen Kreditkartendaten gestohlen und weiterverkauft haben.

Wladislaw Kljuschin

Der wohlhabende Geschäftsmann mit Verbindungen zum Kreml war 2023 in Boston wegen Betrugs schuldig gesprochen worden. Das ihm vorgeworfene Betrugssystem im Umfang von knapp 100 Millionen US-Dollar soll sich auf geheime Informationen über Gewinne gestützt haben, die über einen Hackerangriff auf US-Computernetzwerke gestohlen worden sein sollen.

Der 43-Jährige wurde zu neun Jahren Haft verurteilt. Er wurde in der Schweiz verhaftet und 2021 an die USA ausgeliefert.

Michail Mikuschin

Mikuschin wurde 2022 in Norwegen wegen Spionage festgenommen. Er soll sich dort unter einer falschen Identität aufgehalten und für den russischen Geheimdienst gearbeitet haben. Der norwegische Inlandsgeheimdienst PST sagte, Mikuschin habe bei seiner Einreise angegeben, er sei brasilianischer Staatsbürger.

Artem Dulzew und Anna Dulzewa

Das russische Paar wurde 2022 in Slowenien wegen Spionage verhaftet und zu 19 Monaten Haft verurteilt. Sie hatten sich als Argentinier ausgegeben und mutmaßlich Anweisungen aus Moskau an andere Agenten in Nachbarländern weitergegeben. Das Paar hat zwei Kinder, die ebenfalls Teil des Austauschs waren.

Wadim Konoschtschenok

Der mutmaßliche Offizier des russischen Inlandsgeheimdiensts FSB wurde im vergangenen Jahr von Estland an die USA ausgeliefert. Ihm wurde vorgeworfen, Munition und Technologie geschmuggelt zu haben, um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu unterstützen. Laut US-Staatsanwaltschaft war Konoschtschenok 2022 bei der versuchten Ausreise von Estland nach Russland festgenommen worden.

Pawel Rubzow

Rubzow wurde kurz nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs im Osten Polens nahe der ukrainischen Grenze festgenommen. Er wurde wegen Spionage verhaftet.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 01. August 2024 um 20:00 Uhr.