Aussagen zum Bürgergeld Spahns zweifelhafte Zahlen
Unionsfraktionsvize Spahn hat die geplante Erhöhung des Bürgergelds kritisiert. Dadurch würde eine vierköpfige Familie im Schnitt so viel erhalten wie eine Durchschnittsverdiener-Familie. Doch das stimmt so nicht.
Die geplante Erhöhung des Bürgergelds ab dem kommenden Jahr sorgt für hitzige Diskussionen. So kritisierte die Union, dass dadurch das Bürgergeld stärker steige als die Löhne von vielen Beschäftigten. Unionsfraktionsvize Jens Spahn sprach in dem Zusammenhang von einem falschen Signal. Denn bereits nach heutiger Rechtslage erhalte eine vierköpfige Familie im Schnitt 2.311 Euro Bürgergeld - und damit faktisch so viel wie eine Durchschnittsverdiener-Familie in Deutschland. Doch das ist nicht ganz richtig.
Denn nach Angaben des Statistischen Bundesamts (Destatis) hatten Paare mit Kindern im Jahr 2018 ein Haushaltseinkommen von 5.490 Euro im Durchschnitt vorzuweisen - netto. Deutlich mehr also als die 2.311 Euro, die Spahn genannt hat. Brutto lag das Haushaltseinkommen bei 7.435 Euro.
Und auch Alleinerziehende hatten 2018 sowohl brutto (3.147 Euro) als auch netto (2.560 Euro) im Schnitt mehr Haushaltseinkommen als die von Spahn errechneten 2.311 Euro. Neuere Zahlen gibt es nach Angaben von Destatis derzeit nicht, da die Daten zur Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) nur alle fünf Jahre erhoben werden.
Europäische Erhebung kommt auf ähnliche Werte
Es gibt jedoch zusätzlich eine europäische Erhebung über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) aus dem Jahr 2022, in der auch die Erstergebnisse für Deutschland vorliegen. Allerdings liegen hier lediglich die Bruttoeinkommen vor. Haushalte mit mindestens einem Kind kommen demnach auf ein durchschnittliches Bruttoeinkommen in Höhe von 84.207 Euro - das wären 7.017 Euro im Monat.
Alleinerziehende liegen deutlich darunter: Sie kommen im Durchschnitt auf 42.498 Euro brutto im Jahr, also 3.542 Euro monatlich. Zwei Erwachsene mit mindestens einem Kind kommen durchschnittlich auf 91.585 Euro im Jahr oder 7.632 Euro im Monat.
In der Erhebung ist zudem der Median für das Bruttohaushaltseinkommen angegeben. Dieser liegt bei Haushalten mit mindestens einem Kind bei 70.438 Euro im Jahr, also 5.870 Euro im Monat. Bei Alleinerziehenden liegt der Median bei 35.750 Euro jährlich (2.979 Euro im Monat), bei zwei Erwachsenen mit mindestens einem Kind bei 77.094 Euro (6.425 Euro im Monat).
Auf eine Anfrage des ARD-faktenfinders, woher er die Zahlen für den Durchschnittsverdienst einer Familie in Deutschland hat, antwortete Spahn nicht.
Höhe des Bürgergelds von vielen Faktoren abhängig
Dass eine vierköpfige Familie im Schnitt 2.311 Euro Bürgergeld erhält, lässt sich ebenfalls nicht pauschal sagen. Weder der Bundesagentur für Arbeit noch dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) liegen Durchschnittswerte für solch ein Szenario hervor. Das liegt daran, dass die Höhe des Bürgergelds von verschiedenen Faktoren abhängt.
Alleinstehende oder Alleinerziehende erhalten einen Regelbedarf von monatlich 502 Euro, ebenso Volljährige mit einem minderjährigen Partner. Bei einem volljährigen Partner liegt der Regelbedarf bei 451 Euro. Leistungsberechtigte im Alter von 18 bis 24 Jahren, die keinen eigenen Haushalt führen, weil sie beispielsweise im Elternhaus oder in einer Wohngemeinschaft leben, erhalten 402 Euro monatlich. Ebenso viel gibt es für Leistungsberechtigte im Alter von 15 bis 24 Jahren, die ohne Zusicherung des Jobcenters umziehen.
Kinder im Alter von 14 bis 17 Jahren sowie Minderjährige mit volljährigen Partnern erhalten 420 Euro monatlich. Für Kinder im Alter von sechs bis 13 Jahren gibt es 348 Euro, für Kinder, die das sechste Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 318 Euro.
