Svenja Schulze
faktenfinder

Entwicklungshilfe Geld für indische U-Bahn stammt nicht aus Bundeshaushalt

Stand: 27.09.2024 06:43 Uhr

Im Netz wird seit dem Einsturz der Dresdner Carolabrücke oftmals behauptet, der Bund gebe lieber 100 Millionen Euro für eine indische U-Bahn aus als für die eigene Infrastruktur. Doch der Vergleich hinkt.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

"Deutsche Steuermillionen für Infrastruktur in Indien - während sie hierzulande zerfällt" titelt ein "Alternativmedium". Auch Politiker der AfD steigen mit ein: "100 Mio. Euro für den Ausbau einer U-Bahn in Indien - weil das 'gut für die Menschen' sei: Während die Verkehrsinfrastruktur im eigenen Land am Boden liegt, verprasst die Bundesregierung das Steuergeld der Bürger in aufstrebenden Wirtschaftsnationen", schreibt die Co-Vorsitzende Alice Weidel auf X. Ihr Parteikollege Klaus Esser meint, diesen "Irrsinn" könne sich keiner mehr ausdenken. Doch worum geht es überhaupt?

Deutschland finanziert indische Metrolinie mit

Die Aufregung ist auf eine Pressemitteilung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zurückzuführen. Dort hieß es Mitte September, dass ein Teil einer neuen Metrolinie in Indien durch einen Kredit der deutschen Entwicklungsarbeit finanziert wurde. Die neue Bahn verbindet die westindische Metropole Ahmedabad mit der Regionalhauptstadt Gandhinagar.

Konkret schreibt das BMZ: "Im Rahmen dieser Kooperation hat das BMZ über die KfW-Entwicklungsbank Indien einen günstigen Kredit über 100 Millionen Euro für die Finanzierung der Metrolinie zur Verfügung gestellt." Das Gesamtprojekt habe demnach 611 Millionen Euro gekostet, an dem Bau sei mit Siemens auch ein deutsches Unternehmen beteiligt gewesen.

Entwicklungsministerin Svenja Schulze betonte unter anderem den Klimavorteil, den eine neue Metro in Indien bringen würde. "Dieses Beispiel deutsch-indischer Zusammenarbeit ist gut für die Umwelt und die Menschen in Indien." Auch Deutschland profitiere davon: "Denn unser Wohlstand beruht darauf, dass auch andere Länder in Infrastruktur investieren und dabei Technologien 'made in Germany' nutzen."

Keine Mittel aus dem Bundeshaushalt

Dass rechtspopulistische Kreise dieses Projekt benutzen, um die Ausgaben der deutschen Entwicklungshilfe infrage zu stellen, ist aus Sicht von Stephan Klingebiel, Leiter des Forschungsprogramms "Inter- und transnationale Kooperation" am German Institute of Development and Sustainability (IDOS), aus mehreren Gründen völlig unverständlich.

Denn anders als in ihren Beiträgen behauptet, seien eben keine Mittel aus dem deutschen Bundeshaushalt für dieses Projekt ausgegeben worden - und somit auch keine Steuergelder. Denn die 100 Millionen Euro für die Metrolinie wurden über einen Kredit der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) finanziert. Anders als bei Entwicklungsländern wie Indien habe die deutsche Förderbank ein Top-Kreditranking, könne also Kredite zu besseren Konditionen erhalten, so Klingebiel. Diese Kredite verleihe die KfW dann an die Entwicklungsländer - in diesem Fall Indien - weiter.

"Das Geld wird dann verzinst zurückbezahlt. Das heißt, es ist mindestens kostendeckend", sagt Klingebiel. Es fließe kein Euro vom Bundeshaushalt in dieses Projekt, sondern es werde lediglich das gute Standing der KfW genutzt, um den entsprechenden Kredit aufzunehmen. Das Ausfallrisiko sei dabei sehr gering.

Die Behauptung, dass dieses Geld ansonsten anders hätte eingesetzt werden können, zum Beispiel für die Instandhaltung der deutschen Infrastruktur, sei daher falsch, so Klingebiel. "Es gibt keinerlei negative Implikationen für den deutschen Steuerzahler, für den Bundeshaushalt oder für irgendwelche anderen Haushalte."

Deutsche Unternehmen profitieren

Zudem verweist Klingebiel darauf, dass die Metro in Indien helfen werde, die CO2-Emissionen zu verringern. "Öffentlicher Personennahverkehr ist ein probates Mittel, CO2-Emissionen einzusparen, gerade bei dem erwartenden Fahrgastaufkommen in der Region", sagt er. Der Nutzen sei in dem Fall sehr eindeutig vorhanden.

