Kritik an Israels Regierung Hoffnung, Wut und neuer Protest
Am Abend sind in Tel Aviv wieder Tausende gegen die Regierung auf die Straße gegangen. Angehörige der Geiseln forderten, deren Freilassung zur obersten Priorität zu machen. Die Polizei griff offenbar hart durch.
Ein dunkles Zimmer, ein bewaffneter Mann, der nervös raucht. Draußen eine Explosion. Ein Baby schreit in den Armen seiner Mutter. Mutter und Kind sollen entführte israelische Geiseln darstellen. Der Mann mit der Waffe soll ein Terrorist sein.
Die Zuschauer sehen die nachgestellte Szene mit einer VR-Brille und sollen so ein wenig nachempfinden können, was die Geiseln durchmachen. Das VR-Video wird auf dem "Platz der Geiseln" in Tel Aviv gezeigt. Es wurde von der Familie von Shlomi Ziv produziert. Der 40-Jährige arbeitete auf dem Nova-Musikfestival als Sicherheitsmann und wurde von Terroristen entführt. Liat Oriel ist die Cousine des Mannes.
Die Menschen auf der ganzen Welt verstehen nicht so ganz, was die Geiseln durchmachen. Wir wollen damit auch Staats- und Regierungschefs erreichen. Und sagen: Können Sie bitte mal nachfühlen, was mein Cousin durchmacht? Unser Video ist nur acht Minuten lang. Die Geiseln erleben das aber permanent.
Kritik an Regierungshaltung zu Geiseln
Die Israelin hofft, dass auch international der Druck steigt, dass Israel und die Hamas endlich ein Abkommen schließen. Doch Liat Oriel weiß, dass sie auch in Israel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Vor Kurzem hatte Israels Finanzminister Bezalel Smotrich gesagt, die Rückkehr der Geiseln sei nicht die allerwichtigste Sache. Und Israels Premier Benjamin Netanyahu hielt zwischenzeitlich seine Delegation von Verhandlungen zurück, weil die Forderungen der Hamas überzogen seien.
"So etwas treibt mich in den Wahnsinn", sagt Liat Oriel. Damit würden israelische Bürger Teil einer politischen Auseinandersetzung. "Damit werden sie und ihre Sicherheit nachrangig. Dabei sollte das absolute Priorität haben. Das ist empörend. Sie verhalten sich wie Wahnsinnige."
Netanyahu hält an seiner Linie fest
In vielen Familien der Geiseln herrscht ein tiefes Misstrauen gegenüber der Regierung. Netanyahu, so der Vorwurf, gehe es vor allem um sein politisches Überleben, den rechtsextremen Ministern um Fantasien, im Gazastreifen wieder israelische Siedlungen zu bauen.
Der Premierminister verteidigte seine Linie auf der Plattform X. Nur eine Kombination aus militärischem Druck und entschlossenen Verhandlungen würden zur Freilassung der Geiseln und der Verwirklichung aller Kriegsziele führen. Netanyahu sieht sich wohl bestätigt, denn israelische Medien berichten, die Hamas habe bei ihren Forderungen für ein Abkommen bereits nachgegeben, was diese jedoch zurückweist.
Laut Medienberichten geht es um eine sechswöchige Waffenruhe und die Freilassung von etwa 40 israelischen Geiseln. Dafür müsste Israel palästinensische Häftlinge freilassen, was bei den rechtsextremen Ministern der Regierung auf Ablehnung stoßen könnte.
Deal könnte Ende der Regierung bedeuten
"Ich bin noch nicht überzeugt davon, dass Netanyahu einen Deal eingehen wird", sagt der Journalist Ben Caspit im Fernsehkanal 12. "Denn das könnte das Ende der Regierung bedeuten." Letztendlich befänden sich die Karten bei den Ministern Ben Gvir und Smotrich und wenn ihnen die Bedingungen nicht gefallen, "wird sich Netanyahu zwischen den Geiseln und der Regierung entscheiden müssen".
In Tel Aviv gab es am Samstagabend gleich zwei große Versammlungen. Vor dem Kunstmuseum wurde an die Lage der verbliebenen Geiseln erinnert. Vor dem Hauptquartier der Armee wurde es deutlich lauter. Hier forderten Tausende Israelis Neuwahlen. Die Einsatzkräfte setzten Wasserwerfer gegen Demonstranten ein. Laut israelischen Medien gab es mehrere Festnahmen. Es war der wohl größte Protest dieser Art seit den Terroranschlägen des 7. Oktobers.