Interview

Interview zur US-Wahl Mit wem geht es den USA besser?

Stand: 04.11.2012 16:38 Uhr

Für Tagesschau und Tagesthemen ist ARD-Korrespondentin Tina Hassel durch die USA gereist, um herauszufinden, was die Menschen vor der US-Wahl besonders beschäftigt. Im Interview mit tagesschau.de erzählt sie von einem Land, das tief gespalten ist - vor allem darüber, wer der richtige Präsident ist.

tagesschau.de:  Frau Hassel, Sie haben in den vergangenen Wochen die USA für Tagesschau und Tagesthemen bereist: Welche Themen beschäftigen die Menschen am stärksten und haben den Wahlkampf geprägt?

Tina Hassel: Viele Monate lang waren die Wirtschaft und der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit im Land das wichtigste Thema. Ein Problem für Obama, denn er hat in dieser Hinsicht keine glanzvolle Amtszeit vorzuweisen. Dass war das Terrain, auf dem Herausforderer Romney versucht hat, zu punkten – das ist ihm über längere Zeit auch gelungen.

Später haben dann beide Kandidaten erklärt, es gehe bei dieser Wahl um mehr als nur den nächsten Präsidenten, sondern vielmehr um eine Richtungsentscheidung. Seit dem ersten TV-Duell und seit Wirbelsturm "Sandy" ging es dann fast nur noch um Tagespolitik, Persönlichkeit und Stil. Und um die Frage, welcher der beiden Kandidaten die Statur hat, um die USA die nächsten vier Jahre zu führen und Richtungsentscheidungen zu treffen, die über die Amtszeit hinausgehen.

Zur Person
Tina Hassel ist seit dem 1. Juli 2012 Leiterin des ARD-Studios Washington. Zuvor moderierte sie seit 2001 den Weltspiegel. In dieser Zeit war sie auch Auslandschefin des WDR. Von 1994 bis 1999 war sie Korrespondentin der ARD in Paris, danach im ARD-Studio Brüssel.

Wie viel Staat braucht Amerika?

tagesschau.de: Sie sprechen von Richtungsentscheidungen. In dem Zusammenhang ist oft von einem Kulturkampf die Rede, der in den USA ausgetragen wird. Was ist damit gemeint?

Hassel: Dieses Land ist tief gespalten, das macht sich bereits in der Nachbarschaft bemerkbar, etwa wenn man mit Freunden oder amerikanischen Kollegen spricht. Noch deutlicher wurde diese Spaltung auf den Reisen, die ich für Tagesthemen und Weltspiegel unternommen habe. Die große Frage, die gestellt wird, ist: Wie viel Staat brauchen die USA? Wie viel Befugnisse sollen die Behörden, soll Washington haben? Wie viel soziale Regulierung ist nötig?

Die zweite große Trennlinie sind Religion und Moralvorstellungen: Wie viel Raum soll die Kirche einnehmen, welche Rolle soll die Familie spielen? Ist es richtig, dass ein Präsident Obama für Schwulenehe und das Recht auf Abtreibung eintritt? Das sind große Fragen, die uns in Deutschland etwas komisch vorkommen mögen, weil es hier einen Trend zur Entideologisierung der Politik gibt. In den USA erlebt man genau das Gegenteil.

tagesschau.de: Können Sie ein Beispiel geben?

Hassel: Am vergangenen Wochenende haben wir für die Tagesthemen bei Schwarzen im Süden gedreht – schwarze Wähler sind eigentlich eine Basis von Obama. In den Kirchen wurden aber – von schwarzen Pfarrern – gegen Obama gepredigt. Eben weil Obama für das Recht auf Abtreibung, für gleiche Rechte von Homosexuellen, eintritt.

USA in der Selbstfindungskrise

tagesschau.de: Aus deutscher oder europäischer Perspektive hätte man ja erwartet, dass die Außenpolitik eine wesentlich größere Rolle im Wahlkampf spielt, als dies der Fall war. Wie erklärt sich das?

