US-Wahl 2024
US-Wahl 2024 "Wer Pennsylvania gewinnt, ist Präsidentin oder Präsident"
Zwar hat Trump in den Umfragen zur US-Wahl aufgeholt - aber trotzdem ist das Ergebnis weiter völlig offen, sagt ARD-Wahlexperte Jörg Schönenborn. Eines aber zeichne sich immer klarer ab: Wer Pennsylvania gewinnt, wird wohl die Wahl gewinnen.
tagesschau24: Lassen Sie uns mit einem landesweiten Blick starten. Wie sehen die aktuellen Zahlen für Kamala Harris und Donald Trump aus? Wer liegt vorn?
Jörg Schönenborn: Im Grunde kann man nur eine Aussage seriös treffen: Donald Trump hat in den letzten Wochen Boden gut gemacht - und der Rest ist wirklich ganz knapp und hauchdünn. Umfragen in den USA sind ohnehin auf der nationalen Ebene immer mit Vorsicht zu genießen, weil am Ende 50 Bundesstaaten und die Hauptstadt einzeln entscheiden.
Aber an der Entwicklung der Umfragewerte von Kamala Harris sieht man: Nach dem Rückzug von Joe Biden gewinnt sie zunächst und bleibt dann aber auf hohem Niveau stabil. Während Trump Stück für Stück, vor allem den Oktober hindurch, aufholt.
Im Durchschnitt von FiveThirtyEight - das ist der Partner des Senders ABC - kommt Harris auf 47,9 Prozent und Trump auf 47. Aber die Erfahrung der Präsidentschaftswahlen der vergangenen Jahre zeigt: Das können durchaus drei Punkte mehr oder weniger sein. Das heißt, grundsätzlich ist da beides möglich.
Und so ein Fast-Gleichstand bedeutet immer einen leichten Vorteil für Trump. Denn das Wahlsystem bevorteilt die Wählerinnen und Wähler in den eher ländlich geprägten, republikanischen Staaten. Also: Wenn Trump die Nase vorn haben sollte, dann ist die Sache relativ klar. Aber auch bei einem Rückstand gegenüber Harris an bundesweiten Stimmen könnte er durchaus trotzdem Präsident werden.
Jörg Schönenborn ist seit 2014 WDR-Programmdirektor. Der Wahlexperte war zuvor seit 2002 Chefredakteur des WDR Fernsehens. Schönenborn moderiert zudem den Presseclub im Ersten. Bekannt ist er dem Publikum seit 1998 vor allem als Wahlmoderator der ARD.
"Pennsylvania scheint der umstrittenste Staat zu sein"
tagesschau24: Die Swing States, wo ja besonders intensiv Wahlkampf gemacht wird, stehen natürlich im Fokus. Wie schaut es da aus?
Schönenborn: Es ist eine verrückte Entwicklung in den USA. Die roten Staaten sind röter geworden, die blauen Staaten blauer. Und diesmal ist es wirklich zugespitzt nur noch so, dass die ganze amerikanische Öffentlichkeit auf sieben Bundesstaaten schaut. Das sind die sieben Bundesstaaten, die auch beim letzten Mal nicht schon in der Wahlnacht ein klares Ergebnis hatten.
Die blauen Staaten, die als sicher demokratisch gelten, haben gut 220 Wahlmännerstimmen. Trump mit den roten Staaten, vor allem in der Mitte des Landes bis runter nach Texas, hat knapp 220. Und dann kommt es eben auf die sieben übrigen Bundesstaaten an.
Diejenigen davon, in denen die Tendenz in den Umfragen eher für Donald Trump ist, sind Arizona und Nevada, sowie Georgia und North Carolina. Man braucht insgesamt 270 Wahlmännerstimmen, um die Wahl zu gewinnen - mit diesen vier Bundesstaaten hätte er es aber aber noch nicht ganz geschafft.
Und dann gibt es drei entscheidende Staaten im Mittleren Westen, die auch die "Blue Wall", die "blaue Mauer der Demokraten", genannt werden. Relativ gut sieht es für Harris in Wisconsin und Michigan aus. Und dann sehen wir, am Ende scheint Pennsylvania diesmal der umstrittenste Staat zu sein. Wenn das alles so kommt, dann kann man sagen: Wer Pennsylvania gewinnt, ist am Ende auch Präsidentin oder Präsident.
"Wählerschaft der Demokraten noch etwas weiblicher"
tagesschau24: Frauen scheinen bei dieser Wahl eine wichtige Rolle zu spielen. Warum ist das so, und was ist da zu erwarten?
Schönenborn: Wir haben zum zweiten Mal eine Kandidatin. Das ist für manche Wählerinnen und Wähler überhaupt kein Unterschied - für manche macht es einen Unterschied. Trump hat, seit er angetreten ist, eine sehr stark männlich geprägte Wählerschaft. Auch beim letzten Mal, als er nicht Präsident wurde, nicht die meisten Stimmen hatte, hatte er trotzdem bei den Männern einen deutlichen Vorsprung.
Bei den Frauen war es damals schon Joe Biden. Und jetzt erleben wir, dass die Wählerschaft der Demokraten durchaus noch etwas weiblicher wird. Aber gerade bei den Jüngeren gibt es das, was die Amerikaner "gender gap" nennen: Da spaltet sich das - die jungen Frauen sind ganz stark auf der Seite von Kamala Harris.
