Brand im Flüchtlingslager "Moria ist eine Katastrophe mit Ansage"
Die Menschen im Lager Moria lebten unter extrem schwierigen Bedingungen, erklärt Christina Psarra, Chefin von Ärzte ohne Grenzen in Griechenland, im Interview. Auch der Zugang von Hilfsorganisationen wurde immer weiter eingeschränkt.
tagesschau.de: Wie ist die gegenwärtige Situation im Flüchtlingslager Moria?
Christina Psarra: Unser Team ist seit dem Ausbruch der Brände direkt vor Ort aktiv. Wir sprechen von einer totalen Katastrophe. Es gibt ein paar Flecken, die nicht betroffen sind, aber sonst ist alles vollkommen verbrannt. Mehr als 12.000 Menschen befinden sich jetzt auf den Straßen. Bis jetzt gibt es noch keinen offiziellen Plan, wie damit umgegangenn werden soll. Wir sind ziemlich besorgt, weil es momentan keinen Platz gibt, wo die Menschen hin können.
Christina Psarra ist die Leiterin von Ärzte ohne Grenzen (MSF) in Griechenland. Seit Jahren kritisiert sie die Lebensverhältnisse von Flüchtlingen in griechischen Lagern. Das Feuer von Moria war für sie eine Katastrophe mit Ansage.
tagesschau.de: Was wissen Sie über die Brandursache? In manchen Berichten heißt es, Flüchtlinge hätten Feuer gelegt, andere sagen, Bewohner von Lesbos hätten das Lager von außen angezündet.
Psarra: Wir bekommen dazu auch widersprüchliche Informationen. Unsere Teams haben gesehen, dass es viele Feuer gab, die an vielen Stellen gleichzeitig brannten. Wir müssen abwarten, was die Untersuchungen dazu ergeben. Wir wissen noch nicht, ob Menschen durch die Feuer verletzt wurden. Wir stehen in Kontakt mit den örtlichen Krankenhäusern. Das Lager Moria ist für 3000 Menschen errichtet worden, aber da waren mehr als 12.000. Und die meisten davon lebten in Zelten in einem offenen Gelände in der Bergen. Momentan wissen wir gar nicht, wo all diese Leute sind. Manche sind in die Berge gegangen, andere in die angrenzende Stadt Mytilini hier auf Lesbos.
Nach dem Brand wissen Tausende nicht wohin. Viele Menschen sind durch den Brand traumatisiert. Ihren kargen Besitz haben viele meist verloren.
tagesschau.de: Was wird jetzt getan, um den Menschen zu helfen?
Psarra: Momentan wird nichts Konkretes getan, um den Leuten zu helfen. Von Athen wurde mehr Polizei nach Lesbos geschickt. Es gibt Gerüchte, dass über die Insel der Ausnahmezustand verhängt wird. Aber was das bedeutet, wissen wir nicht. Wir sind vor Ort und versuchen, zu helfen. Das Lager ist total niedergebrannt. Es geht jetzt nicht darum, hier oder da ein neues Zelt aufzustellen. Das Lager muss vollkommen neu aufgebaut werden.
Eingeschränkter Zugang für Hilfsorganisationen
tagesschau.de: Wie war die Situation vor dem Brand?
Psarra: Unsere Arbeit dort war in letzter Zeit sehr eingeschränkt. Anfang des Sommers hatten wir dort eine Isolierstation mit 60 Betten für Covid-19-Fälle aufgebaut. Die mussten wir auf behördliche Anordnung schließen. Die medizinische Versorgung in dem Lager war schlecht. Die Menschen lebten unter extrem schwierigen Bedingungen dicht gedrängt in Zelten.
Das Lager wurde für 3000 Menschen errichtet. Tatsächlich lebten dort aber mehr als 12.000 Menschen unter extrem schwierigen Verhältnissen.
tagesschau.de: Hatten Hilforganisationen freien Zugang zum Lager?
Psarra: Sie hatten Zugang, aber der wurde immer mehr eingeschränkt. Seit Monaten haben wir auf einen Aktionsplan für einen möglichen Covid-19-Ausbruch gewartet. Unsere Klinik wurde geschlossen, eine andere Klinik wurde nicht ausgestattet. Wir haben immer wieder gewarnt und jetzt haben wir das Worst-Case-Scenario.
Klinik für Covid-19-Kranke wurde von Behörden geschlossen
tagesschau.de: Was muss jetzt passieren?
Psarra: Als erstes müssen die Menschen versorgt worden. Dann müssen die mit Corona infizierten Leute gefunden und in Quarantäne gesteckt werden. Es gab 35 bestätigte Covid-19-Fälle dort. Dann muss die Situation grundsätzlich verbessert werden. Die Menschen haben jahrelang unter unwürdigen Bedingungen in dem Lager gelebt.
tagesschau.de: Was erwarten Sie denn von der internationalen Gemeinschaft, von Brüssel und der EU?
Psarra: Das Wichtigste jetzt ist, den Menschen zu helfen. Und dann muss klar sein, dass sich eine solche Situation wie in Moria nicht wiederholen darf. Die Lebensbedingungen dort waren vollkommen inakzeptabel. Diese Situation war eine Schande für uns alle.
Die Fragen stellte Reinhard Baumgarten, SWR.