Hassel: Man muss verstehen, dass die USA in einer Selbstfindungskrise stecken. Die sozialen und wirtschaftlichen Probleme sind gigantisch. Die Außenpolitik hat in den USA in solchen Zeiten schon immer eine untergeordnete Rolle gespielt.

Mitt Romney hat zudem nur kurz versucht, mit Außenpolitik zu punkten, dann aber schnell gemerkt, dass dies nicht gut funktioniert. So gibt es  in Fragen der Außenpolitik keinen Angreifer. Außerdem unterscheiden sich die beiden Kontrahenten in diesen Fragen nur rhetorisch. Letztlich ist Außenpolitik Realpolitilk. Man kann davon ausgehen, dass Romney die Außenpolitik Obamas fortsetzen würde.

tagesschau.de: Wenn die Deutschen den US-Präsidenten wählen  dürften, wäre die Sache klar: Obama würde mit überwältigender Mehrheit wiedergewählt. Tatsächlich aber liegen die Kandidaten seit Monaten Kopf-an-Kopf, es wird ein sehr enges Rennen werden. Von der Aufbruchsstimmung 2008 und der unglaublichen Sympathie für Obama scheint wenig geblieben zu sein. Wie erklärt sich das?

Hassel: "Are We Better Off?", "Geht es uns besser?", ist die große Leitfrage. Und gerade die Wählerschaft Obamas muss diese Frage mit "Nein" beantworten. Die Wirtschaftskrise hat vor allem schwarze Haushalte hart getroffen. Und die Hispanics sind sehr enttäuscht, dass Obama während einer Amtszeit mehr Hispanics hat ausweisen lassen, als sein Vorgänger George W. Bush in zwei Amtszeiten. Das heißt: In entscheidenden Bereichen, die das Leben der Obama-Anhänger bestimmen, geht es diesen heute nicht besser sondern schlechter als 2008. Und das nimmt man Obama übel.

Hängen bleibt, was medial inszeniert wurde: Da ist einer, der schön reden kann und viel verspricht. Aber er hält nichts davon. Das stimmt zwar nicht – Obama hat viel eingehalten und viele Versprechen umgesetzt. Aber dieses Bild hat sich in diesem Wahlkampf trotzdem verselbstständigt.

"Romney ist kein Clown"

tagesschau.de: Und Mitt Romney? Man gewinnt hierzulande ja den Eindruck, es handele sich um einen herzlosen Neoliberalen mit teils geradezu clownesken Zügen.

Hassel: Mitt Romney ist ein "Flip-Flopper", einer, der seine Position in ganz fundamentalen Fragen immer wieder wechselt – je nach Publikum und Erwartung. Er schafft es in geradezu faszinierender Weise, sich immer wieder zu widersprechen, ohne dass seine Glaubwürdigkeit bei den Wählern darunter leiden würde.

Romney ist aber ganz sicher kein Clown. Ich habe ihn mehrfach erlebt. Er ist ein ebenbürtiger Kandidat, er ist nicht die eiskalte Heuschrecke, er ist jemand, der sehr gewinnend sein kann. Und er ist ein Pragmatiker, der als Elder Statesman, Macher und vor allem Problemlöser auftritt. Und das macht ihn für viele Amerikaner durchaus wählbar.

tagesschau.de: Wagen Sie doch mal eine Prognose, wie die Wahl ausgeht.

Hassel: Es wird ganz knapp, aber wir werden auf jeden Fall am Morgen nach der Wahl den nächsten Präsidenten kennen. Es wird also keinen endlosen Aus- und Nachzählprozess geben, wie etwa 2000 in Florida. Ich sage einen hauchdünnen Sieg für Obama voraus, allerdings weniger, weil ihn mehr Amerikaner gewählt haben, sondern weil er vermutlich mehr Wahlmänner als Romney bekommen wird. Wenn Obama tatsächlich gegen die Mehrheit der Amerikaner wiedergewählt würde, wird das seine zweite Amtszeit noch stärker erschweren und behindern, als es angesichts der komplizierten politischen Landschaft in den USA ohnehin schon der Fall ist.

Das Interview führte Jan Oltmanns, tagesschau.de