Abschuss von Flug MH17 Russische Nebelkerzen als Propagandamittel
Der Abschuss von Flug MH17 war auch ein Lehrbeispiel russischer Desinformation: Um Verwirrung zu stiften, wurden zahlreiche Behauptungen zu dem Fall verbreitet - auch wenn sie zum Teil bereits längst widerlegt waren.
Am 17. Juli 2014 wurde das Flugzeug der Malaysia Airline mit der Flugnummer 17, auch bekannt als MH17, auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur über der Ostukraine abgeschossen. 298 Menschen starben. Angesichts des bereits damals schwelenden Krieges - offiziell zwischen prorussischen Separatisten und der Ukraine - war der Fall für die russische Regierung besonders brisant. Schließlich wurde dadurch die Aufmerksamkeit auch auf die Rolle des Kremls gelenkt, der bis dahin seine direkte Einmischung in dem Krieg stets abgestritten hatte.
Ziemlich schnell verdeutlichten sich die Hinweise darauf, dass das Flugzeug von einer Rakete getroffen wurde. Zwei Ermittlerteams nahmen sich des Falles an: Eine technische Untersuchung zur Absturzursache unter Leitung des niederländischen Flugsicherheitsrats (OVV) und eine strafrechtliche Untersuchung, das Joint Investigation Team (JIT), um die Schuldigen zu identifizieren. Doch der Kreml mitsamt der russischen Staatsmedien verfolgte ganz eigene Ansätze - und zündete zahlreiche Nebelkerzen.
Die Mär vom ukrainischen Kampfjet
Eine der ersten russischen Versionen zur vermeintlichen Absturzursache von Flug MH17 war, dass ein ukrainischer Kampfjet das Flugzeug abgeschossen haben soll - mit Verweis auf angebliche Radardaten. Zudem zitierte das russische Staatsmedium RT einen angeblichen Zeugen, der diese Version stützte. Der Kreml hielt die Version so lange aufrecht, bis am 13. Oktober 2015 der Abschlussbericht der technischen Untersuchung veröffentlicht wurde - mit dem Ergebnis, dass das Flugzeug von einer Boden-Luft-Rakete vom Typ Buk getroffen wurde.
Radardaten der Ukraine und Russlands hatten nach Angaben der Ermittler zusammengenommen ein vollständiges Bild des Luftraums über der Ostukraine ergeben: Zum Zeitpunkt des Absturzes seien keine anderen Flugzeuge in der Nähe gewesen, was einen Abschuss durch einen Kampfjet ausschließe.
Wo wurde die Rakete abgefeuert?
Doch die russische Desinformationskampagne hatte sich auf das absehbare Ergebnis vorbereitet - denn bereits ein Zwischenbericht der Ermittler des OVV ließ eine Boden-Luft-Rakete als wahrscheinliche Absturzursache vermuten. Parallel zu der Version, dass ein ukrainisches Kampfjet den Flug MH17 abgeschossen habe, wurde daher die Behauptung aufgestellt, ukrainische Soldaten hätten das Flugzeug mit einer Buk-Rakete abgeschossen. Auch hierfür präsentierten die russischen Staatsmedien angebliche Augenzeugen.
Das JIT ging nach eigenen Angaben verschiedenen möglichen Abschussstellen der Buk-Rakete nach. Darunter waren zwei Orte in der Nähe des ukrainischen Dorfes Zaroshchenskoye, die von Moskau als mögliche Abschussorte genannt wurden und zu dieser Zeit unter Kontrolle des ukrainischen Militärs gewesen sein sollen.
Allerdings habe sich durch Analysen von Audio-, Video- und Fotomaterial, Bodenproben und Zeugenaussagen für die Ermittler herausgestellt, dass dies nicht der Abschussort gewesen sein könne. Zudem befanden sich demnach diese Orte zu dem betreffenden Zeitpunkt unter Kontrolle von prorussischen Kämpfern.
