Proteste in Israel Längst mehr als ein Nein zur Justizreform
Die Proteste gegen die Justizreform zeigen, wie tief die israelische Gesellschaft gespalten ist: Ein liberales, weltoffenes Milieu steht rechtsnationalen und konservativen Gruppen gegenüber.
Etwa 20 Reservisten stehen und liegen vor dem Verteidigungsministerium in Tel Aviv. Sie tragen olivfarbene T-Shirts. Einige haben die israelische Flagge um den Hals gebunden oder um den Kopf gewickelt. Ihre Hände und Arme stecken in Plastikrohren. So verkeilt bilden sie eine Menschenkette.
Tausende Reservisten protestieren seit Monaten gegen die Pläne der Regierung. Sie drohen damit, nicht mehr freiwillig zum Dienst zu kommen. Es ist eine Drohung, die die Regierung alarmiert.
Premierminister Benjamin Netanyahu nannte es eine "Gefahr für die Sicherheit". Und er erinnerte die Soldaten daran, dass sie der gewählten Regierung unterstehen. Auch Generalstabschef Herzi Halevy warnte die Soldatinnen und Soldaten am Dienstag noch einmal: Wer zu einer Verweigerung des Dienstes aufruft, verletze die Armee und die Sicherheit des Staates.
Tausende Reservisten protestieren seit Monaten gegen die Pläne der Regierung. Sie drohen damit, nicht mehr freiwillig zum Dienst zu kommen.
Reservisten, Gewerkschaften, Mediziner machen Druck
Neben den Reservisten spielen die Gewerkschaften eine wichtige Rolle beim Widerstand gegen die Justizreform - für einige der Demonstranten eine zu leise Rolle. Vor der Zentrale des größten Gewerkschaftsverbands in Tel Aviv forderten sie, dass der Verband mehr Druck macht auf die Regierung, etwa durch einen Generalstreik.
Der Verband hatte schon im März zu einem Streik aufgerufen. Netanyahu setzte die Justizreform daraufhin aus. Später setzte er das Projekt aber fort.
Für Mittwoch haben Mediziner dazu aufgerufen, für einige Stunden ihre Arbeit zu unterbrechen. Wie Organisator Rani Barnea dem Fernsehsender Kanal 12 erzählt, befürchten die Mediziner, dass die Justizreform auch dem Gesundheitssektor schadet. Barnea wirft der Regierung vor, zu machen, was sie wolle.
Für morgen haben Mediziner dazu aufgerufen, für einige Stunden ihre Arbeit zu unterbrechen. Organisator Rani Barnea wirft der Regierung vor, zu machen, was sie wolle.
Israels Gesellschaft ist tief gespalten
Die Proteste sind längst mehr als ein Nein zur Justizreform. Sie zeigen, wie tief die israelische Gesellschaft gespalten ist: Auf der einen Seite ein linksliberales, weltoffenes Milieu, das vor allem in der Küstenmetropole Tel Aviv zu Hause ist.
Auf der anderen Seite stehen rechtsnationale und konservative Gruppen, die sich einen stärkeren religiösen Einfluss auf die Politik wünschen. In ihren Augen hat die Justiz zu viel Macht in Israel.
So sieht es auch der Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir. Er will mehr. Die jetzt diskutierte "Angemessenheitsklausel" sei nur der Anfang - wie eine Vorspeise.
Stopp der Reform ist unwahrscheinlich
Derzeit berät der Justizausschuss des Parlaments in einer Mammutsitzung mehr als 27.000 Änderungen und Vorbehalte gegen das Gesetz. Dass die Opposition die Reform damit stoppen kann, ist unwahrscheinlich.
Auch die Kritik aus dem Ausland wird lauter. Israels Präsident Izchak Herzog sprach am Abend mit US-Präsident Joe Biden über die Justizreform. Herzog ruft seit Monaten zum Dialog auf. Vor seinem Abflug warnte er nochmal davor, dass Israel durch die innere Spaltung einen hohen Preis zahle. Doch Herzogs Worte verhallten auch in der Vergangenheit.
Präsident, Gewerkschaften, Armee - derzeit ist nicht absehbar, wer helfen könnte, die Spaltung der israelischen Gesellschaft zu überwinden.