100 Tage Donald Trump "Zwei Etagen im Außenministerium sind leer"
Die deutsch-amerikanischen Beziehungen unter Trump sind besser als erwartet, meint USA-Expertin Clüver im Interview mit tagesschau.de. Auf Behördenebene herrsche allerdings Chaos. Viele Stellen seien noch unbesetzt.
tagesschau.de: Der Start der deutsch-amerikanischen Beziehungen unter dem neuen US-Präsidenten Donald Trump verlief recht holprig. Wie würden Sie den Zustand der politischen Zusammenarbeit derzeit beschreiben?
Cathryn Clüver: Wenn man sich die Anzahl der Telefonate zwischen Angela Merkel und Donald Trump anschaut, macht das den Eindruck eines sehr stabilen Gesprächsniveaus. Allein im April haben sie nach offiziellen Angaben zweimal telefoniert und alle Brennpunkte der Weltpolitik besprochen: Syrien, Jemen, Nordkorea, Afghanistan und das Thema Ukraine mit den Minsker Verhandlungspunkten.
Ich denke, Merkel hat Trump bei ihrem Besuch im März imponiert. Sie hat gezeigt, dass sie mit Stärke die Positionen der Bundesrepublik vertritt. Sie hat eine gute, genau ausgearbeitete Strategie einer ausgewogenen Diplomatie. Trump selbst sprach jüngst überrascht in einem Interview von der "guten Chemie", die er mit der deutschen Kanzlerin hat.
"Wichtigste politische Bezugsperson im Westen"
tagesschau.de: Wieso hat er ihr dann bei ihrem Besuch den Handschlag vor Kameras verweigert?
Clüver: Ich glaube, dass Merkel diese Handschlag-Episode so gut wie vergessen hat. De facto konsultiert sie dieser Mann in allen wichtigen Fragen, sie telefonieren im Schnitt alle zweieinhalb Wochen miteinander, Merkel ist für Trump zur wichtigsten politischen Bezugsperson im Westen geworden. Merkel hat Trump im Vorfeld studiert, sie hat ihm gezeigt, dass sie seine Sorgen und Ängste ernst nimmt, aber ihre Positionen - auch die, die von einer US-Sichtweise abweichen, klar und deutlich vertreten kann. Diese Strategie ist aufgegangen.
Merkel und Trump am 17. März im Weißen Haus
tagesschau.de: Wie bewerten Sie den Besuch von Trumps Tochter und enger Beraterin Ivanka vor wenigen Tagen in Deutschland, der ja auf Merkels Initiative zurückgeht. Beobachter interpretieren das als Versuch über eine enge Vertraute Trumps einen besseren Kontakt zum Präsidenten herzustellen.
Clüver: Ich denke eher, dass diese Einladung Teil einer erweiterten diplomatischen Strategie ist. Sie zeigt, dass Merkel Trumps Positionierung seiner Tochter an einer so wichtigen Stelle akzeptiert. Das heißt nicht, dass sie die Leistungen einer Christine Lagarde einer Ivanka Trump gleichsetzt. Sie hat das sehr geschickt gemacht, indem sie mit Ivanka Trump ja lediglich gemeinsam auf einem Podium saß, bei dem jede für sich selbst gesprochen hat.
"Priorität auf Sicherheits- und Verteidigungspolitik"
tagesschau.de: Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit auf administrativer Ebene, also dort, wo die politischen Entscheidungen umgesetzt werden?
Clüver: Hier hapert es sehr viel mehr. Was vor allem daran liegt, dass das amerikanische Außenministerium derzeit personell komplett ausgehöhlt ist. Mit den Haushaltsberatungen soll das sogar noch verschärft werden, hier sind 31 Prozent Kürzungen für die programmatische Arbeit und die Entwicklungspolitik geplant, Außenminister Tillerson selbst will allein beim Personal neun Prozent der Stellen kürzen und arbeitet aktiv an einer Umstrukturierung des Ministeriums - gegebenenfalls mit nachhaltigen Konsequenzen für die US-Diplomatie. Insgesamt sieht dieser Präsident internationale Politik durch die Linse einer US-Interessenspolitik, die auf Sicherheits- und Verteidigungspolitik, nicht aber auf die lange Sicht angelegte diplomatische Prozesse. Noch honorieren das seine Unterstützer.
Wir haben beispielsweise immer noch kein Personal mit Ministerial-Befugnissen, das sich mit Zukunft der amerikanischen Entwicklungspolitik auseinandersetzt, wir haben noch keinen Handelsbeauftragten. Diese Posten werden aktuell von Leuten aus der Obama-Administration kommissarisch geleitet, aber es fehlt vollkommen an einer politischen Strategie, die dieser Apparat umsetzen könnte.
Es gibt ein altes Klischee in Washington, dass Personalpolitik auch Politik ist. Und wenn man sieht, mit welchem Nachdruck bestimmte Stellen besetzt worden sind, während andere immer noch vakant sind, ist klar, dass internationale Politik, gerade auch multilaterale Fragen, nicht im Vordergrund steht.
