EU-Türkei-Deal Ruhe nach dem Sturm
Erstaunlich ruhig ist es in den vergangenen Wochen um den EU-Türkei-Deal geworden. Das ist verwunderlich, war das Flüchtlingsabkommen und die daran geknüpfte Visafreiheit für Türken doch im Sommer noch großer Zankapfel der Politik. Was ist seitdem passiert?
Von Kai Küstner, ARD-Studio Brüssel
Ohne Visum in die EU einreisen: Darauf werden die Türken vorerst weiter warten müssen. Die Europäer haben dafür nämlich zur Bedingung gemacht, dass die Regierung in Ankara einen 72-Punkte-Katalog abarbeitet. Sieben davon sind weiter unerfüllt, wie die EU-Kommission jetzt mitteilte.
Als wirklich harte Nuss gilt im Grunde aber nur eine der Bedingungen: die türkische Anti-Terror-Gesetzgebung. Mit deren Hilfe werden nach Auffassung der EU beispielsweise regelmäßig kritische Journalisten im Land abgeurteilt. Die Türkei hatte jedoch in den letzten Wochen nachdrücklich klargestellt, dass sie nach dem vereitelten Putsch-Versuch an den Anti-Terror-Gesetzen derzeit nichts ändern könne.
Europarat als Wegbereiter
An Kompromiss-Lösungen wird hinter den Kulissen dem Vernehmen nach gearbeitet. Doch dass die Visafreiheit vor Beginn des Jahres 2017 kommt, gilt als höchst unwahrscheinlich. Möglicherweise könnte der Europarat hier noch eine entscheidende Rolle spielen - ein von den EU-Institutionen völlig unabhängiges Gremium, das sich der Wahrung der Menschenrechte verschrieben hat. Setzt die Türkei die Vorgaben des Europarats zum Beispiel bezüglich Pressefreiheit um, könnte Bewegung in die Sache kommen.
Ägäis-Route fast leergefegt
Abgesehen von den strittigen Punkten sieht die EU-Kommission das Flüchtlings-Abkommen mit der Türkei auf gutem Weg: Seit Juni seien im Schnitt pro Tag 85 Menschen auf der Ägäis-Route in die EU gekommen. Vor dem Deal seien es 1700 gewesen, rechnet man in Brüssel vor. Dies beweise, dass das Geschäftsmodell der Schmuggler zerstört werden könne.
"Das Abkommen hat also konkret positive Auswirkungen", erklärte EU-Migrations-Kommissar Dimitris Avrampoulos. Derzeit gibt es keine Anzeichen dafür, dass Ankara den Pakt platzen lassen könnte. Entsprechende Drohungen hatte die türkische Regierung in den vergangenen Wochen nicht mehr wiederholt. Vielleicht auch deshalb, weil hochrangige EU-Politiker zuletzt deutlicher als in den ersten Tagen nach dem Putsch-Versuch klargestellt hatten, dass man an der Seite des Partner-Staates stehe: Die Türkei hatte sich massiv darüber beschwert, dass angesichts der versuchten Militär-Machtübernahme die Solidaritätsbekundungen der EU im Vergleich zur Kritik an der massenhaften Beurlaubung von Staatsbediensteten eher klein ausgefallen war. Doch zuletzt hatten sich beide Seiten wieder hörbar aufeinander zubewegt.
Eins jedenfalls verspricht die EU-Kommission den Menschen in Europa: Mittlerweile habe man - auch abgesehen vom Türkei-Abkommen - so viele Sicherungsmechanismen eingebaut, dass man nie wieder so auf dem falschen Fuß erwischt werde wie von der Flüchtlingskrise im vergangenen Jahr.