Ostukraine Inszenierte Bilder für eine Eskalation?
Russische Medien berichten über einen angeblichen Spion Kiews und Anschläge in den Separatistengebieten. Doch sogenannte OSINT-Recherchen legen nahe, dass nicht alles so ist, wie es scheint.
Russische Medien haben am Wochenende über einen Ermittlungserfolg in der Ostukraine berichtet: Ein Spion, der für die Regierung in Kiew arbeite, sei am 17. Februar festgenommen worden. Der Mann soll bei der Zollabteilung der "Volksrepublik Donezk" tätig gewesen sein - und für die Ukraine in den Separatistengebieten spioniert haben.
Er werde verdächtigt, an der Explosion des Autos des Leiters der "Donezker Volksmiliz", Denis Sinenkow, beteiligt gewesen zu sein, berichten russische Medien wie Sputnik News Agency weiter. Außerdem soll der angebliche Spion führende Minister in Donezk überwacht und freien Grenzübergang der für Kiew "notwendigen" Güter gewährleistet haben. Zudem habe er Pläne offenbart, wie die Regierung in Kiew die Separatistengebiete erobern wolle. So seien Sprengstoffanschläge auf Bahnhöfe und Brücken geplant, dafür soll der Agent auch potenzielle Täter rekrutiert haben.
Der Fall wird von russischer Seite als Beleg angeführt, dass die Regierung in der Ukraine die Lage eskaliere und einen Offensive plane. In der selbst ernannten Volksrepublik Donezk rief Separatistenführer Denis Puschilin alle Männer zu den Waffen, um gegen ukrainische Regierungstruppen zu kämpfen. Die Ukraine hatte immer wieder betont, keine Offensive gegen die Separatisten zu planen. Puschilin wiederum sprach von massivem Beschuss von ukrainischer Seite.
Fragen zur Plausibilität
Die Berichte über die Lage in der Ostukraine sowie die Festnahme des angeblichen Spions können kaum unabhängig geprüft werden. Fraglich ist allerdings, warum ein angeblicher Spion, der in den Separatistengebieten für die Regierung in Kiew tätig sein soll, in Angriffspläne der militärischen Führung eingeweiht worden sein soll. Das Risiko einer Enttarnung und somit das Bekanntwerden der Pläne erscheint zumindest beträchtlich.
Der zeitliche Ablauf wirkt ebenfalls wenig plausibel, denn der angebliche Spion wurde den russischen Medienberichten zufolge am Donnerstag festgenommen, der Anschlag auf das Fahrzeug des prorussischen Milizenchefs soll aber am Freitag stattgefunden haben. Bereits am Samstag veröffentlichten russische Medien dann ein Interview mit dem angeblichen Spion.
Fragen zu den Bildern des Anschlags
Dazu kommen Ungereimtheiten zu dem angeblichen Anschlag, in den der Spion verwickelt sein soll. So veröffentlichten die prorussischen Separatisten Bilder eines Fahrzeugs, das dem Milizenchef gehören soll und das durch einen Sprengsatz zerstört worden sei. Dieses Fahrzeug steht auf einem leeren Parkplatz, auf den Fotos ist das Nummernschild zu erkennen.
OSINT-Recherche zu dem explodierten Fahrzeug.
Dieses Nummernschild identifizierten OSINT-Recherchen allerdings auf einem anderen Fahrzeug, einem SUV. Die Vermutung: Das Nummernschild sei an einem anderen Fahrzeug angebracht worden, die Explosion inszeniert. Bewiesen ist das allerdings nicht.
Russische Agenten identifiziert
OSINT ist eine Abkürzung für Open Source Intelligence; gemeint ist dabei die Gewinnung von Informationen aus frei verfügbaren, offenen Quellen. Dazu können Foto-Datenbanken, soziale Netzwerke, Telefonverzeichnisse, gehackte Daten im Netz oder Landkarten wie Google Maps und viele mehr gehören. Eine Übersicht von OSINT-Instrumenten gibt es online zu Dutzenden - in Sammlungen werden diese geordnet nach Kategorien angeboten.
Mit solchen OSINT-Recherchen gelang es beispielsweise, russische Geheimdienstoffiziere zu identifizieren, die den Skripal-Anschlag in Großbritannien verübt haben sollen. Nach dieser Enttarnung traten die beiden Agenten als Pärchen in russischen Medien auf und behaupteten, sie seien aus touristischen Gründen an dem Anschlagsort in Großbritannien gewesen.
OSINT-Recherchen gehören mittlerweile fest zu journalistischen Recherchen. Ein BR/WDR-Team nutzte solche Instrumente ebenfalls, um Spuren von russischen Hackergruppen zu dem Geheimdienst FSB nachzuverfolgen.
Meta-Daten sorgen für weitere Fragen
Wichtiger Teil von OSINT-Recherchen ist die Verifikation von Bildern und Videos. Dabei werden unter anderem die Metadaten analysiert, um beispielsweise Rückschlüsse auf das Entstehungsdatum zu erhalten. Auch hier gibt es aktuell offene Fragen, was die Lage in der Ostukraine betrifft. So soll ein Video, das am 18. Februar veröffentlicht wurde und in dem die Separatisten eine Evakuierung aus den Gebieten ankündigten, bereits am 16. Februar produziert worden sein. Für diesen Tag hatten die USA mit einem Angriff der russischen Truppen auf die Ukraine gerechnet.
Weitere Auffälligkeiten ergeben sich aus der Analyse eines weiteren Videos, das laut russischen Medien einen Sabotageakt zeigen soll. Hier gibt es laut OSINT-Recherchen Auffälligkeiten bei der Tonspur, die offenbar älter ist als das Video selbst.
Allerdings lassen sich auch Meta-Daten manipulieren, sodass OSINT-Recherchen immer nur Hinweise geben können und mit weiteren Informationen abgeglichen werden müssen. Insbesondere die Recherche-Plattform Bellingcat hat mit verschiedenen OSINT-Recherchen in den vergangenen Jahren für Aufsehen gesorgt.
Immer wieder Desinformation
Von russischer Seite wurde in verschiedenen Konflikten mit fragwürdigen Behauptungen und irreführenden Bildern gearbeitet. So beispielsweise nach Kriegsverbrechen in Syrien, dem Abschuss des Flugs MH17 durch prorussische Separatisten, bei der Vergiftung des Ex-Spions Skripal oder beim Tiergarten-Mord.
Die NATO und westliche Politiker warnen vor Operationen "unter falscher Flagge" und fürchten, dass Russland sich selbst einen Vorwand schaffe, um in die Ukraine einmarschieren zu können. So sprach Russlands Präsident Wladimir Putin bei einer Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz erneut von einem angeblichen “Genozid” in der Ostukraine. Der russische Staatssender RT berichtet nun, die Separatisten hätten Russland wegen der Lage im Donbass um militärische Hilfe gebeten.