AfD-Pressemitteilungen Verzerrtes Bild von Straftätern
Flüchtlinge aus dem Irak, Syrien und Afghanistan tauchen in Pressemitteilungen der AfD zur Kriminalität besonders häufig auf. Statistiken zeigen: Dadurch wird die Realität verzerrt.
Eine wissenschaftliche Auswertung von Pressemitteilungen der AfD zeigt, dass dort besonders Straftaten erwähnt wurden, bei denen die Tatverdächtigen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan kommen - den Hauptherkunftsländern für Asylsuchende seit 2015.
Andere große Bevölkerungsgruppen blieben hingegen weitgehend unerwähnt - beispielsweise Menschen aus der Türkei, Polen, Rumänien, Italien, Serbien und Russland. Straftaten von Deutschen spielen praktisch überhaupt keine Rolle bei der AfD.
In die Stichprobe zum 30. Oktober 2018 gingen Texte des Bundes- und aller Landesverbände sowie der Bundestagsfraktion und aller zu diesem Zeitpunkt tätigen Landtagsfraktionen ein, und zwar jeweils maximal 12 Texte, soweit sie im Jahr 2018 erschienen waren. Insgesamt wurden 242 Mitteilungen ausgewertet.
Wie viele Straftaten wurden von Flüchtlingen begangen?
Im vergangenen Jahr gab es in Deutschland laut Polizeilicher Kriminalstatistik 5,56 Millionen Straftaten. Ein Rückgang im Vergleich zum Jahr 2017 um 3,6 Prozent. Einen Hinweis darauf, wie hoch der Anteil von Flüchtlingen daran war, gibt das Lagebild "Kriminalität im Kontext von Zuwanderung" des Bundeskriminalamts (BKA). Die dort geführte Kategorie "tatverdächtige Zuwanderer" umfasst Asylbewerber, Schutz- und Asylberechtigte, Kontingentflüchtlinge, Geduldete und Menschen mit unerlaubtem Aufenthalt.
Im Bereich der Allgemeinkriminalität - ohne ausländerrechtliche Verstöße - gab es demnach 165.769 tatverdächtige Zuwanderer im Jahr 2018. Der Anteil der Zuwanderer bleibt mit 8,6 Prozent damit in etwa auf dem Niveau des Vorjahres (8,5 Prozent). Am höchsten war der Anteil tatverdächtiger Zuwanderer mit 15 Prozent bei Straftaten gegen das Leben und mit zwölf Prozent bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung.
Unterschiede zwischen Herkunftsstaaten
Das Lagebild des BKA verweist auf deutliche Unterschiede zwischen einzelnen Herkunftsstaaten. "So lag der Anteil der tatverdächtigen Zuwanderer aus den zuwanderungsstarken Staaten Syrien, Afghanistan und Irak insgesamt bei 39 %, während ihr Anteil an den Asylsuchenden bei 59 % lag."
Das betrifft demnach insbesondere syrische Asylsuchende. Zwischen 2015 und 2018 kamen 34,6 Prozent der Asylsuchenden aus Syrien, ihr Anteil an den tatverdächtigen Zuwanderern beträgt im Lagebild aber 20,2 Prozent. Der Anteil afghanischer Asylsuchender in dem Zeitraum lag bei 12,8 Prozent, ihr Anteil an tatverdächtigen Zuwanderern 11,5 Prozent. Der Anteil irakischer Tatverdächtiger beträgt 7,2 Prozent bei 11,6 Prozent Anteil an Asylgesuchen.
In der Statistik überrepräsentiert hingegen sind Zuwanderer aus Algerien, Marokko und Tunesien. Ihr Anteil bei den Tatverdächtigen liegt bei sieben Prozent, während ihr Anteil an den Asylsuchenden nur 2,4 Prozent beträgt. Insgesamt ist die Gruppe der Zuwanderer gemessen an ihrem Anteil an der Bevölkerung überrepräsentiert. Kriminologen haben dafür unterschiedliche Erklärungen.
