Stichwahl ums Präsidentenamt Wofür die Kandidaten im Iran stehen
Wer wird neuer Präsident im Iran? Das entscheidet sich am kommenden Freitag in einer Stichwahl. Um die Nachfolge des tödlich verunglückten Präsidenten Raisi ringen Peseschkian und Dschalili. Was unterscheidet sie?
Massud Peseschkian
Den 69-Jährigen hatte bis vor Kurzem noch niemand auf dem Zettel - und dennoch holte der einzige Kandidat aus dem eher moderaten Lager bei der ersten Runde der Präsidentenwahl die meisten Stimmen. Immerhin gut 42 Prozent entfielen auf den "Doktor", wie viele Iraner den Herzchirurgen Peseschkian nennen.
Seit Beginn des Wahlkampfs spricht er sich für eine Entspannung der Beziehungen zum Westen, insbesondere zu den USA, aus. Er will auf diese Weise eine Lockerung der Sanktionen erreichen, die Irans Wirtschaft und Bürgern schwer zusetzen. Zu diesem Zweck will Peseschkian sogar die Gespräche mit dem Westen über das iranische Atomprogramm wiederbeleben, die seit dem Rückzug der USA aus dem Atomabkommen im Jahr 2018 in einer Sackgasse stecken.
Innenpolitisch steht Peseschkian für einen liberaleren Kurs. So wandte er sich im Wahlkampf gegen das gewaltsame Einschreiten der Polizei, wenn Frauen den islamischen Schleier nicht ordnungsgemäß tragen. Er sei gegen "jedes gewaltsame und unmenschliche Verhalten", sagte er - "insbesondere gegen unsere Schwestern und Töchter, und wir werden nicht zulassen, dass sich solche Taten wiederholen".
Peseschkian spricht sich außerdem gegen die Internetzensur im Land aus. In einem Post auf X versprach er, dass sich eine mögliche Regierung unter seiner Führung gegen die Sperren stellen werde. Soziale Netzwerke, darunter die Plattformen Instagram, X und Telegram sind im Iran blockiert. Trotz der Sperrung sind Behörden, Regierung und auch zahlreiche Politiker auf den Plattformen aktiv.
Peseschkian als regimekritisch zu bezeichnen, geht aber zu weit. Denn er wurde nicht nur zur Wahl zugelassen, sondern hat auch seine Treue zum obersten Führer des Iran, Ajatollah Ali Chamenei, betont.
Massud Peseschkian kam im ersten Durchgang auf 42,4 Prozent.
Peseschkian kritisierte Behörden
Schon während der landesweiten Massenproteste, die durch den Tod der jungen Kurdin Jina Masa Amini im September 2022 nach ihrer Festnahme wegen angeblicher Verstöße gegen die strengen muslimischen Kleidervorschriften ausgebrochen waren, hatte Peseschkian Kritik am Vorgehen der Behörden geübt. Am Samstag rief er seine Anhänger auf, auch am kommenden Freitag für ihn abzustimmen, um "das Land vor Armut, Lügen, Diskriminierung und Ungerechtigkeit zu retten".
Peseschkian sitzt seit 2008 im Parlament. Von 2001 bis 2005 war er Gesundheitsminister unter dem Reformer-Präsidenten Mohammed Chatami. Dieser sowie der frühere gemäßigte Präsident Hassan Rohani und der Ex-Außenminister und Architekt des Atomabkommens, Dschawad Sarif, unterstützten Peseschkians Präsidentschaftskandidatur.
Im Wahlkampf trat der 69-Jährige bescheiden auf. Der Familienvater, der nach dem Tod seiner Frau und eines seiner Kinder bei einem Autounfall im Jahr 1993 seine übrigen drei Kinder allein aufzog, präsentierte sich als die "Stimme derjenigen ohne Stimme". Er versprach, sich im Falle eines Wahlsiegs um die Schwächsten der Gesellschaft zu kümmern. Seine Herkunft prädestiniert Peseschkian außerdem dafür, für Minderheiten einzutreten. Er wurde 1954 in Mahabad in der Rand-Provinz West-Aserbaidschan geboren und spricht außer Persisch auch Aserbaidschanisch und Kurdisch.
Said Dschalili
"Kein Kompromiss, keine Kapitulation" - mit diesem Sprechchor stellten sich Dschalilis Anhänger im Wahlkampf hinter ihn. Der 58-Jährige vertritt eine harte Haltung im Verhältnis zum Westen, wie sich schon in seiner Zeit als Atom-Chefunterhändler von 2007 bis 2013 zeigte.
In den Verhandlungen über das iranische Atomprogramm war er zu keinen Zugeständnissen bereit. Das schließlich 2015 geschlossene Atomabkommen seines Landes mit den USA und anderen westlichen Staaten kritisierte er als Verletzung von "roten Linien" der Islamischen Republik.
Dschalili kam 1965 in der nordostiranischen Stadt Maschhad als Spross einer frommen Mittelstandsfamilie zur Welt. Er kämpfte im Ersten Golfkrieg und verlor an der Front durch ein Schrapnell seinen rechten Fuß, weswegen er im Iran als "lebender Märtyrer" gilt. In der Folge erwarb er einen Doktortitel in Politik der Teheraner Imam-Sadegh-Universität, die die politischen Kader der Islamischen Republik ausbildet, und schlug eine politische Karriere ein. Unter westlichen Diplomaten ist er für seine angriffslustigen Vorträge und seine harten Positionen bekannt.
Said Dschalili holte im ersten Durchgang rund 38,6 Prozent.
Dschalili weiß Chamenei hinter sich
Anfang der 2000er-Jahre gehörte Dschalili dem Büro des geistlichen Führers des Iran, Ayatollah Ali Chamenei, an. Unter dem populistischen Hardliner-Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad wurde er Vize-Außenminister für Europa und Südamerika. Bei der Präsidentenwahl 2013 belegte Dschalili mit einem Stimmenanteil von nur elf Prozent den dritten Platz. 2021 zog er seine Kandidatur zu Gunsten des ultrakonservativen Kandidaten Raisi zurück, der gewann.
Nach Raisis Tod bei einem Hubschrauberabsturz im Mai hat Dschalili nun die Chance, selbst Präsident zu werden. In der Stichwahl könnte er das zersplitterte konservative Lager einen und die Stimmen der beiden ausgeschiedenen konservativen Bewerber holen. Der drittplatzierte Kandidat Mohammed-Bagher Ghalibaf und zwei unmittelbar vor der ersten Wahlrunde ausgestiegene konservative Kandidaten riefen ihre Anhänger bereits auf, für Dschalili zu stimmen.
In der ersten Runde erzielte Dschalili mehr als 38 Prozent. Er gilt als erzkonservativ und würde mit großer Wahrscheinlichkeit Raisis Kurs weiterführen. Dessen ultra-konservative Regierung schränkte die Rechte von Frauen in den letzten Jahren vermehrt ein, pochte auf noch strengere Kleidervorschriften und schlug in der Folge die Frau-Leben-Freiheit-Proteste im Herbst 2022 blutig nieder. Den Älteren war Raisi zudem als führender Staatsanwalt im Gedächtnis, der in den 1980er-Jahren Tausende Oppositionelle und Kritiker hinrichten ließ.
Dschalili weiß Chamenei hinter sich. Dieser hat ihn als einen seiner Vertreter in den Obersten Rat für nationale Sicherheit, das höchste sicherheitspolitische Gremium des Landes, entsandt.
Mit Informationen von Karin Senz, Katharina Willinger und Uwe Lueb, ARD-Studio Istanbul