Steuerschlupflöcher Leaks, Empörung, Pläne, Nichtstun
Im Zuge der "Paradise-Papers"-Enthüllungen geraten auch die Bundesregierung und die Europäische Union unter Druck. Politiker und Nicht-Regierungsorganisationen bemängeln, dass der Kampf gegen Steueroasen nicht konsequent genug geführt werde.
Mit jedem Leak, das neue Steuertricksereien enthüllt, beginnt auch die Suche nach der politischen Verantwortlichkeit. Viele der in den "Paradise Papers" aufgedeckten Strategien zur Vermeidung von Steuern sind zwar unmoralisch, aber legal: sie nutzen Schlupflöcher, die zum Teil seit Jahren bekannt sind. Andere Fälle sind klar illegal. Hier verfestigt sich der Eindruck, dass die Ermittler einer übermächtigen Industrie gegenüber stehen.
Die Daten der "Paradise Papers" umfassen 13,4 Millionen Dokumente.
Die "Paradise Papers" sind die fünfte Enthüllung in einer Reihe von Steuergeschichten. Nach jeder einzelnen Veröffentlichung wurden politische Maßnahmen versprochen, zuletzt nach den "PanamaPapers" im April 2016. Das seien leere Versprechen, glaubt Fabio de Masi, Bundestagsabgeordneter der Linken. Deutschland und die EU würden den Kampf gegen die Steueroasen immer noch nicht ernst genug nehmen, glaubt der Politiker. Das neue Leak zeige deutlich, dass der "Saustall noch nicht ausgemistet ist". Wer sich jetzt zurücklehne und sage, es sei bereits so viel getan worden, der irre sich gewaltig, so de Masi.
Bisher wenig passiert
Nach der Veröffentlichung der "PanamaPapers" hatte der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble einen Zehn-Punkte-Plan angekündigt, mit dem er gegen Steuervermeidung und -hinterziehung vorgehen wollte. Mittlerweile ist Schäuble nicht mehr im Amt, umgesetzt sind die meisten der Punkte nicht.
In Deutschland passiere immer dann etwas, wenn Journalisten das Thema Steueroasen in die Öffentlichkeit rücken, meint auch der Grünen-Abgeordnete Gerhard Schick. Eine Gesamtstrategie im Kampf gegen Geldwäsche und Steuertricks fehle aber nach wie vor. Darüber hinaus hätten einige der Maßnahmen, die getroffen wurden, erhebliche Lücken.
Gerhard Schick (Grüne) sieht auch beim Transparenzregister Lücken.
Besitzverhältnisse immer noch intransparent
So etwa das Transparenzregister. In ihm sollen die wahren Besitzer von Firmen eingetragen sein. Schäuble hatte sich jahrelang auf europäischer Ebene dagegen gewehrt, ein solches Register einzuführen. Jetzt gibt es das Register zwar, allerdings ist es nicht öffentlich einsehbar und berücksichtigt die Tochterfirmen von Eigentümern nur unzureichend. "Wirkliche Öffentlichkeit und damit Transparenz wird so nicht erreicht", so Schick.
Kampf gegen Geldwäsche
Geht man nach den Kritikern, dann hat die neue Bundesregierung viel zu tun, wenn sie den Kampf gegen Steuertricks konsequenter führen will als die Große Koalition. Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) fordert ein Register, das die Besitzverhältnisse im Immobiliensektor offenlegt. Nur so könne der Geldwäsche in diesem Bereich wirksam begegnet werden, sagt Fiedler im Interview mit dem NDR.
Gerade im Sinne der Geldwäscheprävention sei ein Vorgehen gegen Steueroasen enorm wichtig, meint Fiedler. "Diese Destinationen werden von Geldwäschern, von Schwerkriminellen, Waffenhändlern und von organisierter Kriminalität genutzt. Und es gibt einen weiteren Bereich, den wir vielleicht als legal, aber nicht als gesellschaftlich legitim betrachten: legale Steuerkonstruktionen." Wer in dem Markt der Steueroasen seine Dienste anbiete, bei dem landeten zwangsläufig diese Zielgruppen.
Zudem kritisiert er, dass die auf Geldwäsche-Bekämpfung spezialisierte Financial Intelligence Unit seit diesem Sommer beim Zoll und nicht mehr beim Bundeskriminalamt angesiedelt ist. Dieser Schritt sei mit erheblichen Einsparungen beim Personal einhergegangen; zudem fehle den Kollegen des Zolls der Zugriff auf die Datenbanken der Landespolizeiämter. "Mir stellt sich die Frage, worin jetzt genau der Fortschritt dieser Umstrukturierung besteht", sagte Fiedler.
Austausch von Steuerdaten nötig
Die Nicht-Regierungsorganisation Tax Justice Network hat sich auf das Thema Steuergerechtigkeit spezialisiert. Auch ihr Vorsitzender Markus Meinzer sagt, dass die "Paradise Papers" ein Wachruf sein müssten. Deutschland müsse endlich seine Blockade-Haltung auf europäischer Ebene aufgeben und das so genannte Country-by-Country-Reporting voranbringen. Das sieht vor, dass multinationale Konzerne künftig bestimmte Steuerdaten veröffentlichen, damit Klarheit herrscht, in welchem Land die Konzerne wie viel Steuern zahlen. Bislang lehnte es die Bundesregierung ab, diese Daten in einer öffentlichen Datenbank auszutauschen, aus Wettbewerbsgründen. Aber nur so könne man letztlich kontrollieren, wer bei der Steuer trickst, sagte Meinzer.
EU-Untersuchungsausschuss bemängelt politischen Willen
Das aktuelle Datenleck bringt aber auch die Europäische Union unter Zugzwang. Die EU hat im Zuge der Enthüllungen über unfaire Steuerpraktiken in Luxemburg und über Offshore-Geschäfte der panamaischen Anwaltskanzlei Mossack Fonseca eigens zwei Untersuchungsausschüsse installiert. Der zweite, genannt Panama-Ausschuss, legt in diesem Herbst seinen Abschlussbericht vor. Der Ausschuss erhebt darin Vorwürfe gegen europäische Länder, die sich über Jahre hinweg nicht erfolgreich und zielgerichtet gegen Steuerbetrug eingesetzt hätten. Es mangele an politischem Willen.
Nicht nur mit den Staaten, auch mit der Industrie rechnet der Untersuchungsausschuss ab. Viele der geladenen Zeugen seien nicht erschienen. Der CDU-Politiker Werner Langen, der dem Ausschuss vorsitzt, sagte dem NDR: "Ich halte es aber für dringend erforderlich, dass wir insbesondere einen ständigen Untersuchungsausschuss einrichten, so wie dies der amerikanische Kongress getan hat. Das ist aber nur die halbe Sache. Die andere ist, dass das Parlament mehr Rechte braucht im Untersuchungsausschuss." Langen wünscht sich, dass der Ausschuss Vorladungen und Sanktionen aussprechen könne.
Eines der brennendsten Themen auf EU-Ebene ist eine einheitliche schwarze Liste mit Steueroasen. Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission, habe erklärt, er wolle "darauf hinwirken, dass keine Jurisdiktion, kein Land aus der EU auf der Blacklist erscheint, aber nach dem jetzigen Stand gehören eine Reihe von Ländern dazu", sagte Langen. Dafür werde man kämpfen müssen, auch im Hinblick auf die neuesten Enthüllungen der "Paradise Papers", die einmal mehr die Rolle von Ländern wie Malta, Großbritannien oder den Niederlanden bei den Steuertricks großer Konzerne und reicher Privatpersonen hervorheben.