Misstrauen gegen Ermittlerteams
Auch die internationalen Ermittlerteams wurden von der russischen Desinformationskampagne ins Visier genommen. So beklagte unter anderem das Außenministerium in Moskau, die von der russischen Seite bereitgestellten Angaben würden ignoriert. Zudem wurde in den Staatsmedien suggeriert, dass die Ermittler gar nicht an einer Wahrheitsfindung interessiert gewesen seien, sondern lediglich das westliche Narrativ unterstützen wollten.
Besonders nach Veröffentlichung eines Zwischenberichts des JIT Ende September 2016 wurde diese Version von der russischen Propaganda oft verbreitet - schließlich kamen die Ermittler zu dem Ergebnis, dass eine mobile Buk-Rakete im Juli 2014 in die Ostukraine gebracht, von dort abgefeuert und der Raketenwerfer anschließend sofort zurück nach Russland gebracht wurde.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow führte selbst 2018 noch "unfälschbare" Radar-Standortdaten an, denen zufolge die Rakete nicht aus der von den Ermittlern behaupteten Richtung kommen konnte. Die angebotenen Daten habe das multinationale Ermittlerteam jedoch nur selektiv akzeptiert.
Dabei hatte das JIT längst bestätigt, dass es Radardaten auch von Russland erhalten habe. Das JIT betonte damals, es habe "ausreichende und wichtige Radarbilder" ausgewertet, die sowohl von der Ukraine als auch von Russland zur Verfügung gestellt worden waren. Durch intensive Recherchen habe man eine weitere Videodatei mit relevanten Primärradardaten des Gebietes gefunden, die von einem mobilen Radar in der Ukraine aufgezeichnet worden waren. Das Material sei "mehr als ausreichend", um Schlussfolgerungen im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen zu ziehen.
Russland von Untersuchung ausgeschlossen?
Immer wieder erhob das russische Außenministerium zudem den Vorwurf, Russland sei von einer vollwertigen Beteiligung von der Ermittlungsgruppe JIT ausgeschlossen und die Bemühungen Russlands nur als "nebenwichtig" eingestuft worden. Dabei gab es keinerlei Grundlage, auf der Russland Mitglied des JIT hätte werden sollen: Russische Staatsangehörige waren nicht an Bord von MH17. Und Russland sah sich selbst nicht als Konfliktpartei in der Ostukraine.
Zudem wurden russische Behörden entgegen der Behauptungen des Kremls involviert: Eine erste Anfrage hatte die niederländische Staatsanwaltschaft im Oktober 2014 nach Moskau geschickt und reichte seither immer wieder Fragen ein. Im Juli 2016 reiste eine JIT-Delegation nach Moskau, um Rechtshilfe zu klären.
Hielten die USA wichtige Daten zurück?
In den russischen Staatsmedien wurde den USA zudem vorgeworfen, wichtige Satellitenbilder zurückzuhalten. Das ließe nur den Schluss zu, dass die USA eindeutige Beweise dafür hätten, dass die Ukraine hinter der Katastrophe stecke. Dabei hatten die USA ihre Daten dem Ermittlerteam zur Verfügung gestellt, wie der niederländische Chefermittler Fred Westerbeke bestätigte.
Dass die USA die Satellitenbilder nicht der Öffentlichkeit zugänglich machten, begründete der damalige US-Botschafter in Kiew, Geoffrey R. Pyatt, 2015 in einem ARD-Interview damit, dass die USA niemals Geheimdienstinformationen veröffentlichen würden.
Rechercheverbund "Bellingcat" diskreditiert
Auch der Rechercheverbund "Bellingcat" und dessen Gründer Eliot Higgins, der mithilfe von öffentlich zugänglichen Daten den Fall untersucht hatte und dabei wertvolle Erkenntnisse lieferte, wurde von Russland scharf angegangen. In russischen Staatsmedien hieß es unter anderem, "Bellingcat" werde von der ukrainischen Führung bezahlt. Zudem habe "Bellingcat" Bilder und Videos manipuliert und ungenau gearbeitet.
Dem widersprach das JIT in einem detaillierten Video, das auch Bilder und Daten aus der "Bellingcat"-Recherche zeigt. Finanziert wird "Bellingcat" zudem durch Crowd-Funding und das Anbieten von Seminaren und nicht von der Ukraine.