Niederländischer Ministerpräsident Mark Rutte
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Interview zur Niederlande-Wahl Als "Wilders light" zum Wahlsieg?

Stand: 13.03.2017 15:34 Uhr

Kurz vor der Wahl steht der niederländische Premier Rutte unter Druck von rechts. Schon deshalb ließ er den Streit mit der Türkei eskalieren, sagt ARD-Korrespondent Ludger Kazmierczak. Ein Interview über Wahlkampf, Wilders und "Wilders light".

tagesschau.de: Herr Kazmierczak, glauben Sie, dass die niederländischen Maßnahmen gegen türkische Politiker anders ausgefallen wären, wenn in den Niederlanden keine Wahl kurz bevorstehen würde?

Ludger Kazmierczak: Ja, das glaube ich. Man hätte die Lage sicherlich nicht so eskalieren lassen. Wir wissen, dass die regierende Partei von Premier Mark Rutte durch die Rechtspopulisten unter Druck steht. Geert Wilders hat sogar Chancen, stärkste politische Kraft zu werden.

Und unter dem Druck dieses erfolgreichen Populisten haben Rutte und die anderen Parteien der politischen Mitte - die den niederländischen Maßnahmen zugestimmt haben - gesagt, dass man nicht klein beigeben darf. Ich denke, in Zeiten außerhalb des politischen Wahlkampfes hätte man noch etwas länger am Telefon gesessen, um mit den türkischen Kollegen zu sprechen.

Ludger Kazmierczak
Zur Person
Ludger Kazmierczak ist ARD-Hörfunkkorrespondent. Seit dem Jahr 2004 pendelt er als Büroleiter und Niederlande-Korrespondent zwischen Kleve und Den Haag. Von dort berichtet er auch über die bevorstehenden Parlamentswahlen in den Niederlanden.

"Das hätten die Niederländer verkraftet"

tagesschau.de: Das heißt, Sie bewerten die Maßnahmen der Niederlande als überzogen?

Kazmierczak: Es ist natürlich klar, dass das Provokationen der türkischen Regierung sind - schon allein, weil man türkische Politiker gegen den Willen der niederländischen Regierung nach Rotterdam geschickt hat. Dazu kommen die Verbalattacken von Erdogan und anderen Politikern, die den Niederlanden Faschismus vorgeworfen haben. Erdogan hat gesagt, dass die Niederlande eine "Bananenrepublik" seien. Das ist natürlich starker Tobak - und das gehört sich nicht unter NATO-Partnern und auch nicht unter europäischen Freunden.

Insofern sind das Provokationen, die ein Land nicht so einfach wegstecken muss. Aber diese sehr mündige niederländische Gesellschaft mit ihrer gewachsenen Demokratie, hätte es ausgehalten, wenn eine türkische Familienministerin auf dem Gelände des türkischen Generalkonsulats in Rotterdam nur vor ein paar Leuten - da hätten ja keine 50.000 Menschen Platz gehabt - geredet hätte. Die niederländische Gesellschaft hätte das verkraftet, ohne dass dort Tumulte ausgebrochen wären.

Rutte nähert sich an Wilders an

tagesschau.de: Lässt sich daraus ablesen, dass die niederländische Regierung dem Populisten Wilders das Feld der Ausländerpolitik nicht allein überlassen will?

Kazmierczak: Ja - und das ist auch eine Entwicklung, die sich schon in den vergangenen Monaten abgezeichnet hat. Denn Premier Rutte versucht bereits seit einiger Zeit, sich im Tonfall - und auch in seiner Positionierung - an Wilders anzunähern. Rutte hat auch eine ganzseitige Zeitungsanzeige vor einigen Wochen geschaltet - mit der Aussage: "Wer sich in diesem Land nicht so benimmt, wie das unseren niederländischen Werten entspricht, der solle das Land besser verlassen." Wenn unter dieser Anzeige "Geert Wilders" als Absender gestanden hätte, hätte das keinen verwundert. Dieser leichte Ruck nach rechts ist im Wahlkampf schon länger zu beobachten.

