Zukunft der EU Ruttes starke Rolle
Frankreichs EU-Enthusiast Macron ist geschwächt, Bundeskanzlerin Merkel auch. Ihre Lücke in Brüssel füllt immer stärker der niederländische Regierungschef Rutte aus, dem auch höhere Ämter zugetraut werden.
EU-Fan Mark Rutte hat klare Vorstellungen davon, wie seine persönliche politische Zukunft aussieht: Der niederländische Regierungschef möchte nach der Europawahl im Mai Ratspräsident der Europäischen Union werden. Die Brüsseler Gerüchteküche handelt ihn bereits als potenziellen Nachfolger von Donald Tusk. Pflichtgemäß dementiert Rutte seine Ambition. Nein, er wolle keinen Top-Job in Brüssel, betont er auf Nachfrage.
Entschiedener Gegner des Euro-Budgets
Der Niederländer spielt bereits eine entscheidende Rolle in der EU, und zwar als erklärter Gegner des Macron-Vorschlages eines Euro-Budgets und einer immer tiefer integrierten Europäischen Union. Rutte sieht sich als personifizierte Mahnung an Bundeskanzlerin Angela Merkel, sich nicht auf Emmanuel Macrons Irrweg zu begeben. Aus Ruttes Sicht ist dieses Budget nicht finanziert, nicht durchdacht und nicht zielführend.
"Verbiegen Sie sich nicht", lautet sein Appell an Merkel. "Spielen Sie keine europapolitische Interessenübereinstimmung und Wahlverwandschaft zwischen Berlin und Paris vor, wo es de facto vor allem einen Dissenz gibt." In der Beschränkung zeige sich der Meister, bringt Rutte Goethes berühmten Ausspruch aus den "Wahlverwandschaften" zu Gehör.
Rutte gilt als potenzieller Nachfolger von EU-Ratspräsident Tusk.
Weniger ankündigen - mehr erreichen
Weniger ist mehr, heißt Ruttes EU-Devise. "Immer mehr Europa, eine immer engere Union - nein, nicht für mich", betonte er 2018 vor dem EU-Parlament in Straßburg. Die Forderung nach immer mehr Europa ist seiner Meinung nach nur Munition für Populisten und EU-Gegner, die er in den Niederlanden erfolgreich politisch bekämpft hat.
Weniger versprechen, weniger ankündigen - dafür aber um so mehr erreichen, lautet sein Rezept. Mehr erreichen vor allem in der Flüchtlingspolitik. "Ja, wir müssen in Sachen Migration besser werden", sagt er. "Wir müssen darauf vorbereitet sein, die nächste Migrationskrise zu bewältigen."
Eltern erreichten die Niederlande völlig mittellos
Was Vertreibung und Flucht bedeuten, weiß Rutte besser als viele andere EU-Staats- und Regierungschefs. Denn sein Vater lebte zunächst in der ehemaligen niederländischen Kolonie Indonesien, wurde während des Zweiten Weltkrieges in einem japanischen Arbeitslager interniert und später aus Indonesien vertrieben.
Völlig mittellos erreichten Ruttes Eltern Den Haag. Ihr Sohn Mark hat daher nicht das geringste Verständnis für die unsolidarische Haltung Polens und Ungarns, auf keinen Fall Flüchtlinge aufzunehmen, die über das Mittelmeer nach Europa kommen. Auch nicht für die Entschlossenheit der Regierungen in Warschau und Budapest, den Mehrheitsbeschluss zur Flüchtlingsverteilung und damit ein EU-Gesetz einfach zu ignorieren.
"Eine Abmachung ist eine Abmachung", lautete das Leitmotiv von Ruttes Grundsatzrede vor dem EU-Parlament. Die schwierigen EU-Kompromisse müssten von allen voll und ganz getragen werden. Doch bei aller betonten Prinzipientreue ist Rutte klar, dass auch in den Niederlanden die Bereitschaft, Spanien, Italien oder Griechenland weitere Flüchtlinge abzunehmen, gering ist.
Rutte und der dänische Ministerpräsident Lökke Rasmussen pflegen einen intensiven Austausch.
"Asylgesetz fair und effektiv machen"
Der ehemalige Unilever-Personalmanager gilt als einer der besten Netzwerker in der EU. Er pflegt vor allem den Austausch mit Dänemarks liberal-konservativem Regierungschef Lars Lökke Rasmussen. Dänemark ist das Land mit den mittlerweile schärfsten Asylgesetzen in Europa.
"Wir müssen jetzt das Asylsystem der EU fair und effektiv machen", appelliert Rutte. "Wenn wir in diesem Punkt kollektiv versagen, riskieren wir die Vorteile, welche uns die offenen Schengen-Grenzen gebracht haben."
Rutte ist sich bewusst: Wenn die EU nicht sehr bald effektiver funktioniert und dem Sicherheitsbedürfnis ihrer Bürger nicht noch vor den Europawahlen besser gerecht wird, werden weder Merkel noch Macron, und auch nicht Rutte selbst den Siegeszug der Rechtspopulisten aufhalten - ganz gleich ob sie Marine Le Pen, Viktor Orban oder Matteo Salvini heißen.