Nawalny im Porträt Charismatisch, talentiert, umstritten
Alexej Nawalny gilt als eines der wenigen politischen Talente in der russischen Opposition. Seine Kampagne gegen Korruption motiviert viele Menschen. Mehrfach fiel er aber auch durch nationalistische Parolen auf.
Charmant und charismatisch wirkt er. Alexej Nawalny weiß, mit welchen Themen er die Menschen in Russland ansprechen und sie mobilisieren kann. Ende März folgten Tausende in mehr als 80 Städten seinem Aufruf zum Protest gegen Korruption unter den Eliten.
Drei Wochen zuvor hatte der 41-Jährige ein Video veröffentlicht, mit dem er belegen wollte, dass Ministerpräsident Dimitri Medwedjew mittels scheinbar gemeinnütziger Organisationen über zahlreiche Luxusvillen verfügt. Das Video wurde binnen kurzer Zeit millionenfach angeklickt.
Offensichtlich hatte Nawalny die Stimmung besonders unter den jungen Menschen getroffen. Der jungen Generation seien Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, faire Spielregeln und Zukunftsperspektiven ohne Abhängigkeit von guten Beziehungen wichtig, sagt die russische Politikwissenschaftlerin Ekaterina Schulmann.
Hinzu kommt, dass die Realeinkommen aufgrund des Wirtschaftsabschwungs der vergangenen zwei Jahre in Russland gesunken sind. Der Protest richte sich jedoch nicht gegen das System als solches, so Schulmann. Vielmehr richte sich der Ärger gegen Rechtsbrüche, wie etwa die Korruption der Eliten und in den Jahren 2011/2012 gegen Wahlfälschung. Damals hatte Nawalny dem Protest mit der Beschreibung der Regierungspartei als "Partei der Gauner und Diebe" ein Motto geliefert.
Gegen Elitenkorruption
Nawalny engagiert sich seit Ende der 90er-Jahre in der Oppositionspolitik und als Aktivist gegen Korruption. Als Minderheitsaktionär mehrerer Staatskonzerne verschaffte er sich das Recht, Unternehmensdokumente anzufordern.
Im Jahr 2011 gründete er den "Fonds zur Korruptionsbekämpfung", der sich über Spenden finanziert. Dort können Bürger Hinweise auf Korruption geben, denen sein Team nachgeht. Ende 2015 veröffentlichte er bereits ein Video, das belegen soll, wie sich Generalstaatsanwalt Juri Tschaika und dessen Angehörige bereicherten. Mehrfach reichte sein Team Klagen gegen Staatsbeamte ein.
2013 dann erzielte er bei den Bürgermeisterwahlen von Moskau 27 Prozent, obwohl er in den regierungstreuen Medien, die die Medienlandschaft beherrschen, kaum vorkam. 2018 will er als Präsidentschaftskandidat gegen den amtierenden Staatschef Wladimir Putin antreten. Auch wenn es praktisch als ausgeschlossen gilt, dass er gegen Putin gewinnen würde, bleibt er eines der wenigen politischen Talente in der Opposition und steht damit im Fokus der Anhänger und Mitstreiter von Präsident Wladimir Putin.
Ende April wurde Nawalny von Unbekannten mit grüner Flüssigkeit attackiert. Sein rechtes Auge wurde stark verletzt.
Ein Spiel mit dem Feuer?
Dabei ist Nawalny nicht unumstritten. Worauf seine Gegner unermüdlich hinweisen, halten auch viele Sympathisanten für bedenklich: Nationalistische und rassistische Parolen, mit denen Nawalny mehrfach auffiel.
Er nahm am "russischen Marsch" teil, den Nationalisten jährlich am 4. November organisieren. 2007 trennte sich die liberale Partei Jabloko von ihm, der er seit 1999 angehörte. Nawalny behauptete, er habe Jabloko verlassen, weil sie keine erfolgversprechenden Konzepte mehr gehabt habe. Die Partei verweist auf bedenkliche Aussagen Nawalnys, die einen Rausschmiss nötig gemacht hätten.
In seinem Wahlprogramm zur Abstimmung über den Bürgermeister Moskaus im Jahr 2013 sprach er sich für eine Begrenzung des Zuzugs von Ausländern aus. In einem YouTube-Video bezeichnete er kaukasische Terroristen als Ungeziefer. Nawalny distanzierte sich später davon ebenso wie von der Parole "Russland den Russen".
