Krieg gegen die Ukraine Scholz telefoniert erstmals seit zwei Jahren mit Putin
Nach fast zwei Jahren Funkstille hat Bundeskanzler Scholz wieder mit dem russischen Präsidenten Putin telefoniert. Scholz forderte Putin auf, den Angriffskrieg gegen die Ukraine zu beenden und die Truppen zurückzuziehen.
Bundeskanzler Scholz hat mit dem russischen Präsidenten Putin telefoniert. Das Telefonat habe eine Stunde gedauert, erfuhr das ARD-Hauptstadtstudio aus Regierungskreisen. Zuvor hatte die Süddeutsche Zeitung darüber berichtet.
Scholz forderte Putin darin "zu Verhandlungen mit der Ukraine" auf. Diese müssten das Ziel "eines gerechten und dauerhaften Friedens" haben, erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit nach dem Telefonat. Der Kanzler verurteilte dabei demnach erneut "den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und forderte Präsident Putin auf, diesen zu beenden und Truppen zurückzuziehen".
Verurteilung der russischen Luftangriffe
Aus Regierungskreisen hieß es, der Bundeskanzler habe insbesondere die russischen Luftangriffe gegen zivile Infrastruktur in der Ukraine verurteilt. Er habe zudem betont, dass mit der Entsendung nordkoreanischer Soldaten nach Russland für Kampfeinsätze gegen die Ukraine eine gravierende Eskalation und Ausweitung des Konflikts verbunden sei.
Scholz habe erklärt, dass keines der russischen Kriegsziele erreicht wurde, hieß es aus Regierungskreisen. Der Kanzler drängte demnach in dem Telefonat auf eine Bereitschaft Russlands zu ernsthaften Verhandlungen mit der Ukraine mit dem Ziel eines gerechten und dauerhaften Friedens. Er habe die unverbrüchliche Entschlossenheit Deutschlands betont, die Ukraine in ihrem Abwehrkampf so lange wie nötig zu unterstützen. Scholz und Putin hätten vereinbart, "weiterhin in Kontakt zu bleiben".
Der Kanzler hatte seinem Regierungssprecher zufolge am Mittwoch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj telefoniert. Demnach will Scholz ihn nun auch im Nachgang erneut anrufen.
Putin: Abkommen muss "neue territoriale Realitäten" widerspiegeln
Putin forderte nach Angaben des Kreml im Gespräch mit Scholz, dass ein mögliches Abkommen zur Beendigung des Ukraine-Kriegs die "neuen territorialen Realitäten" widerspiegeln müsse. "Mögliche Vereinbarungen sollten die Sicherheitsinteressen der Russischen Föderation berücksichtigen, von den neuen territorialen Realitäten ausgehen und vor allem die eigentlichen Ursachen des Konflikts angehen", teilte der Kreml in Moskau nach dem Telefonat mit.
Mit der Annexion der Halbinsel Krim 2014 und im Zuge des seit 2022 dauernden Angriffskriegs hat Russland in der Ukraine Fakten geschaffen und zählt rund 20 Prozent der Ukraine zu seinem Staatsgebiet. International wird das jedoch kaum anerkannt, da Moskau die besetzten Gebiete in der Ukraine völkerrechtswidrig annektiert und in sein Staatsgebiet integriert hat.
Gespräch auf deutsche Initiative hin
Es habe einen ausführlichen und offenen Austausch über den Krieg in der Ukraine auf deutsche Initiative gegeben, hieß es aus Moskau. Inhaltlich bewegte sich der russische Präsident aber nicht: Putin wiederholte dem Kreml zufolge, dass Russland offen sei für eine Fortsetzung der von der Ukraine im Frühjahr 2022 abgebrochenen Verhandlungen zur Lösung des Konflikts - zu den von Moskau bereits dargelegten Bedingungen. Dazu gehört etwa ein Verzicht der Ukraine auf eine NATO-Mitgliedschaft und eine Anerkennung des Verlusts der von Russland besetzten Gebiete. Kiew lehnt das kategorisch ab.
Putin wiederholte dem Kreml zufolge, dass der Krieg eine Folge jahrelanger aggressiver Politik der NATO sei, die die Ukraine zu einem gegen Russland gerichteten Aufmarschgebiet machen wolle.
Die Vorschläge Putins werden international abgelehnt. Der damalige NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg kritisierte im Juni die Forderungen Putins. Es handele sich nicht um einen Friedensvorschlag. "Dies ist ein Vorschlag für mehr Aggression, mehr Besatzung."
