Gedenkstunde im norwegischen Parlament "Raus aus der Dunkelheit"
Das norwegische Parlament hat mit einer Gedenkstunde der Anschlagsopfer gedacht. Ministerpräsident Stoltenberg fand erneut einfache Worte. Das norwegische Volk habe es geschafft, aus der Dunkelheit herauszufinden. Nach der Trauerzeit werde es darum gehen, Lehren zu ziehen.
Von Tim Krohn, ARD-Hörfunkstudio Stockholm
Eine einzelne Geige, sonst nichts. Kein Schmuck, kein Pomp und keine drohenden Zeigefinger. Norwegen bleibt sich treu, auch zur Gedenkfeier im Storting, dem kleinen bescheidenen Parlamentssaal in Oslo.
Norwegens Abgeordnete, König Harald und Kronprinz Haakon, verneigen sich gemeinsam vor den Toten. 77 Namen liest Parlamentspräsident Dag Terje Andersen vor. Einzeln, trocken - eine in seiner Schlichtheit umso eindrucksvollere Würdigung der Opfer.
Ministerpräsident Jens Stoltenberg sprach, wie er es immer getan hat seit den Anschlägen am 22. Juli: "Dem norwegischen Volk wurde am 22. Juli die Landkarte gesprengt, der Kompass in tausend Stücke zerschossen. Jeder einzelne von uns musste seinen Weg finden, raus aus Angst, Schock und Verzweiflung. Das hätte schief gehen können. Wir hätten uns verlaufen können. Aber das norwegische Volk kam an. Raus aus der Dunkelheit und der Ungewissheit haben wir den Weg gefunden nach Hause, nach Norwegen. Dafür will ich heute danken."
Nach der Trauerzeit sollen Lehren gezogen werden
Am 21. August wird Norwegen noch einmal inne halten. Dann findet in Oslo die große nationale Trauerfeier statt. Danach, so der Ministerpräsident, wird es auch darum gehen, Lehren zu ziehen. Politiker, Journalisten und diejenigen an den Stammtischen und Kantinen sollten mal darüber nachdenken, was sie so sagen, meinte Stoltenberg. Ohne sie beim Namen zu nennen bezog er sich dabei ganz offensichtlich auf die scharfen Migrations-Debatten der Vergangenheit, auf die wachsenden Erfolge der Rechtspopulisten.
"Ich möchte von diesem Rednerpult aus darum bitten, dass wir keine Hexenjagd auf andere Meinungen beginnen. Der Zusammenhalt, den wir jetzt gezeigt haben, sollte uns noch großzügiger machen. Wir können alle etwas aus dieser Tragödie lernen, denn wir haben alle einen guten Grund, auch mal zu sagen: Ich habe mich geirrt."
Keine Rachegedanken
Wieder fand Stoltenberg die richtigen Worte. Das Parlament ballt nicht die Faust. Es streckt die Hand aus. Die Bürger nehmen sie gern. Parlamentspräsident Andersen will auch künftig noch mit der Straßenbahn oder dem Bus zur Sitzung fahren. "All das", sagt er, "lassen wir uns nicht nehmen".
"Etwas, was international sehr auffiel in den vergangenen Tagen, ist das Fehlen von Rachegedanken in Norwegen. Als wir auf die Probe gestellt wurden, haben wir gezeigt, was für eine Nation wir sein wollen. Das ganze Volk steht zusammen, egal welche religiöse oder politische Überzeugung man hat."
Die Überlebenden von Utöya haben es gerne gehört. Regierungschef Stoltenberg würdigte die Jugendlichen heute als Hoffnungsträger. Es ist die Generation des 22. Juli.