Mögliche Ukraine-Kooperation Wasserstoff statt Erdgas aus der Pipeline?
Die Spitzenkandidaten Scholz und Laschet setzen sich dafür ein, Wasserstoff aus der Ukraine zu importieren. Technisch wäre das möglich - jedoch nicht ohne Aufwand und ein gewisses Sicherheitsrisiko.
Die Spitzenkandidaten von SPD und Union wollen mit der Ukraine über eine Zusammenarbeit bei der Produktion von Wasserstoff sprechen. Vizekanzler Olaf Scholz sagte, ukrainische Gesprächspartner hätten hier großes Interesse signalisiert. CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet verwies darauf, dass die existierenden Pipelines in der Ukraine auch für den Transport von dort produziertem Wasserstoff nach Westen verwendet werden könnten.
Der Forscher Bastian Gillessen beschäftigt sich am Institut für techno-ökonomische Systemanalyse des Forschungszentrums Jülich auch mit der möglichen Rolle von Wasserstoff im Energiesystem - und kann den Ideen der Politiker durchaus etwas abgewinnen: "Die Ukraine verfügt über ein sehr großes Potenzial erneuerbarer Energien, sodass eine Erzeugung grünen Wasserstoffs in der Ukraine mit einem anschließenden Transport nach Deutschland Sinn machen kann", erklärte der Systemanalytiker dem ARD-faktenfinder.
Technische Herausforderungen
Einen Transport des Gases per Pipeline hält Gillessen für sinnvoll, da dies bei großen Mengen die günstigste Alternative darstelle. Herausfordernd sei jedoch die Übergangsphase, während der der Transportbedarf noch nicht so hoch sei. Liege eine mehrsträngige Pipeline vor, so könnten die Leitungen nach und nach auf Wasserstoff umgestellt werden.
Wasserstoff ist ein besonders kleines und reaktionsfreudiges Molekül, das - sofern keine spezielle Beschichtung angebracht wurde - sehr einfach in die Wände der Pipelines eindringen würde. Das würde theoretisch zu Versprödung und damit frühzeitiger Alterung der Rohre führen. Gillessen räumt entsprechend ein, dass sich eine solche Umstellung durchaus auf die Lebensdauer der bestehenden Pipelines auswirken könnte.
"Um das zu prüfen und quantitativ zu erfassen, laufen eine Vielzahl von Forschungsprojekten, sagt Gillessen. "Alle bisherigen Ergebnisse zeigten jedoch, dass diese Lebensdauerbeschränkungen für den praktischen Einsatz unkritisch sind: "Dieser Effekt ist nach aktuellem Wissensstand zu vernachlässigen."
Aussagen über internationale Pipelines schwierig
Auf deutscher Seite gäbe es daher wohl keine Probleme, meint Gillessen: "Für Leitungen mit gängigen Pipelinestählen in Deutschland ist keine technische Umrüstung bei Umstellung von Erdgas auf Wasserstoff erforderlich. Die Infrastruktur ist also für den Weitertransport von Wasserstoff geeignet." Für die internationalen Pipelines sei eine Aussage jedoch nicht so einfach. Dort müsse die Stahlqualität der verbauten Rohre ermittelt und berücksichtigt werden, so der Experte.
Auf jeden Fall müssten die Systemkomponenten über der Erde, wie zum Beispiel Verdichterstationen, für den Wasserstofftransport ausgetauscht werden, sagt Gillessen. "Das Investment ist jedoch im Vergleich zur Neuverlegung von Pipelines unter der Erde überschaubar." Für die chemische Industrie und Großverbraucher in Deutschland seien bereits seit mehreren Jahrzehnten zwei Wasserstoffnetze ohne Störfälle im Betrieb. Besondere Sicherheitsrisiken seien daher nicht zu erwarten.
Ursprünglich vorhandene Stadtnetze abgebaut
Was wohl die wenigsten wissen: In vielen Städten gab es bereits Leitungssysteme, die zumindest zu einem gewissen Grad zum Wasserstofftransport geeignet waren. Das früher für Beleuchtung, Herde und Heizzwecke genutzte Stadtgas bestand zu mehr als 50 Prozent aus Wasserstoff. Stadtgas, auch Leucht- oder Kohlegas genannt, wurde durch Kohlevergasung produziert und hat zahlreiche Nachteile, weshalb es weltweit fast überall durch Erdgas ersetzt wurde.
Durch die Umstellung der Anlagen und Endgeräte sind die aktuell vorhandenen Stadtnetze nicht mehr für Gasgemische mit höherem Wasserstoffanteil geeignet. Derzeit wird erforscht, in welchem Umfang Wasserstoffeinspeisung im Erdgasnetz möglich ist.