Krieg in Nahost UN-Sicherheitsrat fordert Waffenruhe im Gazastreifen
Erstmals seit Kriegsbeginn verlangt der UN-Sicherheitsrat eine "sofortige Waffenruhe" im Gazastreifen. Möglich wurde dies durch die Enthaltung der USA. Israels Premier Netanyahu sagte daraufhin eine geplante US-Reise einer Delegation ab.
Fast sechs Monate nach Kriegsbeginn hat der Weltsicherheitsrat erstmals eine "sofortige Waffenruhe" im Gazastreifen gefordert. Zudem verlangt das mächtigste Gremium der Vereinten Nationen die umgehende und bedingungslose Freilassung aller von der militant-islamistischen Terrormiliz Hamas festgehaltenen Geiseln.
Das Votum wurde möglich, weil die USA im Gegensatz zu bisherigen Abstimmungen über die Forderung einer sofortigen Waffenruhe diesmal kein Veto einlegten, sondern sich der Stimme enthielten. Die übrigen 14 Ratsmitglieder stimmten für die Resolution. Vorgeschlagen wurde der Beschluss von den 10 gewählten Mitgliedern des Gremiums.
Einfluss auf den Krieg unklar
In der Resolution wird eine Feuerpause für die Dauer des islamischen Fastenmonats Ramadan verlangt, der noch etwa zwei Wochen andauert. Zudem wird die Notwendigkeit betont, mehr humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zu lassen und den Schutz der Zivilisten in dem Palästinensergebiet zu verstärken.
Durch den völkerrechtlich bindenden Beschluss steigt der internationale Druck auf die Konfliktparteien Israel und die Hamas weiter. Es ist jedoch fraglich, ob oder inwieweit die Resolution Einfluss auf Entscheidungen der israelischen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu oder der Hamas zum weiteren Kriegsverlauf haben wird. Die Hamas begrüßte die Resolution und bekräftigte, zu einem sofortigen Austausch der israelischen Geiseln gegen palästinensische Gefangene bereit zu sein.
Netanyahu sagt US-Reise von Delegation ab
Als Reaktion auf die "Änderung der amerikanischen Position" sagte Netanyahu eine geplante Reise zweier israelischer Diplomaten nach Washington kurzfristig ab. Die USA sei von ihrer "prinzipientreuen Haltung" abgewichen. Das Versäumnis, ein Veto einzulegen, sei ein "klarer Rückzug" der früheren Position und beeinträchtige die Kriegsanstrengungen gegen die Hamas im Gazastreifen sowie die Bemühungen um die Freilassung der Geiseln, so Netanyahu laut einer Erklärung.
Der Sprecher des Weißen Hauses, John Kirby, erklärte dagegen, die Haltung der USA sei gleich geblieben. "Wir sind sehr enttäuscht, dass sie nicht nach Washington D.C. kommen werden, um uns die Möglichkeit zu geben, ein ausführliches Gespräch mit ihnen über praktikable Alternativen zum Einsatz in Rafah zu führen", sagte er über die Absage der israelischen Delegation. Hochrangige US-Beamte würden aber weiterhin zu separaten Gesprächen mit dem israelischen Verteidigungsminister Yoav Gallant, der sich derzeit in Washington aufhält, zusammentreffen.
Israels Minister für strategische Angelegenheiten, Ron Dermer, und der nationale Sicherheitsberater Zachi Hanegbi hätten noch heute in die USA fliegen sollen, um sich mit hochrangigen Regierungsvertretern zu treffen. Diese hätten den israelischen Gästen Alternativen zu einer von Israel geplanten, von den USA und anderen Verbündeten aber abgelehnten Bodenoffensive in der südlichen Gaza-Stadt Rafah vorlegen wollen.
Kehrtwende der USA
Bemühungen um eine Forderung des Weltsicherheitsrats nach einer Waffenruhe waren bislang vor allem am Widerstand der Vetomacht USA gescheitert. Seit Kriegsbeginn im Oktober vergangenen Jahres hatte Washington sich als engster Verbündeter Israels gegen eine Waffenruhe gewandt und drei Vetos gegen entsprechende Resolutionen eingesetzt. Allenfalls forderten US-Vertreter kürzere "Feuerpausen".
Am Freitag vollzog Washington die Kehrtwende und forderte in einer Resolution erstmals "eine sofortige und dauerhafte Waffenruhe" im Gaza-Krieg. Doch Russland und China legten ihr Veto ein. Die Beschlussvorlage ging Moskau und Peking nicht weit genug - in ihren Augen war der Text unter anderem zu proisraelisch und stellenweise nicht ausreichend verbindlich.
Angesichts der steigenden Zahl ziviler Opfer und einer drohenden Hungersnot in Teilen des abgeriegelten Küstenstreifens verstärkten die USA zuletzt den Druck auf Israel. US-Präsident Joe Biden äußerte sich zunehmend kritisch, etwa mit Blick auf die von Israel geplante Bodenoffensive in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens.
EU pocht auf Umsetzung der Resolution
Spitzenvertreter der Europäischen Union zeigten sich erfreut über die Forderung des Weltsicherheitsrats. "Die Umsetzung dieser Resolution ist für den Schutz aller Zivilisten von entscheidender Bedeutung", schrieb EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im sozialen Netzwerk X. Ähnlich äußerten sich auch EU-Ratspräsident Charles Michel und der Außenbeauftragte Josep Borrell.
Die EU hatte bereits in der vergangenen Woche zu einer Waffenruhe aufgerufen. In einer Gipfelerklärung der Staats- und Regierungschefs hieß es, man fordere eine sofortige humanitäre Feuerpause "als Voraussetzung für einen dauerhaften Waffenstillstand, die bedingungslose Freilassung aller Geiseln und die Bereitstellung von humanitärer Hilfe".
Baerbock zu Gesprächen in Kairo
Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sagte bei einem Besuch in Ägypten, sie sei "erleichtert über die Verabschiedung der Resolution, weil es auf jeden Tag ankommt". Zuvor hatte sie sich zudem erneut gegen einen israelischen Bodeneinsatz in Rafah ausgesprochen. "Eine Großoffensive auf Rafah darf es nicht geben", sagte die Grünen-Politikerin am Flughafen in Kairo. "Menschen können sich nicht in Luft auflösen."
In der Stadt an der Grenze zu Ägypten suchen Schätzungen zufolge derzeit 1,5 Millionen der 2,2 Millionen Bewohner des Gazastreifens auf engstem Raum Schutz vor den Kämpfen in den anderen Teilen des Küstengebiets. Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu beharrt auf eine Offensive in der Stadt, weil das Militär dort viele Hamas-Mitglieder und Führungsfiguren vermutet. Die Armee habe offenbar Pläne ausgearbeitet, um die Zivilisten in Sicherheit zu bringen, hieß es.
Graue Flächen: Bebaute Flächen im Gazastreifen, Schraffur: Israelische Armee
In Kairo sprach Baerbock vor dem Hintergrund der stockenden Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas mit ihrem ägyptischen Amtskollegen Sameh Schukri ebenfalls über eine Waffenruhe und Geiselfreilassungen. Am Abend wird die Außenministerin zu Gesprächen mit ihrem palästinensischen Kollegen Riad al-Maliki sowie Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in Ramallah erwartet. Die Vermittler USA, Ägypten und Katar bemühen sich seit Wochen um eine Einigung zwischen Israel und der Hamas.