Grenzkontrollen in der EU Die Angst vor dem Schlagbaum
Die Erweiterungen der Grenzkontrollen ist das zentrale Thema bei den Beratungen der EU-Innenminister. Der pass- und kontrollfreie Schengen-Raum scheint zunehmend infrage zu stehen. Für viele Länder und Gemeinden wäre die Abschaffung jedoch eine wirtschaftliche Katastrophe.
Ralf Uhlenbruch steht vor dem Rathaus seiner kleinen Gemeinde Perl: Nicht mal 8000 Einwohner, gelegen im nordwestlichsten Zipfel des Saarlandes.
Wenn der Bürgermeister in die eine Richtung vom Hügel hinabschaut, sieht er die Mosel - und auf der anderen Seite das Dorf Schengen, das schon zu Luxemburg gehört. Dreht er sich um 90 Grad nach links, fällt sein Blick auf Weinberge. Die gehören schon zu Frankreich.
Und dreht er sich um, liegt die deutsche Hauptstraße vor ihm. Der Verkehr fließt. Noch, seufzt CDU-Mann Uhlenbruch: "Wenn hier wieder Grenzkontrollen eingeführt würden, haben wir natürlich ein Problem. Zum Beispiel müssen wir mit erheblichen Verkehrsbehinderungen rechnen." Lange Staus würden sich bilden, so Uhlenbruch. " Das haben wir in den Jahren vor Schengen ja alles schon mal miterlebt."
Der Ort lebt von Luxemburgern und Franzosen
Doch die Staus sind nur das eine. Perl lebt von Luxemburgern und Franzosen. In Massen strömen sie über die Grenze: in zwei riesige Supermärkte, in die Drogerien, in den umsatzstärksten Aldi Süddeutschlands, der hier steht. Und das bei nur 8000 Einwohnern, die Perl hat.
Das Bild auf der gegenüberliegenden Seite der Mosel ist im Prinzip nicht anders - nur in viel größerem Maße. In entscheidendem Maße. "Für uns geht es bei dieser Diskussion um alles", stellt Marc Wagener klar.
Er leitet die Handelskammer des Großherzogtums mit. "Ein Land wie Luxemburg, welches einen Großteil seines Wohlstandes auch auf Ideen, auf Kapital, auf Arbeitnehmern aus dem Ausland aufgebaut hat, müsste sein Geschäftsmodell komplett überdenken", so der Volkswirtschaftler. Die Luxemburger verdankten ihren Wohlstand zu einem entscheidenden Teil den europäischen Nachbarn.
Fast die Hälfte aller Arbeitnehmer in Luxemburg pendelt aus den umliegenden Ländern - also aus Deutschland, Belgien oder Frankreich - ins Land: "Wenn beispielsweise 80.000 Franzosen die Grenze passieren, dann überqueren davon vermutlich 60.000 den selben Grenzposten irgendwo entlang der Autobahn", so Wagener. "Und wenn dann jeder stehen bleiben muss, um sich auszuweisen - und jeder will zwischen sieben und acht nach Luxemburg rein - das wird ja nicht funktionieren."
Das Abkommen von Schengen in Luxemburg beseitigte 1985 zunächst die Schlagbäume zwischen Deutschland, Frankreich und den Benelux-Ländern. Heute gehören 26 Staaten zum "Schengen-Land", in dem keine Binnengrenzen kontrolliert werden sollen. Neben 22 der 28 EU-Ländern (alle außer Großbritannien, Irland, Zypern, Bulgarien, Rumänien und Kroatien) sind das Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz.
Die Landgrenzen dieses Schengen-Raums mit mehr als 400 Millionen Einwohnern sind mehr als 7700 Kilometer lang, die Seegrenzen knapp 42.700 Kilometer. An den Grenzen zwischen den Schengen-Staaten werden Reisende nur noch in Stichproben oder bei besonderen Ereignissen kontrolliert.