Aber die jungen Männer, häufig auch mit Einwanderungshintergrund, sind entsprechend stärker auf Seiten der Republikaner. Darunter sind viele Hispanics, die sind häufig etwas konservativer. Also diese Aufstellung "Frau gegen Mann" kann den Demokraten im weiblichen Lager Rückenwind und viele Stimmen bringen. Aber es ist nicht unbedingt so, dass sie damit nicht auch bei den Männern etwas verlieren könnten.
"Unzufriedenheit, vor allem in Wirtschaftsfragen"
tagesschau24: Gehen wir mal ein auf die Themen, die im Wahlkampf wichtig waren. Welche sind das?
Schönenborn: Wie hieß es früher immer: "It's the economy, stupid." Ich war in der vergangenen Woche in den USA und habe gemerkt, wie wichtig Preissteigerungen, Lebenshaltungskosten für die Menschen dort sind, mit denen ich gesprochen habe. Und wenn wir uns eine relativ neue Umfrage mit Zahlen aus der vergangenen Woche anschauen - mit der Frage, entwickelt sich das Land in die richtige oder in die falsche Richtung - dann sehen wir: Beim Thema Wirtschaft geben 60 Prozent an, das Land entwickele sich in die falsche Richtung, beim Thema Lebenshaltungskosten sind es 70 Prozent.
Beim Thema Außenpolitik ist es ein bisschen ausgeglichener: 56 Prozent denken, das Land entwickele sich in die falsche Richtung. Einwanderung ist ein starkes Thema der Republikaner, hier sind es 65 Prozent. Die beiden stärksten negativ bewerteten Themen sind solche, mit denen Trump sehr deutlich Wahlkampf macht.
Dann gibt es die Themen von Harris. Das sind vor allem innenpolitische Themen. Auch da das Votum: Es geht insgesamt in die falsche Richtung. Also die Unzufriedenheit, vor allem in Wirtschaftsfragen, bei Arbeitsplätzen, bei Wohnkosten, bei Lebenshaltungskosten, wird sehr wahrscheinlich diese Wahl mit entscheiden.
Würde Trump eine Niederlage akzeptieren?
tagesschau24: Was ich abzuzeichnen scheint, ist, dass es bei einer Niederlage Trumps wirklich schwierig werden könnte - wir erinnern uns an den 6. Januar. Lässt sich denn abschätzen, ob die Republikaner mit einer Niederlage klarkommen könnten?
Schönenborn: Trump hat ja diese Woche gesagt, es sei ein Fehler gewesen, vor vier Jahren das Weiße Haus zu verlassen. Ich war bei einer Wahlkampfveranstaltung mit Trump, wo mir auffiel, dass der Slogan "Never surrender" - "niemals aufgeben", "niemals Niederlage eingestehen" - auf Plakaten war, T-Shirts damit verkauft wurden.
Wir werden diese Frage ganz sicher haben. Auch dazu gibt es eine Umfrage aus der vergangenen Woche, mit der Frage: Was glauben Sie, wird Harris beziehungsweise wird Trump die Wahlniederlage akzeptieren?
Bei Harris glauben das drei Viertel - ein Viertel glaubt es nicht. Und bei Trump ist es umgekehrt. 74 Prozent glauben, er wird eine Wahlniederlage nicht akzeptieren. Und er hat ja auch vor vier Jahren am Wahltag den Sieg für sich beansprucht, den er nachher natürlich nicht geholt hat.
Die Frage, wie ausgezählt wird, wie die Ergebnisse aussehen, ist das eine. Die Frage, ob die Beteiligten das akzeptieren, ob es einen friedlichen Machtwechsel gibt - es ist ja in jedem Fall eine neue Person im Weißen Haus - die stellt sich nach den Ereignissen von vor vier Jahren natürlich besonders.
"Senat, so die Erwartung, wird republikanisch"
tagesschau24: Diese Wahl entscheidet auch über die beiden Parlamentskammern. Im Repräsentantenhaus dominieren die Republikaner, im Senat die Demokraten, allerdings nur knapp. Wen sehen Sie da bei den Umfragen vorn?
Schönenborn: Im Senat sind die Aussichten für die Demokraten, die Mehrheit zu behalten, sehr, sehr gering. Das hat schlicht mit dem Zufall zu tun, wo sich Senatoren zurückgezogen haben, wo Neuwahlen anstehen. Immer ein Drittel des Senats wird neu gewählt. Theoretisch gibt es die Chance, dass die Demokraten die Mehrheit behalten. Aber dann müsste es wirklich ganz unerwartete Ergebnisse zu ihren Gunsten geben. Der Senat, so ist die allgemeine Erwartung, wird republikanisch.
Beim Abgeordnetenhaus mit über 430 Sitzen, die alle neu gewählt werden, ist es so ähnlich wie bei der Präsidentschaft: ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Wir können also durchaus davon ausgehen, dass nicht nur die Präsidentenfrage spannend ist in der Nacht zum Mittwoch.
Das Gespräch führte Michail Paweletz, tagesschau24. Für die schriftliche Fassung wurde das Interview leicht überarbeitet.