Zusätzlich zu den Regelleistungen werden bei Bürgergeldempfängern die Kaltmiete und die Heizkosten übernommen - jedoch nur in "angemessener Höhe", wie es auf den Seiten des Arbeitsministeriums und der Bundesagentur für Arbeit heißt. Allerdings gibt es für das erste Jahr eine Karenzzeit: Das bedeutet, dass die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft im ersten Jahr des Bezugs von Bürgergeld nicht geprüft werden. Dies gilt allerdings nicht für die Heizkosten. Auch weitere Kosten wie Sozialversicherungsbeiträge werden bei Leistungsberechtigten übernommen.
Kaltmiete entscheidender Kostenpunkt
Somit hängt die Höhe des Bürgergelds sehr stark von den einzelnen Parametern ab. Bei einer Familie mit zwei volljährigen Elternteilen ohne eigenes Einkommen und zwei Kindern unter sechs Jahren ergibt sich beispielsweise ein Regelbedarf von 1.538 Euro monatlich. Bei zwei Kindern im Alter von 14 bis 17 Jahren wären es hingegen 1.742 Euro.
Hinzu kommen würde dann noch die Kaltmiete sowie die Heizkosten. Hier ist die Varianz je nach Wohnort ebenfalls sehr hoch. Um auf die 2.311 Euro aus Spahns Aussage zu kommen, müssten die Kosten für die Unterkunft im Beispiel der jüngeren Kinder insgesamt 773 Euro monatlich betragen, bei den älteren Kindern 569 Euro. Vor allem in deutschen Großstädten dürften die Kosten dafür oftmals deutlich darüber liegen, in anderen Regionen hingegen zumindest für das erste Beispiel darunter.
Worauf ein Sprecher des BMAS jedoch hinweist: Menschen, die arbeiten, würden immer mehr erhalten als Menschen ohne Arbeit. Denn Menschen mit niedrigem Einkommen hätten ebenfalls die Möglichkeit, Bürgergeld zu beziehen. Ihnen würden zusätzlich Teile des Gehalts angerechnet, sodass sie am Ende über dem Betrag lägen, den Leistungsberechtigte ohne Arbeit zur Verfügung hätten. Haushalte ohne Kinder können bis zu 348 Euro netto hinzuverdienen, Haushalte mit Kindern bis zu 378 Euro. Zudem hätten viele Niedrigverdiener beispielsweise einen Anspruch auf einen Kinderzuschlag oder auch Wohngeld.
Zu geringer Lohnabstand?
Eine Untersuchung des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) kommt zu dem Ergebnis, dass ein arbeitender Haushalt durch zusätzliche Sozialtransfers wie aufstockendes Bürgergeld oder Kinderzuschlag in der Realität zwar nicht schlechter gestellt ist als ein Haushalt, der nur Bürgergeld empfängt. Der Lohnabstand, also der Unterschied zwischen arbeitenden Haushalten und nicht-arbeitenden Haushalten, sei jedoch für manche Szenarien trotzdem sehr niedrig.
"Die erhöhten Sätze des Bürgergeldes in Verbindung mit geringerem Druck zur Arbeitsaufnahme werden in vielen Fällen dafür sorgen, dass die Arbeitsanreize zu gering sind, um zum Verlassen der Grundsicherung bzw. zur Aufrechterhaltung des Arbeitsangebotes zu motivieren", heißt es in dem Papier als Schlussfolgerung.
Auf den Lohnabstand hatte auch Unionsfraktionschef Friedrich Merz hingewiesen. "Wir haben ein Problem mit dem sogenannten Lohnabstandsgebot", sagte der CDU-Parteichef im ARD-Morgenmagazin. Diejenigen, die arbeiten, müssten am Ende des Monats "mehr Geld in der Tasche haben" als diejenigen, die soziale Transferleistungen bekommen.
Bürgergeld soll erhöht werden
Das Bürgergeld soll im kommenden Jahr um rund zwölf Prozent steigen. Erwachsene Bezieherinnen und Bezieher sollen dann beispielsweise vom 1. Januar an monatlich 563 Euro bekommen - also 61 Euro mehr als derzeit. Die Erhöhung richtet sich dabei nach dem Regelbedarfsermittlungsgesetz, das die Bedarfsermittlung für die Höhe der pauschalierten monatlichen Leistung bei der Hilfe zum Lebensunterhalt der Sozialhilfe regelt. Als Grundlage gelten hierfür sowohl die Entwicklung der Löhne als auch die Entwicklung der Verbraucherpreise, letzteres mit deutlich mehr Gewichtung.
Wie sich der Bürgergeld-Regelsatz zusammensetzt, ist dabei ganz genau definiert. Der aktuelle Regelsatz von 502 Euro beinhaltet beispielsweise 174,19 Euro für Nahrung und alkoholfreie Getränke, 48,98 Euro für Freizeit, Unterhaltung und Kultur und 41,65 Euro für Bekleidung und Schuhe. Aktuell beziehen mehr als fünf Millionen Menschen in Deutschland Bürgergeld.