Gesundheitsmythen Zuckeralternativen sind nicht zwingend gesünder
Besonders in der Weihnachtszeit wird viel gebacken. Um vermeintlich gesünder zu essen, verzichten einige dabei auf raffinierten Zucker - und ersetzen ihn durch Alternativen wie Honig. Ein Trugschluss, sagen Experten.
"Zuckerfreie Kekse mit Manuka-Honig" oder "Rezepte für gesunde Kekse": Im Netz und in Kochbüchern wimmelt es von vermeintlich gesunden Rezepten für Kuchen und Kekse, durch die man ohne schlechtes Gewissen während der Weihnachtszeit ordentlich zulangen kann. Denn Honig beispielsweise sei kein Zucker und mache nicht dick, heißt es unter anderem in einem TikTok-Video. Doch das ist falsch.
Deutsche essen zu viel Zucker
33,2 Kilogramm: So viel Zucker konsumiert jeder Deutsche durchschnittlich im Jahr, zeigen Zahlen der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Das sind etwa 91 Gramm Zucker pro Tag - und damit fast doppelt so viel, wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt.
"Ganz generell muss man sagen, dass Menschen in westlichen Industrienationen viel zu viele süße Produkte zu sich nehmen", sagt Pamela Kerschke-Risch, Ernährungssoziologin an der Universität Hamburg. "Zucker kann Karies und Übergewicht fördern und das Diabetes-Risiko erhöhen."
Kein Wunder also, dass "Backen ohne Zucker" zu einem Trend geworden ist. Allerdings kann das für eine böse Überraschung auf der Waage sorgen, denn in vielen Fällen sind solche Rezepte nicht wirklich frei von Zucker.
"Andere Variante von Zucker"
"Oftmals handelt es sich bei vermeintlichen Zuckeralternativen aus chemischer Sicht lediglich um eine andere Variante von Zucker", sagt Daniel Wefers, Professor für Lebensmittelchemie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Denn Zucker gibt es nicht nur in weißer Form, dem sogenannten raffinierten Zucker oder auch Haushaltszucker (Saccharose). Dieser wird aus Zuckerrohr oder Zuckerrüben gewonnen und ist industriell relativ kostengünstig herzustellen, weshalb er vielen Lebensmitteln beigemischt wird.
Es gibt noch viel mehr Arten von Zucker, zu den bekanntesten gehören die Einfachzucker Fruchtzucker (Fructose) und Traubenzucker (Glucose), aus welchen die Saccharose (ein Zweifachzucker) aufgebaut ist. Weit verbreitet sind zudem die Zweifachzucker Laktose (Milchzucker) und Maltose (Malzzucker). Die sogenannten Mehrfachzucker (Polysaccharide) bestehen aus sehr vielen Bausteinen, schmecken nicht süß und werden nicht den Zuckern zugerechnet.
In vielen Rezepten bedeutet ohne Zucker, dass auf raffinierten Zucker verzichtet wird. Das heißt jedoch nicht, dass wirklich kein Zucker enthalten ist. Als vermeintlich gesündere Variante von raffiniertem Zucker wird beispielsweise oftmals brauner Zucker, meist Rohrohrzucker, empfohlen.
"Rohrohrzucker unterscheidet sich fast gar nicht vom Haushaltszucker", sagt Wefers. Zwar enthalte Rohrohrzucker minimal mehr Mineralstoffe, allerdings in so einem geringen Maße, dass dies kaum ins Gewicht falle. Auch Kerschke-Risch sagt, dass brauner Zucker nicht gesünder ist.
Auch Honig besteht hauptsächlich aus Zucker
Ebenfalls als vermeintlich gesündere Alternative zu raffiniertem Zucker wird oftmals Honig dargestellt. Doch auch hier lässt sich das nicht so pauschal sagen, so die Experten. Denn Honig besteht zu etwa 70 Prozent aus Zucker, genauer gesagt Glucose und Fructose. "Beim Honig liegen anders als beim Haushaltszucker die beiden Bausteine Glucose und Fructose einzeln vor und nicht aneinander geheftet. Das sind aber dieselben beiden Bausteine", sagt Wefers.
Anders als beim Haushaltszucker müssten die Zuckermoleküle daher nicht im Verdauungstrakt gespalten werden. "Honig kann man als freien, schnell verfügbaren Zucker ansehen. Und das ist eigentlich etwas, was man im Übermaß vermeiden sollte."
Zwar enthält Honig im Gegensatz zu Haushaltszucker auch Spuren von Vitaminen, Mineralstoffen und Enzymen, wovon letztere eine entzündungshemmende Wirkung haben. "Das gilt aber nur so lange, wie der Honig nicht erhitzt wird", sagt Kerschke-Risch. "Wenn Honig zum Beispiel zum Backen verwendet wird, sind diese ganzen positiven Eigenschaften dahin."
