Proteste in Tel Aviv zur Unterstützung der Geiseln

Nach Fund toter Geiseln Eintägiger Generalstreik in Israel ausgerufen

Stand: 01.09.2024 21:03 Uhr

Nach der Bergung von sechs toten Geiseln wächst der Druck auf die Netanyahu-Regierung, einem Abkommen zuzustimmen. In Tel Aviv und Jerusalem gab es Proteste. Der größte Gewerkschaftsverband rief für Montag zum Generalstreik auf.

In Israel hat der größte Gewerkschaftsverband Histadrut nach dem Fund von sechs toten Geiseln für Montag zu einem Generalstreik aufgerufen. Ziel sei es, den Druck auf die Regierung zu erhöhen, damit diese einer Waffenruhe zustimme, hieß es. So sollten die verbliebenen Geiseln, die noch von der Hamas im Gazastreifen festgehalten werden, nach Hause geholt werden.

"Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass nur unser Eingreifen diejenigen wachrütteln kann, die wachgerüttelt werden müssen", erklärte Histadrut-Chef Arnon Bar David mit Blick auf die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu. Dieser wird vorgeworfen, ein Abkommen über die Freilassung der Geiseln mit immer neuen Forderungen zu verhindern.

Ab Montagmorgen um sechs Uhr werde "die gesamte israelische Wirtschaft in einen vollständigen Streik treten", schrieb der Gewerkschaftschef. Er forderte alle Angestellten des Öffentlichen Dienstes auf, sich dem Ausstand anzuschließen. Israels wichtigster Flughafen Ben-Gurion werde ab 8 Uhr (7 Uhr MESZ) geschlossen.

Histadrut vertritt Hunderttausende Angestellte. Bar-David erklärte, zunächst sei der Streik auf Montag beschränkt. Er kritisierte die Regierung scharf dafür, dass sie keine Vereinbarung mit der Hamas schließe und israelische Geiseln nicht lebend aus dem Gazastreifen zurückbringe: "Wir bekommen Leichensäcke statt eines Abkommens."

Geisel-Angehörige hatten an Gewerkschaften appelliert

Zuvor hatte bereits das Forum der Geisel-Angehörigen zum Generalstreik aufgerufen und an die Gewerkschaften appelliert, sich dem anzuschließen. Damit solle die Regierung dazu gebracht werden, unverzüglich ein Abkommen zur Freilassung der noch lebenden Geiseln zu schließen, erklärte das Forum der Familien der Geiseln und Vermissten.

Oppositionsführer Jair Lapid schloss sich dem an. "Netanyahu und das Kabinett des Todes haben beschlossen, die Geiseln nicht zu retten", schrieb er auf der Plattform X. Sie seien für den Tod der Geiseln verantwortlich.

In mehreren Städten kam es am Abend zu Protesten. In Tel Aviv demonstrierten Tausende Israelis mit blau-weißen Nationalflaggen auf zentralen Straßen der Stadt und forderten ein Abkommen. Auf einer Bühne waren symbolisch die Särge der sechs Geiseln aufgebahrt. Luftaufnahmen zeigen, wie die Hauptautobahn von Tel Aviv blockiert wurde. Auch in Jerusalem blockierten Demonstrierende Straßen und protestieren vor der Residenz Netanyahus.

Gallant fordert Rücknahme von Kabinettsbeschluss

Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant rief seine Kabinettskollegen auf, nicht wie zuvor beschlossen auf einer andauernden israelischen Militärpräsenz im sogenannten Philadelphi-Korridor entlang der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten zu bestehen. "Für die Entführten, die kaltblütig ermordet wurden, ist es zu spät", schrieb er auf dem Kurznachrichtendienst X. "Die anderen Geiseln, die sich noch in der Gefangenschaft der Hamas befinden, müssen nach Hause zurückgebracht werden."

Das Sicherheitskabinett hatte in der Nacht zum Freitag entschieden, israelische Truppen in dem Korridor zu belassen. Kritiker Netanyahus warfen ihm vor, er habe sich damit de facto dafür entschieden, die Geiseln zu opfern. Die Anwesenheit israelischer Truppen in dem Grenzgebiet ist ein zentraler Streitpunkt in den Verhandlungen über eine Feuerpause und eine Geiselfreilassung. Gallant hatte als einziger gegen den Kabinettsbeschluss gestimmt. Die Regierung müsse "unverzüglich zusammenkommen und die am Donnerstag getroffene Entscheidung zurücknehmen", forderte er nun.

Armee: Geiseln von Hamas ermordet

Fast elf Monate nach dem Überfall der Terrormiliz Hamas auf Israel hatte die israelische Armee am Samstag in einem Tunnel bei Rafah im Süden des Gazastreifens die Leichen von sechs Geiseln gefunden. "Sie wurden von Hamas-Terroristen brutal ermordet, kurz bevor wir zu ihnen vorgedrungen sind", sagte Armeesprecher Daniel Hagari. 

Hamas Vertreter warfen Israel hingegen vor, die sechs Geiseln seien durch Bombenangriffe getötet worden. Die israelische Armee wies diese Äußerungen als "psychologische Kriegsführung" zurück. Israelischen Medienberichten zufolge sollten drei der jetzt tot gefundenen Geiseln im Falle eines Abkommens freikommen. 

Konfliktparteien als Quelle

Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch Stellen der palästinensischen und der israelischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage zum Teil nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.

Bei einem Großangriff auf zahlreiche Orte im Süden Israels hatte die militant-islamistische Hamas am 7. Oktober nach israelischen Angaben 1.205 Menschen getötet und 251 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Knapp elf Monate später befinden sich nach jüngsten israelischen Angaben noch immer 97 Geiseln in der Gewalt der Hamas und anderer militanter Palästinensergruppen, 33 von ihnen sind demnach tot.

Als Reaktion auf den Hamas-Angriff geht Israel massiv militärisch im Gazastreifen vor. Nach Angaben der Hamas, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden dabei seit Oktober mehr als 40.700 Menschen getötet. 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 01. September 2024 um 17:30 Uhr.