Was man mit Blick auf das türkisch-niederländische Verhältnis aber nicht vergessen sollte ist, dass es schon seit einigen Jahren immer wieder zu Zwischenfällen kommt, die dieses Verhältnis belasten. Einmal ging es zum Beispiel um ein türkisches Adoptivkind, dass bei lesbischen Eltern aufgewachsen ist. Es kann also gut sein, dass die Provokationen aus Ankara das Fass jetzt zum Überlaufen gebracht haben.

Warum einen "Wilders light" wählen?

tagesschau.de: Man könnte es aber auch so sehen, dass die Maßnahmen der Niederlande nicht gegen die Türkei gerichtet waren sondern gegen Geert Wilders. Was sagen Sie zu dieser These?

Kazmierczak: So sehe ich das auch. Man muss jetzt nur sehen, ob das Rutte hilft - ob die Wähler also sagen: "Seht mal, der Rutte kann auch durchgreifen!" Es kann aber auch sein, dass der Schuss nach hinten losgeht, weil die Leute sich fragen, warum sie einen "Wilders light" wählen sollen, wenn sie doch das Original haben können.

Rutte hat aber auch schon in einer weiteren Zeitungsanzeige darauf hingewiesen, dass es nicht funktioniert, Populisten zu wählen. Und es gibt in den Niederlanden auch viele Menschen, die eigentlich Wilders wählen wollen, aber auch sehen, dass das nichts bringt - Beispiel Trump in den USA. Es kann also sein, dass Wilders davon nicht profitiert, zumal es bei Wahlen fast immer so gewesen ist, dass Wilders mit seiner Partei PVV in Umfragen besser aussah als im Wahlergebnis.

Geert Wilders

Geert Wilders hat in Wahlumfragen stark verloren.

tagesschau.de: Der Türkei-Streit könnte für Rutte also ein Wahlgeschenk in letzter Minute gewesen sein?

Kazmierczak: Das könnte sein - es könnte allerdings auch in die andere Richtung gehen. Aber in den vergangenen Wochen hat Rutte in Umfragen zwar nicht zugelegt - Wilders hat dagegen stark verloren. Ich könnte mir vorstellen, dass Rutte die stärkste politische Kraft wird und dass sich Wilders den zweiten Platz vielleicht noch mit anderen Parteien teilen muss.

tagesschau.de: Noch eine Frage, die nichts mit der Wahl in den Niederlanden zu tun hat. Könnte es sein, dass die 400.000 türkischstämmigen Niederländer durch die Aktionen ihrer Regierung gegen türkische Politiker nun näher an Erdogan heranrücken?

Kazmierczak: Das kann ich mir gut vorstellen. Und ich glaube auch, dass die niederländische Regierung mit ihren Maßnahmen dem Herrn Erdogan einen Gefallen getan hat. Es sind ja auch viele Menschen auf die Straße gegangen, weil sie sich gefragt haben, warum ihre Politiker nicht ins Land dürfen. Rutte hat damit argumentiert, dass sich die Minister der Türkei ja gar nicht an Türken wenden, sondern an niederländische Staatsbürger mit einem türkischen Pass.

Mein Eindruck war aber, dass sich viele in der Tat eher als Türken betrachten. Und da das - gerade in Rotterdam - nicht wenige waren, denke ich schon, dass das Wahlkampfhilfe für Erdogan seitens der Niederlande war. Ich glaube allerdings auch, dass es bald wieder ruhiger wird. Man darf ja nicht vergessen, dass sich die Niederlande und die Türkei im Wahlkampfmodus befinden - und da bedient man sich schnell mal eines Tones, den man außerhalb eines Wahlkampfes nicht anschlagen würde.

Das Interview führte Alexander Drost, tagesschau.de.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 12. März 2017 um 22:45 Uhr.