Europäisches Gericht prüft Ist die Sicherungsverwahrung rechtens?
Der Menschenrechtsgerichtshof entscheidet erneut über die deutsche Sicherungsverwahrung. Geklagt hat ein Mann, der wegen Mordes an einer Joggerin hinter Gittern sitzt. Fragen und Antworten.
Um welchen Fall geht es?
Es geht um einen Mann, der 1999 wegen Mordes an einer Joggerin verurteilt wurde. Der Täter hatte die Frau stranguliert und sich anschließend sexuell an ihr vergangen. Zum Zeitpunkt der Tat war er 19 Jahre alt und wurde als "Heranwachsender" nach Jugendstrafrecht verurteilt. Zehn Jahre Gefängnis lautete das Urteil.
2009, kurz vor seiner Entlassung, verhängte das Landgericht Regensburg die nachträgliche Sicherungsverwahrung. Die Richter hielten den Mann wegen seiner anhaltenden sadistischen Sex-Fantasien für gefährlich. Es war die erste nachträglich verhängte Sicherungsverwahrung bei einem Straftäter, der nach Jugendstrafrecht verurteilt worden war. Gegen die Sicherungsverwahrung klagt der Mann seit Jahren.
Was ist die Sicherungsverwahrung?
Die Sicherungsverwahrung ist das schärfste Schwert, das es im deutschen Strafrecht gibt. Aber: Es soll gerade keine Strafe für die begangene Tat sein. Die Schuld ist also verbüßt und trotzdem bleibt der Täter hinter Gittern. Die Allgemeinheit soll in Extremfällen vor bestimmten Tätern geschützt werden. Und zwar immer dann, wenn von ihnen eine besonders hohe Gefahr ausgeht, dass sie schwere Straftaten erneut begehen könnten. Es handelt sich also um eine präventive Maßregel.
Wo liegt das Problem bei der Sicherungsverwahrung?
Grundsätzlich hat jeder Mensch das Recht auf Freiheit. Das ergibt sich sowohl aus dem Grundgesetz als auch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention. Für die Haftstrafe darf dieses Freiheitsrecht eingeschränkt werden. Haben die Täter die verhängte Strafe aber im Gefängnis abgesessen, dürfen sie nicht weiter bestraft werden. Es geht dann nicht mehr um den Ausgleich für Schuld. Die Sicherungsverwahrung darf deshalb nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen verhängt werden.
2009 erklärte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof die Regeln zur nachträglichen Sicherungsverwahrung in Deutschland für rechtswidrig. Es ging also vor allem um die Fälle, bei welchen die Sicherungsverwahrung nicht bereits im Urteil angeordnet wurde, sondern erst kurz vor der Entlassung des Täters. Die Richter in Straßburg bemängelten aber auch allgemein, dass die Sicherungsverwahrung sich in Deutschland überhaupt nicht von der "normalen" Strafhaft im Gefängnis unterschied und damit wie eine zweite Strafe wirke. Auch das Bundesverfassungsgericht erklärte 2011 die deutsche Regelung insgesamt für verfassungswidrig. Viele Sicherungsverwahrte kamen frei.
Schon 2009 fällte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Urteil zur nachträglichen Sicherungsverwahrung in Deutschland.
Was passierte mit den besonders gefährlichen Altfällen?
2013 trat ein neues Gesetz zur Sicherungsverwahrung in Kraft. Für alle Taten, die vorher begangen wurden, galten und gelten die strengen Übergangsregeln, die das Bundesverfassungsgericht 2011 aufstellte. "Drinbleiben" mussten nur Menschen, von denen eine hochgradige Gefahr für schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten ausgeht. Diese Gefahr muss sich aus konkreten Umständen ergeben.
Jedes Jahr muss überprüft werden, ob der Sicherungsverwahrte tatsächlich noch gefährlich ist. Und vor allem: Die Unterbringung muss sich deutlich von der Strafhaft unterscheiden. Dazu zählen auch bessere Therapieangebote.
Auch die Neuregelung von 2013 gestattet unter besonders strengen Voraussetzungen die nachträgliche Sicherungsverwahrung.
Was entscheidet der Menschenrechtsgerichtshof jetzt?
Die Neuregelung in Deutschland hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof 2016 grundsätzlich schon gebilligt.
2012 verhängte das Landgericht Regensburg erneut die Sicherungsverwahrung gegen den 1999 verurteilten Sexualmörder, der die Joggerin getötet hatte. Diesmal unter Anwendung der strengeren Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hatte. Der Beschwerdeführer, der nunmehr seit fast 20 Jahren die Freiheit nicht widererlangt hat, sieht darin einen Verstoß gegen sein Freiheitsrecht aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und gegen den Grundsatz, dass ohne ein entsprechendes Gesetz keine Strafe verhängt werden darf. Vor der Kammer des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs kam er mit dieser Argumentation im Februar 2017 nicht durch. Jetzt entscheidet die große Kammer abschließend.