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Kontext

Klimaschutzmaßnahmen Warum auch Deutschlands CO2-Ausstoß relevant ist

Stand: 29.11.2023 11:19 Uhr

Gegner von Klimaschutzmaßnahmen verweisen gerne auf den global gesehen geringen Anteil Deutschlands am weltweiten CO2-Ausstoß. Doch dieses Argument ist laut Experten aus mehreren Gründen irreführend.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

"Mega-Erfolg! #Deutschland verursacht nur 1,8 % der weltweiten CO2-Emissionen! Können wir nun aufhören mit der Enteignungs- und Wohlstandsvernichtungspolitik?", schreibt ein User auf der Kurzmitteilungsplattform X, ehemals Twitter. Dazu zeigt er eine Grafik, die den Anteil einzelner Staaten am weltweiten CO2-Ausstoß visualisiert.

Ähnliche Grafiken, die das Verhältnis der in Deutschland verursachten CO2-Emissionen mit dem weltweiten CO2-Ausstoß vergleichen, machen in den sozialen Netzwerken immer wieder die Runde. Der Tenor: Ob Deutschland strengere Klimaschutzmaßnahmen ergreift, sei unerheblich mit Blick auf die weltweiten CO2-Emissionen. Das greift aus Sicht von Experten jedoch zu kurz.

CO2-Emissionen: Deutschland auf Platz sieben

Nach Angaben des Umweltbundesamts betrugen die CO2-Emissionen im Jahr 2021 insgesamt 760 Millionen Tonnen. Dass Deutschland damit für 1,8 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich ist, deckt sich mit den Einschätzungen verschiedener Organisationen. So kommt die Emissionsdatenbank der Europäischen Kommission (EDGAR) für das Jahr 2021 auf 1,76 Prozent, das Global Carbon Budget beziffert den Anteil für dasselbe Jahr auf 1,82 Prozent.

Im Jahr 2022 sank Deutschlands Anteil den Daten von EDGAR zufolge auf 1,46 Prozent, von Global Carbon Budget gibt es für das Jahr jedoch noch keine Angaben, weshalb für die Vergleichbarkeit das Jahr 2021 herangezogen wird.

Generell müsse dabei beachtet werden, dass in Deutschland nur 1,08 Prozent der Weltbevölkerung leben, sagt Marie-Luise Beck, Geschäftsführerin des Deutschen Klima-Konsortiums (DKK). "Unter Gerechtigkeitsaspekten sind also rund 1,8 Prozent der globalen Emissionen deutlich zu viel. Dieser Vergleich ist keinesfalls unerheblich."

Denn obwohl Deutschland von der Bevölkerung her nur das 19. größte Land der Welt ist, ist es auf Platz sieben was den absoluten CO2-Ausstoß betrifft. Den größten Anteil an den globalen Emissionen verursachen China, die USA und Indien - alles Länder, die jedoch auch deutlich mehr Einwohner als Deutschland haben.

Deutschland mit China auf Augenhöhe

Bei fast 200 Ländern weltweit sei es ohnehin nicht sinnvoll, mit dem geringen Einfluss einzelner Staaten zu argumentieren, sagt Toralf Staud, Fachjournalist des Wissensportals klimafakten.de. Denn bis auf China und die USA ist der Anteil aller Länder am globalen CO2-Ausstoß einzeln betrachtet maximal im einstelligen Prozentbereich. "Nach dieser Logik müsste eigentlich fast kein Land seine Emissionen reduzieren", sagt Staud. Ein besserer Vergleich sei es daher, die CO2-Emissionen eines Landes pro Kopf anzuschauen.

China, das auch aufgrund der großen Bevölkerung für knapp ein Drittel der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich ist, lag pro Kopf gerechnet je nach Quelle im Jahr 2021 zwischen 8,0 bis 8,7 Tonnen CO2-Emissionen pro Einwohner in etwa gleichauf mit Deutschland mit 8,1 Tonnen. Deutschland verursachte pro Kopf beispielsweise mehr als alle EU-Staaten im Schnitt (6,3 Tonnen) und deutlich mehr als der weltweite Durchschnitt von 4,8 Tonnen.

In Relation zur Bevölkerung liegen unter anderem Katar (34,4 bis 40 Tonnen), Saudi-Arabien (16,6 bis 18 Tonnen) und die USA (14,2 bis 15 Tonnen) im globalen Vergleich weit vorne.