Putin habe in dem Gespräch mit Scholz auch einen nie dagewesenen Verfall in den russisch-deutschen Beziehungen konstatiert: "als Folge des unfreundlichen Kurses der Behörden der BRD", teilte der Kreml weiter mit.
Putin und Scholz hätten zudem über die Eskalation der Lage im Nahen Osten gesprochen, teilt der Pressedienst des Kreml mit. Beide Seiten vereinbarten demnach, dass ihre Berater den Kontakt aufrechterhalten sollten.
Kiew: Konkrete Taten wichtiger als Gespräche
Das ukrainische Außenministerium kritisierte das Telefonat des Kanzlers mit Putin. "Gespräche mit dem russischen Diktator bringen an sich keinen Mehrwert für einen gerechten Frieden", hieß es aus Kiew. Solche Gespräche seien "ein Mittel, das Putin seit mehr als 20 Jahren nutzt, um seine Interessen durchzusetzen". Sie vermittelten Putin "nur die Hoffnung, seine internationale Isolation zu überwinden".
Was die Ukraine brauche, "sind konkrete, entschlossene Taten, die ihn (gemeint ist Putin, Anm. d. Redaktion) zum Frieden zwingen, nicht Überredung und Beschwichtigungsversuche, die er als Zeichen der Schwäche sieht und zu seinem Vorteil nutzt." Die konkreten Maßnahmen seien bekannt - "und das ist in erster Linie der Abzug der Besatzungstruppen aus dem Gebiet der Ukraine", so das Ministerium.
Letzte persönliche Begegnung kurz vor der Invasion
Zuletzt hatten Scholz und Putin am 2. Dezember 2022 eine Stunde lang telefoniert. Der Kanzler bemüht sich aktuell um eine zweite Ukraine-Friedenskonferenz nach einem Gipfel in der Schweiz im vergangenen Sommer, an dem dann auch Russland teilnehmen könnte. Bisher ist dafür aber kein Termin in Sicht. Der Westen hat wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine, der im Februar 2022 begann, die Gesprächskanäle nach Moskau weitgehend stillgelegt.
Zum letzten Mal hatte Scholz Putin gut eine Woche vor dem russischen Angriff auf die Ukraine bei seinem Antrittsbesuch in Moskau persönlich getroffen. Wegen Corona saßen beide im Kreml an einem riesigen ovalen Tisch meterweit voneinander entfernt. Nach der Invasion gab es noch einzelne Telefonate, dann nicht mehr. Das hatte vor allem mit der russischen Kriegsführung in der Ukraine und fehlender Aussicht auf konkrete Ergebnisse zu tun.
Letzte persönliche Begegnung: Wladimir Putin (links) und Olaf Scholz im Februar 2022 in Moskau.
Scholz: "Ich mache das nicht im Alleingang"
Scholz hatte in den vergangenen Monaten immer wieder gesagt, dass er zu einem Gespräch mit Putin bereit sei. Er wolle nur den richtigen Zeitpunkt finden. In der ARD-Sendung Caren Miosga erklärte der Kanzler am Sonntag, dass dieser Zeitpunkt "demnächst" gekommen sein könnte. "Ja, ich habe mir vorgenommen, mit dem russischen Präsidenten zur richtigen Zeit zu sprechen. Aber ich bin ein verantwortlicher Politiker, ich mache das nicht im Alleingang." Ein Gespräch mit Putin setze viele Kontakte und Gespräche mit sehr vielen anderen voraus.
G20-Gipfel dürfte Anlass des Gesprächs sein
Der Zeitpunkt des Gesprächs dürfte mit dem bevorstehenden G20-Gipfel im brasilianischen Rio de Janeiro zusammenhängen, zu dem Scholz am Sonntag aufbricht. Dort wird auch der russische Außenminister Sergej Lawrow erwartet.
Putin selbst hatte am 18. Oktober seine Teilnahme am Gipfel abgesagt, um nicht "die normale Arbeit des Forums zu stören", das andere Themen habe. Gegen Putin liegt ein internationaler Haftbefehl des Weltstrafgerichts in Den Haag vor wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in der Ukraine. Er würde in Brasilien eine Festnahme riskieren.
Die G20 der führenden Wirtschaftsmächte aller Kontinente ist das einzige Gesprächsformat, in dem Russland und die NATO-Staaten noch hochrangig an einem Tisch sitzen. Scholz plant dort kein Gespräch mit Lawrow. Nach Angaben aus seinem Umfeld wird er aber mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping über den Ukraine-Krieg sprechen, der als wichtigster Verbündeter Putins gilt.