Junckers Weißbuch zur EU Fünf Szenarien für Europas Zukunft
Kommissionschef Juncker hat das lang erwartete "Weißbuch" zur Zukunft der EU vorgestellt. Die fünf Szenarien darin reichen von einer losen Handelsunion bis zu einer fast allmächtigen Zentrale in Brüssel. Wie aussichtsreich sind die Szenarien?
Zwei Zukunftsszenarien aus dem Weißbuch zur Zukunft der EU scheiden für den Kommissionspräsidenten aus: Eine Europäische Union, die einfach so weitermacht wie bisher, ist für Jean-Claude Juncker nicht vorstellbar ("Scenario 1: Carrying on"). Ebenso wenig eine EU, die sich selber politisch kastriert und nur noch eine europäische Freihandelszone nach innen sein möchte beziehungsweise eine Zollunion nach außen ("Scenario 2: Nothing but the single market"). Aufgeschrieben hat er sie trotzdem - denn auch das müsse besprochen werden.
Mehrere Geschwindigkeiten
Für realistisch hält der Chef der EU-Kommission hingegen Modell Nummer drei: ein Europa, in der eine Avantgarde das Schritttempo vorgibt ("Scenario 3: Those who want to do more"). Eine Koalition der Willigen, die zum Beispiel bereit wären Migranten aus Italien und Griechenland aufzunehmen. "Europäische Erfolge waren fast immer das Werk vorauseilender Pioniere - siehe das Schengen-Abkommen, siehe der Euro." Mit gutem Beispiel vorangehen und dadurch überzeugen, statt andere wie bisher durch EU-Mehrheitsbeschlüsse zu etwas zu zwingen, das sie nicht wollen.
Die Koalition der Willigen, dieses Merkel-Modell der zukünftigen EU, wäre aus Sicht von Juncker ein gangbarer Weg. Es wäre aber nicht unproblematisch, betont der Kommissionspräsident vor dem EU-Parlament in Brüssel. Zwar zielt das Avantgarde-Modell nicht darauf, andere EU-Staaten auszuschließen. Es räumt ihnen lediglich keine Veto-Macht mehr ein.
So will Juncker EU-skeptische Länder wie zum Beispiel Ungarn oder Polen auf Dauer zum Mitwirken bewegen, zum Beispiel bei der Flüchtlingsverteilung, beim besseren Informationsaustausch der Geheimdienste oder bei einer besseren Koordination der Steuer-und Sozialpolitik. "Diese Form der Avantgarde zielt nicht auf Exklusion, sondern auf spätere Inklusion", so Juncker.
Auf wenige wichtige Themenfelder beschränken
Aber bis es zur Inklusion kommt, könnte die europäische Gemeinsamkeit zwischen lauter Pionieren und Avantgardeclubs möglichweise zerrieben werden, befürchtet Juncker und warnt: "Dadurch wäre Europa noch schwerer verständlich als es ohnehin schon ist." Die Gefahr der Europamüdigkeit wäre damit noch größer. Deshalb betont Juncker an die Adresse von Merkel und der anderen Staats-und Regierungschefs: "Ziel muss es bleiben, mit 27 Ländern voranzumarschieren."
Doch dieses Voranmarschieren auf dem gesamteuropäischen Weg funktioniert aus Junckers Sicht nur, wenn sich die EU auf wenige wichtige Themenfelder beschränkt ("Scenario 4: Doing less more efficiently"). Auf Klimaschutz, Verteidigung und die Sicherung der Außengrenzen zum Beispiel - weniger ist mehr. Aber das Wenige bitte richtig und effizient, lautet Junckers Botschaft.
Der Kommissionspräsident ist Minimalist, weil er Realist ist. Eine mächtige EU wäre ihm deutlich lieber, eine EU beispielsweise, deren Parlament in Brüssel über ein Freihandelsabkommen wie mit Kanada abstimmen könnte, ohne die nationale Parlamente befragen zu müssen ("Scenario 5: Doing much more together"). Aber Juncker weiß: Eine solche EU wird es in absehbarer Zukunft wohl nicht geben.