Polen und der Mauerfall "Die erste Mauer fiel in der Danziger Werft"
Lech Walesa wird heute die aus Domino-Steinen aufgebaute Mauer in Berlin zu Fall bringen. Dass gerade Polens Ex-Präsident dies tun wird, hat hohen Symbolwert. Denn ohne Solidarnosc 1980 in Polen hätte es die anderen Revolutionen im Osten nicht gegeben - so sehen es zumindest viele in Polen.
Von Ludger Kazmierczak, ARD-Hörfunkkorrespondent Warschau
Heute ist "Domino-Day" in Berlin, und Polens früherer Staatspräsident Lech Walesa wird am Abend den ersten der rund 1000 bunten Mauersteine zu Fall bringen. Ein Bild von hohem Symbolwert, denn als wortgewandter Elektriker stand Walesa 1980 an der Spitze der streikenden Arbeiter in der Danziger Leninwerft. Erst dieser friedliche, aber entschlossene Widerstand der Gewerkschaft Solidarnosc habe den Weg für die anderen Revolutionen im Osten Europas geebnet, sagt der Friedensnobelpreisträger heute.
Diese Mauer aus Dominosteinen soll am Abend fallen
"Dieser Jahrestag ist wichtig und bildlich sehr schön, denn hier fällt etwas um", sagt Walesa. "Die Menschen mögen solche Bilder. Unsere Revolution und unsere Vereinbarungen waren nicht ganz so spektakulär, aber der erste Sieg fand 1980 in der Werft statt. Und jeder nächste war eine Folge dieses Siegs. Die erste Mauer fiel in der Danziger Werft. Und eines der letzten Ereignisse war dann der Fall der Berliner Mauer, aber das war eine Folge des ersten Falls."
Die polnischen Zeitungen sind voll mit Rückblicken auf das Wendejahr 1989. Die konservativ-liberale "Dziennik Gazeta Prawna" schreibt, dass die Feierlichkeiten in Berlin den Mythos verfestigen, wonach der Fall der Mauer das Ende des Kommunismus eingeläutet habe. Damit kritisiert das Blatt, dass im In- und Ausland die Rolle Polens in diesem Reformprozess zu wenig gewürdigt wird.
Polen überhaupt nicht erwähnt
Auch der Historiker Lukasz Kaminski findet, dass die Deutschen die Revolution in ihrem Land zu isoliert betrachten. "In diesem Jahr sind mehrere große Arbeiten über die 89er-Revolution erschienen, in denen Polen überhaupt nicht erwähnt wird. Wenn andere internationale Einflüsse zur Sprache kommen, sind es immer die sowjetischen." Auf der politischen Ebene werde natürlich betont, dass in Polen alles angefangen hat, aber im gesellschaftlichen Bewusstsein und sogar unter Wissenschaftlern existiere der polnische Einfluss auf diese Ereignisse gar nicht, beklagt der Historiker.
Die Tageszeitung "Polska" analysiert das deutsch-polnische Verhältnis 20 Jahre nach dem Mauerfall und kommt zu dem Schluss: "Weniger Misstrauen, aber immer noch zu wenig Sympathie". Die polnische Regierung, so der Kommentator, habe sich in den vergangenen zwei Jahren aus der Deutschlandpolitik fast völlig zurückgezogen, während Berlin sich unentwegt darum bemühe, Polen in Europa mehr Gewicht zu geben.
"Deutschland in vielen Bereichen ein Vorbild"
Außenminister Radoslaw Sikorski teilt diese Kritik erwartungsgemäß nicht. Er freut sich darüber, dass die bilateralen Beziehungen gut sind und dass sich alle Sorgen über ein zu großes und zu mächtiges Deutschland nicht bewahrheitet haben. "Ich war sicher nicht der einzige Europäer und schon gar nicht der einzige Pole, der bei aller Freude über den Fall des Kommunismus auch gemischte Gefühle hatte", so Sikorski. "Viele von uns dachten, die Deutschen werden das mächtigste Land in Europa sein und keiner wusste, wo das hinführt. Heute - nach 20 Jahren - können wir sagen: alles lief bestens. Deutschland ist ein zuverlässiger europäischer Partner, ein Land, das aufgrund seiner Werte und der gewachsenen Demokratie in vielen Bereichen ein Vorbild für Europa ist."
Lobt Deutschland als Vorbild: Polens Außenminister Sikorski
Die Deutsche Botschaft hat symbolisch Mauerelemente in der Warschauer Altstadt aufgestellt. Deutsche und Polen dürfen diese von Künstlern bemalten Steine am Nachmittag gemeinsam zum Einsturz bringen. Dazu gibt es Cocktails für alle Besucher und einen "Toast auf die Freiheit".