Deutsches Ja zu Glyphosat Überraschend, vernünftig, überfällig
Ein tolldreister Theatercoup - genau den hat der sonst eher unscheinbare Minister Schmidt bei der Brüsseler Glyphosat-Entscheidung aufgeführt. Abgesehen von allen möglichen GroKo-Verwerfungen war das ein richtiger Schritt.
Dass auf der großen EU-Bühne manchmal Dramen aufgeführt werden, die sich keiner mehr ansehen mag, weil sich das Geschehen - wie in dem bekannten Murmeltier-Film aus Hollywood - ewig wiederholt, ist keine Seltenheit. Der Streit um die Flüchtlingsquote ist so ein Stück. Die Reform der Eurozone und die Brexit-Verhandlungen sind weitere Beispiele. Allein die Nennung der Begriffe genügt - und selbst hartgesottene Berichterstatter bekommen ein nervöses Zucken im Augenwinkel oder suchen schreiend das Weite.
Die "Glypho-Saga" - der nicht enden wollende Kampf um Verbot oder Neuzulassung des Unkrautvernichters Glyphosat - ist zweifellos der ungekrönte Spitzenreiter in dieser Reihe. Sozusagen das "Game of Thrones" unter den Brüsseler Dossiers. Doch ausgerechnet dieser Dauerbrenner hat nun ein völlig unerwartetes Ende gefunden.
Zu verdanken haben wir das ebenso abrupte wie überraschende Finale Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt. Der hat mit seinem tolldreisten Theatercoup dafür gesorgt, dass die mächtige Agrarnation Deutschland, der größte Nettozahler der EU, sich nicht länger feige hinter einer Stimmenthaltung versteckt und so eine ehrliche politische Mehrheit für oder gegen Glyphosat in Brüssel verhindert.
Ein Herz gefasst
Unter Umgehung der schwarz-roten Geschäftsordnung hat der sonst eher brav agierende CSU-Mann sich ein Herz gefasst und den bundesdeutschen Vertreter im zuständigen Fachausschuss angewiesen, diesmal mit "Ja" zu votieren. So wie 17 andere EU-Staaten auch, darunter Polen, Spanien, Großbritannien und die Niederlande. Weshalb die Lizenz für das weit verbreitete, aber bei Umweltschützern hoch umstrittene Spritzmittel nun doch ein paar Tage früher als gedacht um weitere fünf Jahre verlängert wird.
Mit der ebenfalls federführenden Ressortkollegin von der SPD, Umweltministerin Barbara Hendricks, war das offensichtlich nicht abgestimmt. Sie fühlt sich getäuscht, spricht von Vertrauensbruch und verweist auf die Belastung für die bevorstehenden Koalitionsgespräche. Ihre Parteifreundin, Fraktionschefin Anrea Nahles, wird noch deutlicher: Schmidts "Crashkurs" werfe die Frage auf, ob die Kanzlerin ihre Leute noch im Griff habe.
Die Empörung über den kalkulierten Regelverstoß ausgerechnet eines CSU-Ministers, ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt ist nachvollziehbar; die möglichen Folgen für die Regierungsbildung sind schwer abzuschätzen. Auch die Frage, wer Schmidt Rückendeckung gab, dürfte noch für Diskussionen sorgen.
Längst überfällig
Lässt man die ohne Frage spannende Berliner Sphäre jedoch einmal außer Acht und betrachtet den Fall ausschließlich durch die Brüsseler Brille, kann man die erstaunliche Wendung im vorerst letzten Akt der "Glypho-Saga" nur begrüßen. Denn in der Sache ist die Entscheidung vernünftig und sie war - angesichts des unwürdigen Schwarzer-Peter-Spiels zwischen Kommission und Mitgliedsstaaten - längst überfällig.
Schon im vergangenen Jahr hatte die europäische Lebensmittelbehörde EFSA grünes Licht gegeben. Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung, BfR, und zuletzt die europäische Chemikalienagentur ECHA hatten Glyphosat, bei fachgerechter Anwendung, Unbedenklichkeit bescheinigt.
Dass eine Unteragentur der WHO den Wirkstoff als "wahrscheinlich krebserregend" einstuft, steht dazu nur scheinbar im Widerspruch - denn die prüft nicht das konkrete Risiko für Mensch und Tier, sondern testet, ob ein Stoff prinzipiell und in höheren Dosen gesundheitsschädlich sein könnte. Wurst und Schinken fallen für die Forscher übrigens in dieselbe Kategorie.
In allerletzter Minute Handlungsfähigkeit bewiesen
Dank Deutschland, das seit der Bundestagswahl angeblich handlungsunfähig ist, haben die Mitgliedsstaaten der EU in allerletzter Minute Handlungsfähigkeit bewiesen und die Verantwortung in einer wichtigen Frage nicht wieder auf die Kommission abgewälzt. Die hätte - unter Berufung auf eine entsprechende Empfehlung des EU-Parlaments - ohnehin in Kürze so entschieden, um eine Flut teurer Schadenersatzklagen der Hersteller abzuwenden.
Jetzt haben alle Beteiligten, inklusive der Wissenschaft, weitere fünf Jahre Zeit, um die Akte Glyphosat noch einmal gründlich durchzugehen und insbesondere die Wechselwirkungen mit sogenannten Beistoffen oder etwaige Zusammenhänge mit dem Artensterben zu prüfen. Auch der Ruf Frankreichs, nach verträglichen Alternativen zu suchen, ist nicht vom Tisch. Das Entscheidende aber: Die Landwirte haben Planungssicherheit, und die zwischenzeitlich hysterische Debatte, die uns Verbraucher nur verängstigt hat, wird sich hoffentlich beruhigen.