Interview zu Wirtschaftskrise "Italien hat ein Strukturproblem"
Italiens Wirtschaft soll gesund gespart werden. Das werde nicht funktionieren, sagt Siegfried Breuer von Germany Trade&Invest im Interview mit tagesschau.de. Viel größere Probleme seien die Jugendarbeitslosigkeit und die mangelnde Bereitschaft kleiner Unternehmer, Geld in ihren eigenen Betrieb zu investieren.
tagesschau.de: Was läuft falsch in Italien?
Siegfried Breuer: Italien hat die internationale Konkurrenzfähigkeit verloren, weil die Politik vorhandene Strukturprobleme nicht angefasst hat. Das Land leidet weniger an der Überschuldung, sondern es hat eine langfristige Wachstumsschwäche.
tagesschau.de: Woher kommt diese Wachstumsschwäche?
Breuer: Italien hat einige Nischen besetzt, in denen es international sehr konkurrenzfähig ist. Kleidung, Spezialmaschinen oder qualitativ hochwertige Lebensmittel. Da kommt auch der Exportboom her, den wir im Moment haben. Gleichzeitig aber wird noch mehr importiert als exportiert, zum Beispiel weil Italien fast seinen ganzen Energiebedarf durch Importe decken muss. Das ist eine der Strukturschwächen des Landes. Zudem sind mehr als 90 Prozent der italienischen Firmen Familienunternehmen, das macht es der Wirtschaft schwer, mit anderen europäischen Ländern wettbewerbsfähig zu sein.
tagesschau.de: In Deutschland verbindet man mit Familienunternehmen gute Eigenschaften. Warum ist das in Italien anders?
Breuer: Auch in Italien sind viele Familienunternehmen äußerst erfolgreich in ihren kleinen Nischen. Sie haben hier aber ein anderes Problem: Sie wachsen nicht. Während ein schwäbischer Kleinunternehmer seinen Gewinn wieder in sein eigenes Geschäft steckt, also reinvestiert, und damit weiter wächst, steckt ein Italiener seinen Gewinn zum Beispiel eher in Immobilien. Das verschafft ihm zwar Sicherheit, aber dadurch bleiben die Firmen klein. Dieses Problem ist weit verbreitet unter den italienischen Familienunternehmern.
tagesschau.de: Ist die wirtschaftliche Schwäche also auch dadurch entstanden, dass dem Land Großindustrie fehlt?
Breuer: Ja, es fehlt Großindustrie. Es gibt zwar auch einige große Unternehmen, wie zum Beispiel Fiat. Aber auch hier zeigen sich die italienischen Strukturprobleme: Fiat macht in keinem der italienischen Betriebe Gewinn. Die Gewinne werden in den ausländischen Produktionsstätten gemacht, zum Beispiel in Polen.
tagesschau.de: Was hält ausländische Investoren vom Standort Italien fern?
Breuer: Einer der wichtigsten Faktoren ist die Rechtsunsicherheit. Mario Draghi, der Chef der italienischen Zentralbank, schätzt den Wachstumsverlust allein durch den schlechten Zustand der italienischen Justiz auf einen Prozentpunkt. Das ist eine Menge. Sie brauchen in Italien beispielsweise drei Jahre, um einen Prozess in erster Instanz abzuschließen. Die Weltbank klassifiziert Italien bei der Rechtssicherheit auf Rang 157 von 183 Ländern – hinter Ländern wie Iran, China, Äthiopien und vielen anderen Ländern. Deutschland liegt auf Platz 6 und Frankreich auf Platz 7.
Ein weiteres Problem ist der Arbeitsmarkt. Junge Leute bekommen keine Anstellung, auch Universitätsabsolventen nicht, also fließt auch kein junges, modernes Know-how in die Wirtschaft ein. Momentan liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei fast 30 Prozent.
tagesschau.de: Woran liegt das?