Doch wenn er behauptet, dies sei nicht seine Überzeugung, er gehe nur auf die Stimmung im Land ein, damit er politisch etwas erreichen könne, so sei das zumindest ein "Spiel mit dem Feuer", sagt der Russland-Experte Jens Siegert.
Hitlervergleiche und Bewährungsstrafen
Im bereits einsetzenden Präsidentschaftswahlkampf setzen Anhänger und Mitstreiter Putins darauf, diesen Ruf Nawalnys gegen ihn zu nutzen. Mitte April berichtete der TV-Sender Doschd, in der Präsidialverwaltung sei eine Arbeitsgruppe mit dem Ziel gegründet worden, Nawalny politisch zu bekämpfen.
Kurz darauf erschien auf YouTube ein Video mit dem Titel "Hitler 1945. Nawalny 2018 - Wir können es wiederholen". YouTube entfernte das Video kurz darauf, Putins Sprecher Dimitri Peskow dementierte, dass der Kreml etwas mit dem Video zu tun habe. Doch rücken Politiker wie Kommunistenführer Gennadi Sjuganow Nawalny immer wieder in die Nähe Hitlers.
Was seine Gegner auch betonen: Nawalny ist zwei Mal wegen Betrugs vorbestraft. Im Juli 2013 wurde Nawalny zu Bewährungsstrafen und Geldbußen wegen besonders schweren Betrugs in Zusammenhang mit einem Vertrag mit dem staatlichen Holzkonzern Kirowles verurteilt.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte konstatierte jedoch Unregelmäßigkeiten bei den Ermittlungen und legte die Zahlung einer Entschädigung an Nawalny fest. Das Bezirksgericht Kirow nahm sich des Falls daraufhin im Februar 2017 noch einmal an und verurteilte Nawalny erneut zu fünf Jahren Haft auf Bewährung.
In einem weiteren Fall war Nawalny im Dezember 2014 zusammen mit seinem Bruder zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Während der Bruder die Strafe absitzen muss, erhielt Nawalny selbst Bewährung. In dem Fall ging es um angeblichen Betrug bei Geschäften mit dem französischen Unternehmen Yves Rocher. Vertreter der Firma bestritten allerdings die Anklagepunkte mehrfach.
Auch im Zusammenhang mit Protestaktionen erhielt Nawalny immer wieder Strafen. So zählte er nach der Demonstration gegen Korruption im März zu den etwa 1000 Festgenommenen und wurde zu 15 Tagen Arrest verurteilt.
Nicht ermittelt wurde jedoch gegen jene Angreifer, die Nawalny Ende April mit einer grünen Flüssigkeit am rechten Auge so stark verletzten, dass eine Operation nötig wurde. Dabei waren die Täter am Tatort gefilmt und als Aktivisten der militanten Serb-Bewegung erkannt worden.
Dezember 2016: Alexej Nawalny vor dem Gericht in Kirow.
Im Rahmen der gesetzlichen Ordnung
Ein weiterer Vorwurf gegen Nawalny lautet, er werde aus dem Ausland unterstützt. In der Tat erklärte der verurteilte und umstrittene Ex-Oligarch Michael Chodorkowski im April seine Unterstützung für Nawalny im Präsidentschaftswahlkampf.
Vor Jahren hatte zudem der regierungsnahe Fernsehsender NTW behauptet, Nawalny arbeite mit dem US-Geheimdienst CIA zusammen und habe den EU-Parlamentarier Guy Verhofstadt um finanzielle Unterstützung gebeten. Nawalnys Frau wies diese Behauptungen damals als lächerlich zurück, Nawalny selbst stand zu der Zeit unter Hausarrest und durfte nicht mit der Öffentlichkeit kommunizieren.
Ernsthaft geschadet haben Nawalny solche Vorwürfe bislang nicht, als Anführer einer geeinten Opposition in Russland galt er ohnehin nicht. Offenbar gelingt es auch nicht, von den Problemen abzulenken, die Nawalny immer wieder anspricht und die inzwischen vor allem die junge Bevölkerung zum Protest motiviert.
Putin und seine Führung selbst erklären seit Jahren, die Korruption müsse bekämpft werden - im Rahmen der gesetzlichen Ordnung. Doch genau das ist es, was Nawalny und die Demonstranten fordern: Die Befolgung der Gesetze durch die Führung des Landes.