Häufigere Anzeigen und fehlende Perspektive
Ein Gutachten von Christian Pfeiffer, dem ehemaligen Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN), kommt zu dem Schluss, dass Flüchtlinge häufiger angezeigt werden. Die Anzeigebereitschaft der Opfer werde stark von der ethnischen Zugehörigkeit beeinflusst. "Am KFN wiederholt durchgeführte Opferbefragungen haben hierzu ein Grundmuster bestätigt: Je fremder der Täter ist, umso eher wird angezeigt."
Außerdem müsse man die Zahlen in einen Kontext der Altersgruppen sehen. Das hätten ihre Untersuchungen in Niedersachen ergeben. "Die in jeder Gesellschaft sehr gewaltorientierten männlichen 14- bis unter 30-jährigen erreichten bei Flüchtlingen einen Anteil von 26,9 Prozent gegenüber nur 9,3 Prozent in der Wohnbevölkerung Niedersachsens des Jahres 2014."
Der überproportionale Anteil Tatverdächtiger aus Algerien, Marokko und Tunesien sei durch deren häufig ungünstige Bleibeperspektive zu erklären. Für Flüchtlinge aus den nordafrikanischen Ländern gebe es häufig weder Bleiberecht noch Arbeitserlaubnis. "Diese frustrierenden Botschaften haben offenkundig das Risiko von Gewalttaten erhöht."
Unterschiedliche Lebens- und Fluchtgeschichten
Die Kriminologin Britta Bannenberg von der Universität Gießen schließt diese Gründe als Erklärung für ihre Erhebung aus. Die Studie, die in der Zeitschrift "Kriminalistik" veröffentlicht wurde, wurde mit Inhaftierten in hessischen JVAs durchgeführt. Ein zentrales Ergebnis: Die Lebensgeschichten vor und während der Flucht unterscheiden sich teilweise stark und sind für das jeweilige Gewaltrisiko entscheidend.
Vor allem aus Syrien wären viele der Befragten mit ihren Familien gekommen. Bei den Befragten aus nordafrikanischen Ländern handele es sich hingegen "fast ausschließlich um junge Menschen, die in sozial benachteiligten und bildungsfernen Verhältnissen aufgewachsen sind".
Auffällig sei, dass es häufig keine Anbindung an eine Familie gebe und der Versuch, eine zukunftsorientierte Lebensplanung zu entwerfen, gar nicht erst unternommen werde. Viele hätten während der Befragungen außerdem von Gewalterfahrungen berichtet. Hinzu kommen unterschiedliche Fluchtgeschichten. Anders als etwa Flüchtlinge aus Syrien wären die Menschen aus nordafrikanischen Ländern, die vor schwierigen Lebensbedingungen geflohen sind, teilweise jahrelang unterwegs.
Britta Bannenberg, Professorin an der Justus-Liebig-Universität Gießen
Lange Phasen der Unsicherheit
Ähnlich sieht das Christian Walburg vom Institut für Kriminalwissenschaften der Universität Münster. Gerade bei schweren Gewaltdelikten könnten belastende Gewalterfahrungen und eine Herkunft aus "stärker patriarchalisch geprägten Gesellschaften mit geringer entwickeltem staatlichem Gewaltmonopol" gewaltsames Verhalten begünstigen, wie Walburg in einem Artikel schreibt.
Allerdings verweist Walburg ebenfalls auf eine mögliche höhere Wahrscheinlichkeit, angezeigt zu werden und auf oft aussichtslose Lebensumstände. An der Kriminalstatistik sei zu erkennen, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Delikten und "limitierten Lebensumständen" gebe.
Eine positive Perspektive im Ankunftsland sei wichtig. "Lange Phasen der Statusunsicherheit, Passivität sowie gewaltbegünstigende Formen der Unterbringung gilt es so weit es geht zu vermeiden. Möglichst schnell sollten Kontakte zur Gesellschaft und Zugänge zum Arbeitsmarkt gefördert werden."
Auffällig sei auch, dass anerkannte Flüchtlinge sehr selten als Tatverdächtige registriert worden sind. Das ist Walburgs Ansicht nach plausibel, "geht es dabei doch um diejenigen, deren Lebenssituation sich tendenziell verbessert hat und deren Perspektiven vergleichsweise günstig sind".