Vor der Wahl in der Türkei Kompromiss rettet Oppositionsbündnis
Am Freitag war das türkische Oppositionsbündnis gegen Präsident Erdogan geplatzt - am Streit über einen gemeinsamen Kandidaten. Nun fanden die sechs Parteien einen Kompromiss, mit dem alle leben können.
Wenige Tage nach einem Zerwürfnis ist das türkische Oppositionsbündnis gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan vorerst wieder vereint. Meral Aksener, die Vorsitzende der nationalkonservativen Iyi-Partei, nahm in Ankara unerwartet an einem Treffen mit fünf weiteren Parteien teil, obwohl sie erst vergangene Woche die Zusammenarbeit aufgekündigt hatte. Es gab Applaus, als sie nun zur Sitzung erschien.
Aksener verwies auf Umfragen
Grund für den Streit in der vergangenen Woche war die Frage, wer bei der am 14. Mai geplanten Präsidentenwahl gegen Erdogan antreten soll. Die größte Oppositionspartei CHP wollte ihren Parteichef Kemal Kilicdaroglu aufstellen und wurde dabei von vier kleineren Parteien unterstützt. Aksener machte deutlich, dass sie das nicht mittrage, weil sie der Ansicht war, dass der Oppositionsführer schlechte Gewinnchancen hat.
Der "Sechser-Tisch" sei nicht mehr in der Lage, "in seinen Entscheidungen den Willen des Volkes wiederzugeben", sagte Aksener am Freitag. Sie wollte den beliebten Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu oder den Bürgermeister von Ankara, Mansur Yavas, nominieren. Beide CHP-Politiker schneiden in Umfragen besser ab als ihr Parteichef. Die beiden Bürgermeister wurden aber von den anderen Parteien abgelehnt.
Kompromiss glättet Wogen
Nach Angaben der Iyi-Partei wurde nun überraschend ein Kompromiss gefunden: Kilicdaroglu soll wie geplant als Kandidat aufgestellt werden, die beiden Bürgermeister sollen im Falle eines Wahlsiegs zu Vizepräsidenten ernannt werden. Die CHP akzeptierte den Vorschlag von Aksener. Am Abend wurde Kilicdaroglu offiziell zum Kandidaten der Opposition ernannt. "Unser größtes Ziel ist es, die Türkei zu Wohlstand, Frieden und Freude zu bringen", sagte der 74-Jährige nach der Nominierung vor Tausenden Anhängern. Das Bündnis will Erdogan nicht nur ablösen, sondern auch das 2017 von ihm durchgesetzte Präsidialsystem wieder abschaffen und durch eine parlamentarische Republik ersetzen.
Aksener ist in der Türkei eine prominente Oppositionelle. Ihr Austritt aus dem Bündnis hatte für große Aufregung gesorgt. Sie wurde vor allem für die Schärfe ihrer Aussagen kritisiert. Sie hatte etwa gesagt, die Wahl zwischen Erdogan und Kilicdaroglu sei eine "zwischen Tod und Malaria". Inwieweit der Streit dem Bündnis dauerhaft geschadet hat, ist noch nicht klar.
Zu der Allianz gehören neben der CHP und Akseners nationalistischer Iyi-Partei die konservative Glückseligkeitspartei von Temel Karamollaoglu, die Demokratische Partei von Gültekin Uysal, die Fortschrittspartei des früheren Wirtschaftsministers Ali Babacan und die Zukunftspartei von Erdogans früherem Regierungschef Ahmet Davutoglu. Nicht beteiligt ist die prokurdische HDP, die zweitgrößte Oppositionspartei im Parlament. Ihr droht die Auflösung, weil ihr die Regierung Verbindungen zu verbotenen kurdischen Extremistengruppen vorwirft.
Erdogan im Schwitzkasten
Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen gelten als Bewährungsprobe für Erdogan, der seit 20 Jahren an der Macht ist. Umfragen deuten auf ein enges Rennen für ihn und seine islamisch-konservative AKP hin.
Das Land kämpft mit massiver Inflation und hoher Arbeitslosigkeit. Zudem stehen Erdogan und seine Regierung nach den verheerenden Erdbeben vor gut einem Monat massiv in der Kritik: Ihnen wird unzureichendes und zu langsames Krisenmanagement vorgeworfen.