"Das kann nicht aus demselben Land kommen"
tagesschau.de: Warum dauern die Stellenbesetzungen so lange?
Clüver: Donald Trump hatte beim Einzug in Weiße Haus absichtlich keinen Parteiapparat hinter sich. Er wollte als der vom "Morast" Washingtons unabhängige Kandidat sein. Das macht die Personalbesetzung noch langwieriger. Am Tag 96 seiner Amtszeit hatte er 66 Posten besetzt, Obama hatte zum gleichen Zeitpunkt etwa dreimal so viele Stellen besetzt, nämlich 190. Trump setzt bei seinen Nominierungen nicht auf Leute, die schon vorher in der Regierungsarbeit tätig waren. Das heißt, alle Spitzenpositionen müssen nochmal durch den Ethikrat des Kongresses, wo wirtschaftliche Verstrickungen überprüft werden. Das dauert sehr lange.
tagesschau.de: Wie wirkt sich das konkret auf die politische Arbeit, insbesondere des Außenministeriums aus?
Clüver: Beim Thema Afghanistan beispielsweise haben die USA eine mehrteilige Strategie der Ausbildung der afghanischen Militärs, wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Arbeit mit NGOs. All das mit dem Ziel, um Amerikas längsten Krieg zu beenden. Diese kleinteiligen operativen Vorgänge wurden in den vergangenen acht Jahren von Obama stetig vorangetrieben. Es gab einen Sonderbeauftragten für Afghanistan. Solche strategischen Positionen sind im Augenblick nicht besetzt. Es gibt zwar Zivilangestellte, die die Stellung halten, doch die haben keinerlei Handlungsvollmacht, weil es keine übergeordnete Strategie gibt.
Beobachten ließ sich das an den Verlautbarungen zum Türkei-Referendum. Vom Außenministerium kam eine Art Abmahnung an Erdogan, dass demokratische Grundwerte hochgehalten werden müssen. Vom Präsidenten selbst kam ein Gratulationsschreiben zum vermeintlichen Sieg. Wenn man das nebeneinander stellt, hat man den Eindruck, das kann nicht aus demselben Land kommen.
"Zwei Stockwerke im Außenministerium leer"
tagesschau.de: Was bedeutet das für den Austausch mit den deutschen Behörden?
Clüver: Wenn jemand aus dem deutschen Außenministerium im State Department anruft und beispielsweise die amerikanische Sicht zum Thema Hungerhilfe im Jemen wissen will, wird der Anruf zwar angenommen, aber es dürfte schwer bis unmöglich sein, eine Auskunft über die Strategie diese Administration zu bekommen. Das State Department hat sieben Stockwerke, ganz oben sitzt der Außenminister und wenn man den dortigen Kollegen Glauben schenken darf, sind die beiden darunter liegenden Stockwerke komplett leer. Da können keinerlei wirkliche Entscheidungen getroffen werden.
tagesschau.de: Bei der internationalen Handelspolitik scheint die Arbeit aber zu funktionieren. Immerhin werden gerade Strafzölle auf Stahl unter anderem für deutsche Unternehmen geprüft.
Clüver: Wo der Präsident Prioritäten setzt, funktioniert die Arbeit. Dann gibt das Weiße Haus Leitlinien an ein Ministerium weiter und die Maschinerie läuft heiß, selbst wenn im Ministerium dann um Einzelfragen gerungen wird. Die Fachkollegen des Beamtenapparats sind ja nach wie vor da. Die können dann die Details ausarbeiten.
"Merkel setzt ihre Themen auf Agenda"
tagesschau.de: Welche Chancen hat die deutsche Politik aktuell, um auf diese Prozesse einzuwirken? Oder ist schlicht Geduld gefragt?
Clüver: Eine Diplomatie der langen Hand ist einerseits nicht verkehrt, zumindest so lange sich Brandherde nicht weiter verschärfen. Andererseits ist Merkel mit ihrer Strategie erfolgreich, zu zeigen, dass Deutschland bei außenpolitischen Themen Optionen hat mit seiner starken Stellung in Europa oder guten Beziehungen mit China.
In all ihren Telefonaten mit Trump ist sie es, die das Thema Ukraine und die Zukunft des Minsker Abkommens auf die Agenda setzt. Hier will sie sich Unterstützung beispielsweise für weitere Sanktionen gegen Russland zusichern lassen. Auch die Stabilität und der Aktionsradius der NATO, sind Kernthemen, die Merkel immer wieder anbringt, während Trump beispielsweise lieber über Nordkorea reden würde.
tagesschau.de: Wo sehen Sie bereits Erfolge bei diesen Anliegen?
Clüver: 100 Tage im Amt sind ja noch nicht viel Zeit für solch große Themen. Aber die Tatsache, dass Trump das Verhältnis zu Russland jetzt doch offenbar anders sieht, ist schon ein Erfolg. Auch dass Trump seine fast 18 Monate lang propagierte Meinung, die NATO sei obsolet, über Bord geworfen hat - also eine 180-Grad-Wende vollzogen hat - hat mit der Vorarbeit der Europäer zu tun. Und da ist Angela Merkel federführend.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de