Nach Artikel 23 des Schengener Grenzkodex kann ein Mitgliedsland "im Falle einer schwerwiegenden Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit" für einen begrenzten Zeitraum an seinen Grenzen ausnahmsweise wieder Personen kontrollieren. Die Maßnahmen dürfen höchstens 30 Tage dauern oder so lange, wie die "schwerwiegende Bedrohung" andauert. Die Schengen-Staaten nutzten diese Klausel zum Beispiel, um vor großen Sportveranstaltungen oder Gipfeltreffen Reisende zu kontrollieren.
Artikel 26 lässt notfalls auch eine Verlängerung der Kontrollen auf bis zu zwei Jahre zu, wenn "anhaltende schwerwiegende Mängel bei den Kontrollen an den Außengrenzen" das Funktionieren des Schengenraums insgesamt gefährden. Im Falle der Flüchtlingssituation in Griechenland muss die EU jetzt ausdrücklich feststellen, dass die Sicherung der EU-Außengrenzen auch nach den ersten 30 Tagen mit Grenzkontrollen nicht funktioniert. Sollten die EU-Länder der Meinung sein, dass die EU-Außengrenzen nicht gesichert sind, kann die EU dem Antrag Griechenlands zur Verlängerung von Grenzkontrollen stattgeben.
Deutsche Unternehmer warnen vor Verlängerung der Kontrollen
Kitas könnten dann nicht pünktlich öffnen, Supermärkte blieben geschlossen. Aber auch in den Bankentürmen des Großherzogtums müsste man komplett umdenken, wenn man nicht mehr einfach so hineinkäme nach Luxemburg.
Nun mag man noch sagen, dass es sich ja nur um das kleine Luxemburg handelt. Doch spätestens jetzt grätscht auch die deutsche Wirtschaft dazwischen.
Ingo Kramer etwa, der Präsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, fragt sich schon öffentlich, ob vielen Politikern europaweit eigentlich klar ist, was sie da leichtfertig herbeireden bei einer stetigen Verlängerung von Grenzkontrollen. "Mein Unternehmen in Deutschland kriegt jeden Tag Zulieferungen aus Polen, Italien, Frankreich und liefert das am selben Tag weiter in ein anderes Land", erläutert Kramer. "Dieser ganze Prozess würde zum Erliegen kommen, wenn wieder tagelang die Lkw an den Grenzkontrollen warten."
Kontrollen am liebsten auf unbestimmte Zeit verlängern
Und genau um dieses Szenario könnte es eben gehen bei den Diskussionen der EU-Innenminister. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat für Deutschland bereits klar gemacht, dass er die Kontrollen am liebsten auf unbestimmte Zeit verlängern will, mindestens aber bis Ende 2017. Mehrere andere Länder, zum Beispiel Österreich oder Belgien, sehen das ganz ähnlich.
Mitspielen müsste allerdings die EU-Kommission, so sehen es die derzeit gültigen Verträge vor. Und die warnt vor immensen volkswirtschaftlichen Kosten, die auf uns alle zukommen könnten. Von mehreren hundert Millionen Euro geht man bereits in Dänemark und Schweden aus, seit dort kontrolliert wird.
Und es ist nicht nur das, seufzt Bürgermeister Uhlenbruch im kleinen saarländischen Perl. Der CDU-Politiker hat größte Probleme, die ihm zugewiesenen Flüchtlinge alle unterzubringen. Gleichwohl sagt er, dass Grenzschließungen nicht das richtige Mittel seien, um diese Herausforderungen in den Griff zu bekommen.
Dabei zeigt sein Finger Richtung Weinberge: "Wir haben hier sehr viele Verbindungsstraßen, zum Beispiel nach Frankreich. Die kann man trotz Grenzkontrollen nur sehr schwer kontrollieren, und wenn, dann nur mit einem hohen personellen und materiellen Aufwand. Das ist aus meiner Sicht nicht zu gewährleisten." Und stehe deshalb in keinem Verhältnis zu den Kosten, die dann auf Land und Bund zukämen, wollte man wirklich kontrollieren und alle Schlupflöcher schließen.