Benedikt XVI. im Porträt Ein Papst, der schwer zu fassen ist
Seit einem halben Jahrtausend war er der erste Deutsche, der ins höchste Amt der katholischen Kirche gewählt wurde. Doch die Begeisterung über die Papstwahl von Joseph Ratzinger im Jahr 2005 schlug bei vielen später in Enttäuschung um. Benedikt XVI. war kein Erneuerer, sondern ein Bewahrer.
Von Tilmann Kleinjung, ARD-Hörfunkstudio Rom
Als am Nachmittag des 19. April 2005 Kardinalprotodiakon Medina Estévez auf die Loggia des Petersdomes trat, da war das kürzeste Konklave der neueren Kirchengeschichte beendet. Weißer Rauch aus dem Schornstein über der Sixtinischen Kapelle, Glockenläuten. Und dann der mit Spannung erwartete Name des neuen Papstes: "Habemus Papam - Joseph Kardinal Ratzinger."
Wer als Papst ins Konklave zieht, heißt es, kommt als Kardinal wieder heraus. Die Wahl von Joseph Ratzinger zu Papst Benedikt XVI. widerlegte diese Binsenweisheit.
Der engste Mitarbeiter des verstorbenen Papstes Johannes Paul II. und Präfekt der Glaubenskongregation hatte bei den Buchmachern als Favorit auf den Papstthron gegolten. Sein erster Auftritt war eine Verneigung vor dem Vorgänger. "Nach dem großen Papst Johannes Paul II. haben die Herren Kardinäle mich gewählt, einen einfachen und bescheidenen Arbeiter im Weinberg des Herrn."
Nach 500 Jahren wieder ein deutscher Papst
Zum ersten Mal nach gut 500 Jahren gab es wieder einen deutschen Papst. Und die Deutschen, die mit dem Kardinal Ratzinger, dem strengen Glaubenswächter, so ihre Probleme gehabt hatten, ließen sich anstecken von der Begeisterung, die diese Tage in Rom im April 2005 weltweit auslösten. "Wir sind Papst", titelte die "Bild"-Zeitung. Und beim Weltjugendtag in Köln, der ersten großen Reise des neuen Papstes, wurde Benedikt XVI. mit einer Wärme empfangen, die den Deutschen kaum jemand zugetraut hatte.
Der Papst seinerseits ließ sich von der Begeisterung anstecken und blieb sich doch treu. Er pflegte sichtbar und hörbar einen anderen Stil als sein Vorgänger Johannes Paul: "Euch kommt heute die Aufgabe zu, den universalen Atem der Kirche zu leben. Lasst Euch vom Feuer des Geistes entflammen, damit ein neues Pfingsten Eure Herzen erneuere."
Absage an Reformen
Benedikt XVI. war kein Papst der Erneuerung. Die Abschaffung des Zölibats oder mehr Mitspracherechte für Laien - darüber wurde in diesem Pontifikat nicht einmal diskutiert. Bei seinem letzten Besuch in der deutschen Heimat im September 2011 in Freiburg erteilte er allen Reformwünschen eine deutliche Absage: "Die eigentliche Krise der Kirche in der westlichen Welt ist eine Krise des Glaubens. Wenn wir nicht zu einer echten Erneuerung des Glaubens finden, werden alle strukturellen Reformen wirkungslos bleiben."
Ratzinger war eher ein Papst der Konsolidierung als der Neuordnung, manche sprechen auch von einem Übergangspapst nach dem langen Pontifikat Johannes Pauls. Wo Benedikt neue Akzente setzen wollte, passierten Pannen. Der Aussöhnungsversuch mit der traditionalistischen Piusbruderschaft misslang, nachdem die antisemitischen Ausfälle eines Bischofs der Piusbrüder bekannt wurden. Vor allem im Judentum sorgte die Initiative des Papstes für schwere Irritationen.
Streitpunkt: Regensburger Rede
Oder die Auseinandersetzung mit dem Islam - Stichwort: Regensburger Rede. Benedikt XVI. zitierte am 12. September 2006 an der Universität Regensburg eine mittelalterliche Quelle. "Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten."
In weiten Teilen der islamischen Welt wurde das Zitat für bare Münze genommen, gezielt missverstanden, es kam zu blutigen Ausschreitungen. Benedikt XVI. entschuldigte sich und eröffnete damit ein ganz neues Kapitel im katholisch-muslimischen Dialog. Und noch eine Entschuldigung dieses Papstes wird wohl in die Kirchengeschichte eingehen: "Auch wir bitten Gott und die betroffenen Menschen inständig um Vergebung und versprechen zugleich, dass wir alles tun wollen, um solchen Missbrauch nicht wieder vorkommen zu lassen."
Kritik während des Missbrauchsskandals
Im Jahr 2010 wurden zahlreiche Fälle von Kindesmissbrauch durch katholische Geistliche bekannt. Auch wenn die Verbrechen teilweise Jahre, Jahrzehnte zurücklagen, wurde auch der Papst kritisiert. Die heftige Kritik an seiner Person verstörte Benedikt XVI. Sein langes Schweigen wiederum irritierte die Öffentlichkeit.