Woher der Zucker kommt ist unerheblich
Auch andere vermeintlich natürliche Alternativen wie Agavendicksaft oder Kokosblütenzucker haben nach Angaben der Experten keine wirklichen Vorteile gegenüber dem Haushaltszucker. "Bei Agavendicksaft liegt hauptsächlich Fructose vor, was den Blutzuckerspiegel etwas langsamer ansteigen lässt", sagt Wefers. Dafür könne der übermäßige Verzehr von Fructose jedoch zu Leberproblemen führen.
Datteln bestehen zu etwa 60 Prozent aus Zucker, darunter Glucose, Fructose und Saccharose. Allerdings enthalten sie unter anderem auch Magnesium, Eisen, Vitamin B und C sowie Ballaststoffe. Dennoch sollte man auch mit Datteln sparsam sein, sagt Wefers. "Wenn man Datteln isst, nimmt man trotzdem viel Zucker zu sich. Und woher der Zucker letztendlich kommt, ist dem Körper egal." Lebensmittel mit dem Hinweis "ohne Zuckerzusatz" seien daher missverständlich, wenn stattdessen beispielsweise Agavendicksaft verwendet werde.
Denn ob Haushaltszucker oder die Alternativen: "Man sollte nicht seine Hauptkalorienmenge über süße Produkte zuführen", sagt Kerschke-Risch. Denn für eine gesunde Ernährung seien sie nicht notwendig.
Dinkel nicht zwingend gesünder als Weizen
Dass vermeintlich natürliche Produkte automatisch auch gesünder seien als industriell verarbeitete, sei ein weit verbreiteter Mythos, sagt Kerschke-Risch. "Das ist eine Reduktion der Komplexität. Ernährung ist unglaublich kompliziert und es gibt keine einfachen Konzepte, mit denen man sich gesund ernähren kann." Dazu komme noch, dass die vermeintlich natürlichen Zuckeralternativen teurer seien als Haushaltszucker. "Wenn ein Produkt teurer ist, assoziieren die Konsumierenden damit immer, dass es dann auch besser sein muss."
Auch bei anderen Produkten gibt es vor allem in den sozialen Netzwerken einige Influencerinnen und Influencer, die die vermeintlichen Vorteile von natürlichen oder unbehandelten Lebensmittel propagieren. So bewerben einige den Konsum von Rohmilch, obwohl das gesundheitlich keine Vorteile bringt, dafür aber einige Gefahren birgt im Vergleich zu erhitzter Milch.
Auch Weizenprodukte genießen in einigen Kreisen einen schlechten Ruf. Empfohlen wird von einigen Influencern stattdessen, beispielsweise auf Dinkel zu setzen. Doch das ergibt aus Sicht von Wefers aus mehreren Gründen keinen Sinn. "Die modernen Dinkel-Sorten sind sehr eng mit dem Weizen verwandt beziehungsweise gingen aus diesem hervor. Dinkel wird ja gerne als sehr altes Getreide dargestellt, aber das trifft gar nicht unbedingt zu." Zudem sei das Alter einer Getreideart nicht pauschal etwas positives.
Auch dass Dinkel besser verträglich sei als Weizen, ist wissenschaftlich nicht bewiesen. Denn anders als oft behauptet, enthält Dinkel genau wie Weizen Gluten. Auch in einer Studie ließ sich kein Unterschied hinsichtlich der Verträglichkeit feststellen. Unabhängig von der Verträglichkeit sei bei Getreide vor allem der Ausmahlungsgrad entscheidend mit Blick auf gesundheitliche Vorteile. Denn Vollkornprodukte enthielten zum Beispiel mehr Ballaststoffe und Mineralstoffe - bei Weizen genauso wie bei Dinkel oder anderen Sorten.
"Natürliche Produkte sind nicht automatisch gut"
Das Bewerben von vermeintlich natürlichen oder ursprünglichen Lebensmitteln ist aus Sicht von Kerschke-Risch auch ein Problem in den sozialen Netzwerken. "Auf TikTok und Co werden zum Thema Ernährung viele sehr vereinfachte Beiträge verbreitet, die der Komplexität nicht gerecht werden." Viele Menschen suchten jedoch gerne nach einfachen Lösungen für komplexe Probleme, weshalb die Resonanz auf solche Beiträge so groß sei.
Heilsversprechen durch bestimmte Lebensmittel sollten daher erstmal kritisch hinterfragt werden. Denn auch bei der Ernährung sei der Placeboeffekt nicht zu unterschätzen, so Kerschke-Risch. "Der Placeboeffekt kann dazu führen, dass Menschen sich aufgrund einer bestimmten Ernährungsweise besser fühlen, obwohl es ernährungsphysiologisch eigentlich keine Gründe dafür gibt."
Auch Wefers warnt davor, sich von falschen Ernährungsratgebern täuschen zu lassen. "Natürliche Produkte sind nicht automatisch etwas Gutes, genau so wenig wie verarbeitete Lebensmittel automatisch etwas Schlechtes sind." Es sei daher wichtig, die Verbraucherinnen und Verbraucher aufzuklären, um den sich hartnäckig haltenden Gesundheitsmythen etwas entgegenzusetzen.