Afghanistan Russland schürt Angst vor Flüchtlingen
Während Russland Flüchtlinge aus Afghanistan als potenzielle Terroristen darstellt, sieht es die Taliban als Stabilitätsfaktor. Dies könnte sich auch für Russland selbst als problematisch erweisen.
Ein Mädchen, das seinen Eltern hüpfend hinterherläuft - das Bild der Reuters-Fotografin Johanna Geron einer Familie aus Afghanistan, die am 25. August auf dem Militärflughafen Melsbrouk in Belgien angekommen ist, verbreitete sich rasch in den sozialen Medien.
Es dauerte nicht lange, da veröffentlichte der russische Staatssender RT einen Tweet mit einer per Photoshop veränderten Variante: Aus den Rucksäcken der Eltern ragten ein Granatwerfer, eine Dynamitladung und zwei Maschinengewehre. Während rechts oben ein vertikaler Schriftzug auf die Veränderung per Photoshop hinwies, hieß eine Frage dazu im Tweet: "Erhalten einige Terroristen einen Freiflug aus Afghanistan?"
Am 27. August reagierte RT mit einem neuen Tweet auf die Empörung über die plumpe Fälschung, die Flüchtlinge als Terroristen darstellte: "Das war zwar als Sarkasmus gedacht, aber das Ergebnis war sowohl irreführend als auch geschmacklos." Kurz darauf verschwand der Original-Tweet, er lässt sich aber noch im Internetarchiv finden.
Ängste schüren
Dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt, zeigen russische Berichte über Georgien. Dessen Außenminister David Zalkaliani warf russischen Nachrichtenagenturen die Verbreitung von Desinformation vor, laut denen die Regierung in Tiflis afghanischen Flüchtlingen Unterschlupf gewähre und Georgien zu einem Zufluchtsort für Menschen aus Afghanistan geworden sei. Zalkaliani stellte klar, dass Mitarbeiter internationaler Organisationen und deren Familien nur übergangsweise nach Tiflis ausgeflogen würden, um dann in andere europäische Länder und die USA gebracht zu werden.
International erhält Georgien viel Lob dafür, dass es seinen Militärflughafen bei Tiflis als Drehkreuz und vorübergehende Unterkunft bereitstellt. Aber insbesondere die Orthodoxe Kirche Georgiens und rechtsextrem ausgerichtete Politiker, oft mit Verbindungen nach Russland, schüren vorhandene Ängste vor Muslimen.
Wie leicht Unsicherheit unter den Menschen geschürt werden kann, die in ihrem Land in den vergangenen drei Jahrzehnten selbst Krieg und Vertreibung erlebt haben, zeigt die Reaktion auf einen vagen Vorschlag von Österreichs damaligem Außenminister Sebastian Kurz im Jahr 2017, der über russische Medien Verbreitung in Georgien fand. Er schlug damals Flüchtlingslager außerhalb der EU vor und nannte als einen möglichen Standort Georgien.
Vergleiche mit 2015
Auch in Deutschland sorgen die Bilder von den Menschen am Flughafen Kabul für Debatten über eine mögliche neue Flüchtlingswelle nach Europa. Vor einer Situation wie mit den Flüchtlingen aus Syrien im Jahr 2015 warnten mehrere Politiker und Politikerinnen aus der Union, etwa Kanzlerkandidat Armin Laschet.
AfD-Spitzenkandidatin und Fraktionschefin Alice Weidel forderte eine Aussetzung des Asylrechts. Ihre Partei verbreitete eine Erklärung der patriotischen Parteien im Europaparlament mit der Forderung nach Schließung der Grenzen.
Dabei stellt sich die aktuelle Lage in Afghanistan anders dar als 2015 in Syrien. Schon die Ausreise über die von den Taliban kontrollierten Grenzübergänge aus Afghanistan ist schwierig. Die Nachbarstaaten im Norden lassen kaum Flüchtlinge hinein. So wies Usbekistan laut Medienberichten in den vergangenen Wochen auch Menschen mit Dauervisa von der Grenze ab.
Usbekistan erkennt nicht einmal die Genfer Flüchtlingskonvention an. Turkmenistan ist verschlossener als Nordkorea, und an der Grenze Tadschikistans patrouillieren russische Truppen. Eine auch nur zeitweise Unterbringung von Menschen aus Afghanistan in den zentralasiatischen Staaten, wie etwa von der Bundesregierung und den USA angestrebt, dürfte schwer umzusetzen sein.
Taliban als Stabilitätsfaktor
Bestärkt werden die zentralasiatischen Staaten in ihrer vorsichtigen bis ablehnenden Haltung von Russland. Präsident Wladmir Putin sprach sich mit Verweis gegen eine vorübergehende Unterbringung aus. Dies könne die Sicherheit Russlands gefährden, sagte er bei einem Treffen der Regierungspartei "Einiges Russland" am Sonntag. Zwischen den zentralasiatischen Staaten und Russland gebe es keine Visumspflicht. Extremisten könnten sich als vermeintliche Flüchtlinge ausgeben und nach Russland einreisen. Eine Lage wie in den 1990er- und 2000er-Jahren, als im Nordkaukasus gekämpft wurde, dürfe sich nicht wiederholen.
Während die Führung Russlands und von ihr kontrollierte Medien Flüchtlinge als potenzielle Extremisten beschreiben, bemühen sie sich zugleich, die Taliban als Stabilitätsfaktor darzustellen. Allerdings werden die Taliban in Russland, wie in anderen Staaten, als Terrororganisation eingestuft. Russische Medien müssen dies in jeder Mitteilung erwähnen, auch in ihren kurzen Tweets. Für das Publikum können so widersprüchliche Eindrücke entstehen, wenn die Medien etwa berichteten, dass die Terrororganisation Taliban die russische Botschaft in Kabul zuverlässig bewache und das Personal nicht ausgeflogen werden müsse.
Bedient wird das Narrativ, laut dem die Taliban die von den USA angeführte internationale Koalition vertrieben haben und nun für Ruhe sorgen. Fraglich ist jedoch, ob die Taliban zum Beispiel den Drogenhandel, über den sie sich zum Teil finanzieren, in Richtung Zentralasien unterbinden werden. Möglich ist auch, dass andere islamistische Terrororganisationen erstarken, weil es die Taliban zulassen oder sie diese nicht bekämpfen können. Und letztlich könnten sich die Taliban als unfähig erweisen und so den Druck für Auswanderung weiter erhöhen - Szenarien, die alle nicht im Sinne Russlands sind und eher mit internationaler Kooperation als mit dem internationalen Schüren von Ängsten zu bekämpfen wären.