Europawahl 2024
Junge Europäer vor der Wahl "Mir bleibt nichts, außer mein Land zu verlassen"
In Spanien wird Gabriel Fernandez keine Arbeit finden. Das weiß er und plant, nach Deutschland auszuwandern - gezwungenermaßen, sagt er, will er den Schritt wagen. Was sind seine Hoffnungen und Ängste? Geht er wählen? tagesschau.de hat ihn gefragt.
tagesschau.de: In ein paar Monaten werden Sie Ihr Lehramtsstudium beenden. Was passiert danach?
Fernandez: Wenn ich das wüsste... Viele Spanier sind ja bereits zu Ihnen nach Deutschland gekommen, um Arbeit zu finden. Ich sehe mich wohl auch gezwungen, diesen Schritt zu gehen. Was bleibt mir anderes übrig.
tagesschau.de: Wenn sich also die Chance ergibt auszuwandern, nehmen Sie sie wahr?
Fernandez: Wie gesagt: gezwungenermaßen. Die Politiker haben nichts erreicht hier in Spanien. Wir haben immer noch eine krass hohe Arbeitslosenquote. Mehr als jeder zweite junge Spanier sucht einen Job. Wenn ich also diese verzweifelte Suche umgehen kann und würdevoll leben möchte, muss ich wohl in einem anderen europäischen Land nach Arbeit suchen. Da meine Freundin Deutsche ist, werde ich wohl zu Ihnen kommen.
tagesschau.de: Wem geben Sie die Schuld an dieser Situation?
Fernandez: Über Spanien wird berichtet, dass die Banken gerettet seien und es uns besser gehe. Mag sein, aber beim Volk kommt davon nicht so viel an. Das Hauptproblem ist schon lange nicht mehr die Bankenkrise, sondern die Massenarbeitslosigkeit. Wir sind verzweifelt und haben Angst. Und die Maßnahmen die unsere Regierungspartei, die Partido Popular, vornimmt, haben bisher noch keine Arbeitsplätze geschaffen. Und sich als Selbstständiger in Spanien zu versuchen? Vergiss es - viel zu teuer.
"Die klassischen Parteien sind nicht mehr wählbar"
tagesschau.de: Ist die Arbeitsmarktsituation Ihrer Meinung nach eher die Schuld der spanischen Politik oder auch die der EU?
Fernandez: Hauptsächlich haben unsere spanischen Politiker Schuld, besser gesagt: der Teil der Bevölkerung, der sie wählt. Ob Partido Popular oder PSOE (Anm.: Sozialistische Partei Spaniens) - die beiden tun sich nicht mehr viel.
tagesschau.de: Wen sollte man denn wählen? Vor allem jetzt im Hinblick auf Europawahl im Mai.
Fernandez: Jeder wählt die Partei, die er für richtig hält. Aber man sollte sich ausreichend Gedanken machen. Ich werde mich zwischen der Frente Popular (Anm.: Linkspartei Spaniens) und der Piratenpartei entscheiden. Vor allem die Frente Popular will sich gegen Korruption einsetzen, was mir ein großes Anliegen ist. Denn meine Hoffnung ist, dass die europäische Idee wieder in den Vordergrund rückt. Also dass alle Staaten gleichwertig in dieser Gemeinschaft bestehen und somit die EU sozialer wird.
"Einzelne Staaten dominieren die Europäische Union"
tagesschau.de: Was sind Ihre Ängste?
Fernandez: Dass die EU ein System bleibt, das von einzelnen Staaten beherrscht wird.
tagesschau.de: Wer beherrscht denn die EU?
Fernandez: Es war mir klar, dass Sie danach fragen. Deutschland diktiert uns, was wir tun. Aber, um das klarzustellen: Jedes Land ist erst einmal für sich selber verantwortlich. Und für die Arbeitsmarktsituation können Sie jetzt nichts. Wenn wir allerdings über die Banken- und Finanzkrise sprechen wollen, dann ist es nun einmal so, dass Sie den Fahrplan bestimmen. Unsere spanischen Banken wurden mit Geldern zugeschüttet. Hier wurde etwas gerettet, was eigentlich schon lange verloren war. Ob die Banken selber Schuld an ihrer Situation haben, wurde nur selten gefragt. Und von der Sinnhaftigkeit des Euros haben wir noch gar nicht gesprochen.
"Wir brauchen eine gemeinsame Wirtschaftspolitik"
tagesschau.de: Der Euro hat für Sie also keinen Sinn?
Fernandez: Eine einheitliche Währung länderübergreifend einzuführen, dabei allerdings die verschiedenen Wirtschaftssysteme der Mitgliedsstaaten zu ignorieren, bleibt mir ein Rätsel. Da ist es doch klar, dass Probleme folgen.
tagesschau.de: In diesem Kapitel hat die europäische Idee also nicht funktioniert?
Fernandez: Nein, denn es ist naiv und absurd gewesen, keine einheitliche Wirtschaftspolitik zu debattieren. Und damit die kommt, gehe ich wählen. Damit der Trend gestoppt wird, die Staatengemeinschaft in zwei Regionen zu teilen.
Das Interview führte Jan Koch per Chat für tagesschau.de