Breuer: Das liegt zum einen daran, dass die Unternehmen nicht wachsen, also keine neuen Arbeitsplätze entstehen. Außerdem ist es in Italien kaum möglich, sich als Unternehmer von älteren Arbeitnehmern zu trennen, das ist noch teurer als in Deutschland, wo langjährige Mitarbeiter auch bei einer Entlassung durch hohe Abfindungen entschädigt werden. Das alles führt dazu, dass der italienische Arbeitsmarkt verkrustet. Er müsste aber dringend aufgebrochen werden – vor allem, um die Jugendarbeitslosigkeit zu beseitigen und so auch neue Impulse in die Wirtschaft zu bringen.
"Bürokratische Willkür"
Das dritte Problem ist die Bürokratie. Sie haben in Italien zwar eine zentrale Regierung, die Gesetze beschließt. In deren Umsetzung aber sind die Länder, in Italien nennt man sie Regionen, sehr autonom. Es gibt also keine einheitliche Umsetzung der Gesetze. Und mitunter baut die Bürokratie vor Ort Hürden auf, die nicht überwindbar sind.
tagesschau.de: Kennen Sie Beispiele?
Breuer: Mir ist ein Betrieb bekannt, der in Süd-Italien seinen Sitz gebaut hat – in dort üblicher Flachbauweise. Und als das Haus fertig war kommt plötzlich die Auflage, das Dach müsse Schindeln haben. Im Umkreis von vielen Kilometern hat kein einziges Haus Schindeln auf dem Dach, aber die Baubehörde lässt sich nicht davon abbringen. Das ist ein Beispiel für reine bürokratische Willkür, und leider kein Einzelfall. So werden gewisse Regionen in Italien unattraktiv für Unternehmen.
"Der Süden fällt ab"
tagesschau.de: Welche Regionen sind das?
Breuer: Im Süden gibt es Strukturen, die von der Regierung gar nicht mehr beherrschbar sind. Im Norden aber finden Sie Strukturen, die denen in Deutschland recht ähnlich sind: übersichtlich und klar. Mit dem Norden geht es auch immer weiter aufwärts, der Süden fällt immer weiter ab.
tagesschau.de: Lassen sich solche Probleme mit einem Sparpaket lösen?
Breuer: Nein, lassen sie nicht. Italien macht zwar für sich genommen Fortschritte, im Vergleich mit anderen europäischen Ländern ist es aber weit abgeschlagen. Außerdem kann ein Sparpaket sogar kontraproduktiv sein, wenn in den Bereichen Kultur, Forschung und Technologie gekürzt wird – denjenigen Bereichen, in denen Sparmaßnahmen zwar zunächst wenigen wehtun, die aber in die Zukunft gerichtet sind. Und auch so wird die Zukunft des Landes verbaut, denn Italien braucht beispielsweise dringend technische Innovationen.
"Die Wachstumsschwäche ist das größte Problem"
tagesschau.de: Was muss jetzt Ihrer Meinung nach in Italien passieren?
Breuer: Aufgrund der politischen Konstellation ist die Regierung nicht mehr handlungsfähig, sie könnte also kaum eine Strukturreform durchführen – selbst wenn sie wollte. Das Land braucht aber dringend Strukturreformen.
tagesschau.de: Sind die Probleme in den Griff zu kriegen?
Breuer: Ja, das glaube ich – falls Italien sich auf Reformen einigen kann. Auf Exportmärkten wie Kleidung oder dem Nahrungsmittelsektor ist Italien nach wie vor leistungsfähig. Außerdem hat das Land ein geschicktes Schuldenmanagement betrieben. Die meisten Schulden liegen im Inland, damit steht das Land wenig unter Druck aus dem Ausland. Und bisher hatte Italien keine Schwierigkeiten, auf den Finanzmärkten Geld zu bekommen. Nur die langfristige Wachstumsschwäche – das ist das größte Problem Italiens.
Das Interview führte Anna-Mareike Krause, tagesschau.de