Hinzu komme noch, dass mit Siemens ein deutsches Unternehmen einen großen Auftrag mit der Elektrifizierungstechnik erhalten habe. "Das ist nicht selten der Fall, dass im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit - gerade auch bei solchen Förderkrediten - deutsche Unternehmen auch zum Zuge kommen. Warum man sich darüber aufregen könnte, ist mir schleierhaft."

Auch Entwicklungsministerin Schulze reagierte auf die Vorwürfe im Netz und verteidigte die Entwicklungshilfe für Indien. "Wir wären doch mit dem Klammerbeutel gepudert, uns in einer Wachstumsphase, in der die Nachfrage nach deutschen Produkten steigt, zurückzuziehen", sagte die SPD-Politikerin. Deutsche Unternehmen schätzten es, "dass wir ihnen die Türen öffnen".

Die Kritik an Entwicklungshilfe für Länder wie Indien, die auch Menschen im Internet äußerten, gründe auf dem verbreiteten Gefühl in Deutschland, "dass wir zu wenig haben, dass der Kuchen kleiner geworden ist und genau geschaut werden muss, wie er verteilt wird". Das Bild stimme aber nicht. "Wir sind immer noch eines der reichsten Länder der Erde", betonte die Bundesministerin. "Wenn wir nur zwei Prozent des Haushalts in Entwicklungszusammenarbeit investieren, dann hilft das, diesen Wohlstand täglich aufs Neue wieder zu erarbeiten."

Entwicklungshilfe für populistische Zwecke missbraucht

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Projekt der deutschen Entwicklungshilfe für populistische Zwecke missbraucht wird. Auch über geplante Radwege und Busse in Peru gab es Anfang des Jahres viel Aufregung. Dabei wurde zum Teil auch mit Zahlen argumentiert, die sich nicht nachvollziehen ließen. Oftmals wird dabei behauptet, dass das Geld lieber in Deutschland ausgegeben werden sollte.

Solche Gegenüberstellungen sind aus Sicht von Knut Bergmann, Leiter des Hauptstadtbüros am Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), jedoch nicht wirklich konstruktiv. "Mit solchen Vergleichen lässt sich einfach Stimmung machen, da es tatsächlich nicht so ganz einfach ist, Menschen zu erklären, warum aus Steuermitteln Infrastruktur in anderen Ländern finanziert wird, diese hier aber notorisch unterfinanziert ist."

Allerdings handele es sich dabei zumeist um Mittel im Rahmen der Entwicklungshilfe zugunsten eines höheren Ziels, beispielsweise klimafreundlichen Verkehrssystemen. "Insofern hinken diese Vergleiche", so Bergmann.

Auch Klingebiel sieht in den Vergleichen vor allem den Versuch von Populisten, eine gewisse Stimmung zu erzeugen. "Wenn man Projekte wie die Radwege in Peru oder die U-Bahn in Indien konkret benennt, scheint das besonders eingängig zu sein, um scheinbar sinnlose Ausgabenpolitik der Bundesregierung zu kritisieren." Natürlich müsse wie in allen anderen Politikfeldern auch bei der Entwicklungspolitik jedes Projekt genau hinterfragt werden, die populistischen Kreise seien allerdings gar nicht auf eine konstruktive Diskussion aus. "Sie versuchen nur, negative Emotionen zu kreieren."

Viele Leistungen können angerechnet werden

Das zeigt sich unter anderem auch darin, dass bei den genannten Zahlen oft verschiedene Sachen vermischt werden. So heißt es in einer Meldung, Deutschland zahle im Jahr 2023 insgesamt 33,9 Milliarden Euro für Entwicklungsprojekte mit anderen Staaten. Doch das ist so zumindest irreführend.

Denn die Summe, die Deutschland als Entwicklungsleistungen gegenüber der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) angibt, setzt sich aus vielen verschiedenen Posten zusammen. So betrug der Haushalt des BMZ im Jahr 2023 12,7 Milliarden Euro, also nicht einmal die Hälfte der Entwicklungsleistungen.

Zusätzlich können bei der OECD noch viele weitere Leistungen als Entwicklungsleistungen angerechnet werden, die nicht beim BMZ liegen. Neben den Förderkrediten beispielsweise, die nicht aus dem Bundeshaushalt finanziert werden, zählen dazu auch noch Studienplatzkosten für Studierende, die aus Entwicklungsländern kommen und in Deutschland studieren, und mit einer Pauschale abgerechnet werden können.

Auch die Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten aus Entwicklungsländern in Deutschland wird in den Entwicklungsleistungen mit einkalkuliert - zu den Entwicklungsländern zählt die OECD auch die Ukraine. Laut dem BMZ waren das 2023 6,6 Milliarden Euro. Das entspricht knapp 20 Prozent der deutschen Entwicklungsleistungen.