Stockholm Nobelpreis für Grundlagenforschung zu Covid-Impfstoffen
Katalin Karikó und Drew Weissman erhalten den Nobelpreis für Medizin. Sie hätten entscheidende Grundlagen zur Entwicklung von Corona-Impfstoffen geliefert, so die Jury. Im TS24-Interview sagte Karikó, die Pandemie habe den Prozess beschleunigt.
Der Nobelpreis für Medizin geht in diesem Jahr an die 1955 in Ungarn geborene Forscherin Katalin Karikó und den 64-jährigen US-Amerikaner Drew Weissman für Grundlagen zur Entwicklung von mRNA-Impfstoffen gegen Covid-19. Das teilte das Karolinska-Institut in Stockholm mit. Beide arbeiten zusammen an der US-Universität von Pennsylvania, Karikó zusätzlich an der Szeged-Universität in Ungarn.
"Durch ihre bahnbrechenden Resultate, die unser Verständnis davon, wie mRNA mit dem menschlichen Immunsystem interagiert, grundlegend verändert haben, trugen die Preisträger zu dem beispiellosen Tempo der Impfstoffentwicklung während einer der größten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit in moderner Zeit bei", hieß es vom Nobelkomitee.
Weg für neue Impfstoffe geebnet
Die Corona-Impfstoffe des Mainzer Unternehmens BioNTech und des US-Konzerns Moderna waren die ersten zwei mRNA-Produkte, die auf den Markt kamen. Das Nobelkomitee betonte in seiner Begründung die "Flexibilität und Geschwindigkeit", mit der mRNA-Impfstoffe entwickelt werden könnten. Das ebne den Weg für die Nutzung der neuen Plattform auch für Impfstoffe gegen andere Infektionskrankheiten: "In Zukunft könnte die Technologie auch zur Verabreichung therapeutischer Proteine und zur Behandlung bestimmter Krebsarten eingesetzt werden."
An der Technik bastelten Forscher jedoch schon vor mehr als 30 Jahren. Bereits Ende der 1980er-Jahre schleusten drei Wissenschaftler - Robert Malone, Phil Felgner und Inder Verma - mRNA (Abkürzung für messenger ribonucleic acid) mithilfe von Fetttröpfchen in angezüchtete Zellen ein und brachten diese dazu, das gewünschte Protein herzustellen.
Doch bald keimte die Gentechnik auf, in die viele Fördermittel flossen. Die damals in Ungarn forschende Karikó glaubte jedoch weiterhin an den Nutzen der mRNA für die Medizin. Sie blieb dem Molekül auch treu, als sie 1985 in die USA emigrierte. Aus Mangel an Fördergeldern forschte Karikó im Labor zunächst weitgehend auf sich allein gestellt, ab 1998 auch mit Drew Weissman.
Ex-Mitarbeiterin und Beraterin von BioNTech
Der entscheidende Durchbruch gelang den beiden, als sie einen Baustein der mRNA austauschten und die mRNA daraufhin nicht mehr in der Zelle abgebaut wurde. Die Versuchsmäuse produzierten das gewünschte Protein.
Trotz weiterer Tiefschläge setzte Karikó ihren Weg fort und traf 2013 Ugur Sahin, der mit seiner Frau Özlem Türeci BioNTech gegründet hatte. Er habe ihr noch am selben Tag einen Job angeboten, sagte Karikó der "New York Times". Nach jahrelanger Zusammenarbeit hat sie das Unternehmen verlassen und ist seit Anfang Oktober 2022 nur noch dessen Beraterin.
"Mir wird es erst ganz langsam klar"
"Mir wird es erst ganz langsam klar", sagte Karikó im Gespräch mit tagesschau24. "Ich habe gehört, dass ich erst die 13. Frau bin, die den Medizinnobelpreis bekommt. Vielleicht wird es mehr Frauen, mehr junge Menschen inspirieren. Hoffentlich."
Besonders glücklich, dass ihre Forschung nach Jahren angewandt wird, sei Karikó aber nicht gewesen. Der Grund sei ja eine Pandemie gewesen, sagte die Wissenschaftlerin in dem Interview. "Die mRNA wurde ja für verschiedene Produkte entwickelt - es war jetzt nur einfach der Bedarf da." Die Pandemie habe den Prozess nur beschleunigt, so Karikó. "Aber ohne Pandemie wäre er auch entwickelt worden. Aber nicht in der Art und Weise, mit all dem Geld, das da war, um verschiedene Behandlungsmöglichkeiten mit mRNA zu entwickeln." Als nächstes könne sie sich eine Behandlung von Krebserkrankungen damit vorstellen. Laut Karikó laufen im Moment mehr als 250 klinische Studien mit mRNA.
Weissman glaubte an Scherz
Weissman glaubte zunächst an einen Scherz, als Karikó ihm die Nachricht überbrachte. "Wir haben uns gefragt, ob uns jemand einen Streich spielt", sagte er dem schwedischen Rundfunk. Auf die Frage, wie er die Auszeichnung feiern würde, sagte Weissman, er sei kein "großer Partygänger". Er werde wahrscheinlich mit der Familie ausgehen und ein gutes Abendessen einnehmen. "Dann werde ich mich wieder an die Arbeit machen."
Bald Impfstoffe gegen Grippe und Krebs?
Mit der mRNA sei eine neue Substanzklasse für die Medizin verfügbar, sagte der Präsident des für Impfstoffe und Biomedizin zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), Klaus Cichutek, der Nachrichtenagentur dpa. Die mRNA in den Impfstoffen ist der Bauplan für ein Virusprotein. Dieses wird in einigen wenigen Körperzellen des Geimpften hergestellt. Das Immunsystem richtet sich dann gegen dieses Protein.
Als mögliche künftige Einsatzgebiete für mRNA sieht PEI-Präsident Cichutek unter anderem weitere präventive Impfstoffe wie etwa gegen Grippe, sowie Therapien gegen Krebs und Rheuma. Nach Angaben des "Verbands Forschender Arzneimittelhersteller" waren bis September 2023 weltweit fünf mRNA-Impstoffe gegen Covid-19 im Einsatz. Recht weit ist die Entwicklung demnach auch bei entsprechenden Impfstoffen gegen Grippe und gegen Zytomegalieviren, die zu den Herpesviren gehören.
Lauterbach lobt Wahl
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat die Auszeichnung von Karikó und Weissman gelobt. "Eine bessere Wahl für Nobelpreis Medizin könnte es nicht geben", erklärte er im Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter). Ohne die Forschung der beiden zur mRNA-Technologie "wären Millionen Menschen mehr an Covid gestorben".
Mit dem Medizin-Preis startete der Nobelpreis-Reigen. Am Dienstag und Mittwoch werden die Träger des Physik- und des Chemie-Preises benannt. Es folgen die für Literatur und für Frieden. Die Reihe der Bekanntgaben endet am kommenden Montag mit dem von der schwedischen Reichsbank gestifteten sogenannten Wirtschaftsnobelpreis. Jeder Preis ist mit elf Millionen schwedischer Kronen (rund 950.000 Euro) dotiert.
Die feierliche Vergabe aller Auszeichnungen findet traditionsgemäß am 10. Dezember statt, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel. Bereits am vergangenen Donnerstag waren die Träger der diesjährigen Alternativen Nobelpreise von der Right Livelihood Stiftung bekannt gegeben worden.