Globales Ungleichgewicht

Vor allem Länder im globalen Süden, die für deutlich weniger CO2-Emissionen verantwortlich sind, würden schon jetzt unter den Folgen des menschengemachten Klimawandels leiden, sagt Beck. Beispielsweise könne der anthropogene "Fußabdruck" für die verheerende Flut in Pakistan im vergangenen Jahr nachgewiesen werden, während das Land selbst jedoch nur für rund 0,3 Prozent der historischen CO2-Emissionen verantwortlich sei. Und auch heutzutage gehen ein Großteil der weltweiten CO2-Emissionen auf das Konto der G20-Staaten.

Nicht nur mit Blick auf die CO2-Emissionen gibt es ein klares Ungleichverhältnis: Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Global Footprint Network verbraucht die Menschheit bereits seit den 1970er-Jahren zu viele natürliche Ressourcen. Besonders die Länder des globalen Nordens leben über ihre Verhältnisse: Wenn alle Menschen so leben würden wie die Europäer, wären fast drei Erden notwendig, um den Ressourcenverbrauch nachhaltig zu ermöglichen. Wenn alle Menschen so lebten wie in den USA, wären es sogar knapp fünf Erden.

Durch das alles wachse auch der Druck auf die westlichen Länder, sagt Beck. "Die Argumentation, '1,8% machen den Kohl nicht fett', wird die Weltgemeinschaft nicht nur Deutschland nicht durchgehen lassen - sondern sie würde nur weiterhin zum Glaubwürdigkeitsverlust 'des Westens' beitragen und insgesamt die internationalen Klimaverhandlungen weiter erschweren."

Mit Blick auf die Vergangenheit ist der Anteil Deutschlands an den weltweiten CO2-Emissionen zudem noch größer, wie eine Analyse des Klimaportals Carbon Brief zeigt. Demnach ist Deutschland seit Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert für 3,5 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich - nur fünf Länder haben mehr.

Klimaschutzverträge müssen eingehalten werden

Zudem hat Deutschland auch verbindliche Verpflichtungen, den CO2-Ausstoß zu senken. Durch das Pariser Klimaabkommen von 2015 hätten sich die Staaten beispielsweise verpflichtet, "dass jeder Staat beitragen muss und dass jedes Land seinen spezifischen Weg aus dem fossilen Zeitalter zu finden hat", so Beck. "Denn am Ende müssen alle bis zur Mitte des Jahrhunderts auf Null kommen. Da nützen solche Zahlenspiele, wie die mit den 1,8 Prozent, nichts."

Auf nationaler Ebene gibt es zudem das Klimaschutzgesetz. Darin hat sich die Bundesregierung verpflichtet, den CO2-Ausstoß bis 2030 um 65 Prozent zu reduzieren im Vergleich zum Jahr 1990. Bis zum Jahr 2045 muss Deutschland dem Gesetz nach klimaneutral sein. Das Bundesverfassungsgericht wies in einem Urteil sogar explizit darauf hin, dass der Klimaschutzverpflichtung nicht entgegen stehe, "dass Klima und Erderwärmung globale Phänomene sind und die Probleme des Klimawandels daher nicht durch die Klimaschutzbeiträge eines Staates allein gelöst werden können".

Außerdem gibt es auch noch das Klimagesetz der EU, demzufolge alle Mitgliedsländer verpflichtet sind, bis 2050 klimaneutral zu sein.

Die Behauptung, dass Deutschland mit Blick auf die weltweiten CO2-Emissionen ohnehin kaum einen Einfluss auf die globale Erwärmung habe, ist daher aus Sicht von Staud ohnehin nur ein Scheinargument. "Es ist eine Ausrede, um Klimaschutz-Maßnahmen zu verzögern", sagt Staud. Die Verantwortung am Klimawandel werde von sich geschoben, um die Notwendigkeit von Klimaschutz-Maßnahmen zu negieren. "Dieses Argument würde ja auch nur dann funktionieren, wenn Deutschland wirklich bereits sehr viel für eine Verringerung der Emissionen machen würde. Doch Deutschland ist hier schon lange nicht mehr Vorreiter."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR-radioWelt am 14. Juli 2023 um 06:05 Uhr.