Dabei ließ er nie einen Zweifel an seiner Haltung: Die Kirche müsse die Kinder schützen und nicht pädophile Priester. "Auch die Kirche muss den Stock des Hirten gebrauchen. Heute sehen wir es, dass es keine Liebe ist, wenn ein für das priesterliche Leben unwürdiges Verhalten geduldet wird", sagte der Papst.
Glaube als Vernunft?
Joseph Ratzinger, der Wissenschaftler. Joseph Ratzinger, der Papst. Die Versöhnung von Glaube und Vernunft war eines der großen Themen dieses Pontifikats.
Benedikt XVI. verfasste eine mehrbändige Jesus-Biografie, in der er versuchte, die Ergebnisse der Forschung mit dem Glauben an Jesus Christus zusammenzubringen. Der Glaube an Gott, so seine Botschaft, sei vernünftig: "Eine Vernunft, die dem Göttlichen gegenüber taub ist und Religion in den Bereich der Subkulturen abdrängt, ist unfähig zum Dialog der Kulturen."
Kein Fortschritt bei der Ökumene
Benedikt XVI. war ein Papst aus dem Land der Reformation, aus dem Land Martin Luthers. Symbolträchtig war im September 2011 sein Auftritt im Erfurter Augustinerkloster, in das vor mehr als 500 Jahren der Mönch Martin Luther eingetreten war. Doch es blieb bei den Gesten, inhaltlich tat sich in der Ökumene unter Benedikt XVI. wenig.
Der für Deutschland wichtige evangelisch-katholische Dialog wurde von diesem Papst zwar gepflegt, erzielte aber keine Fortschritte, zum Beispiel in der Frage der gemeinsamen Eucharistiefeier. Bei seinem Besuch im Erfurter Augustinerkloster beschied Benedikt XVI. brüsk: "Es gibt keine Gastgeschenke." Und Ökumene sei keine Verhandlungssache: "Der Glaube ist nicht etwas, was wir ausdenken und aushandeln. Er ist die Grundlage, auf der wir leben. Nicht durch Abwägung von Vor- und Nachteilen, sondern nur durch tieferes Hineindenken und -leben wächst Einheit", sagte der Papst.
Berechenbar und doch für Überraschungen gut
Dieser Papst ist schwer zu fassen. Auf der einen Seite war Benedikt XVI. sehr berechenbar. Er blieb seiner Botschaft treu. In jeder Predigt, in jeder Enzyklika kann man sie wieder entdecken. Die Ausrichtung des Menschen auf Gott, auf Jesus Christus, das war sein Anliegen. Die Anpassung der Botschaft an den Zeitgeist verurteilte Benedikt XVI. als Relativismus.
Auf der anderen Seite war dieser Papst immer für Überraschungen gut. Das konnten auch Äußerlichkeiten sein: Vor seinem ersten Weihnachtsfest als Papst trug er den "Camauro", das ist eine rote Samtmütze mit Hermelinbesatz, die lange Zeit ungetragen in den päpstlichen Kleidermagazinen gelagert hatte.
Benedikt XVI. brach mit einem weiteren Tabu im Vatikan. Er stellte sich - wenn auch selten - richtigen Interviews, zum Beispiel vor seiner Reise nach Bayern im Jahr 2006. "Darf man sagen, Sie genießen ihr Amt?", lautete eine Frage. "Das ist ein bisschen viel, weil es doch mühsam ist", antwortete der Papst, "aber ich versuche Freude daran zu finden."
Ein Kind der Flakhelfergeneration
Joseph Ratzinger wurde am 16. April 1927 in Marktl am Inn geboren. Er gehört zur Flakhelfergeneration: zu jung für den Krieg, zu alt, um am Kriegsende nicht im Heimatschutz eingesetzt zu werden. Dieses kurze Kapitel in seiner Vita sorgte vor allem in der angelsächsischen Presse für Ressentiments gegen diesen Papst. "Von der Hitlerjugend zum Papa Ratzi" lautete die Schlagzeile der britischen "Sun" am Tag nach der Wahl.
Nach dem Krieg studierte Joseph Ratzinger katholische Theologie, wurde 1951 gemeinsam mit seinem Bruder Georg in Freising zum Priester geweiht, doch in der Seelsorge war er nur kurz tätig. Sein Feld war zeitlebens die Wissenschaft, als Professor in Bonn, Münster, Tübingen und Regensburg.
Im Jahr 1977 wurde Ratzinger von Papst Paul VI. zum Erzbischof von München ernannt, nur vier Jahre später holte ihn Johannes Paul II. nach Rom als Präfekt der römischen Glaubenskongregation. Am 19. April 2005 wählten ihn die Kardinäle zum 265. Papst der römisch-katholischen Kirche.