Interview

Interview mit afghanischem Ex-Minister Abdullah "Die Taliban unterscheiden nicht" (16.01.2008)

Stand: 16.01.2008 16:55 Uhr

Der frühere afghanische Außenminister Abdullah Abdullah glaubt nicht, dass deutsche Soldaten stärker zum Ziel von Angriffen werden, wenn erstmals Kampftruppen nach Afghanistan geschickt werden. Für Taliban mache die Art des Einsatzes keinen Unterschied aus, sagt er im Interview mit tagesschau.de. Verhandlungen mit Ex-Taliban sind für ihn kein Tabu - diese müssten allerdings die Afghanen selbst führen, nicht ausländische Diplomaten, sagt Abdullah.

tagesschau.de: Ab Sommer werden im Rahmen des Isaf-Einsatz wahrscheinlich erstmals deutsche Kampftruppen in Nordafghanistan eingesetzt. Warum ist das notwendig?

Abdullah: Der Norden ist zwar keine Kampfzone und wird es hoffentlich auch in Zukunft nicht sein. Aber wenn die dort stationierten norwegischen Truppen abziehen, hinterlasssen sie eine Lücke, die gefüllt werden muss, um die Sicherheit zu gewährleisten.

tagesschau.de: Werden dann deutsche Soldaten stärker als bisher zum Ziel von Anschlägen und Angriffen?

Abdullah: Die Taliban machen keinen Unterschied, ob ausländische Truppen nur mit dem Wiederaufbau beschäftigt sind oder ob es sich um Kampftruppen handelt. Für sie sind alles Feinde.

tagesschau.de: Seit mehr als zwei Jahren will die Nato neben dem militärischen Vorgehen gegen die Taliban "die Herzen und Köpfe" der afghanischen Bevölkerung gewinnen. Wie erfolgreich war sie dabei?


Abdullah: So etwas ist natürlich nicht mit einem Mal getan, sondern muss Teil einer langfristigen Strategie sein. Ich denke, dass die Stimmung gegenüber der Nato und der Operation Enduring Freedom (OEF) heute besser ist als in der Vergangenheit, da mehr darauf geachtet wird, zivile Opfer zu vermeiden. Außerdem legen Nato und OEF seitdem mehr Wert darauf, die Lebensbedingungen der Einwohner zu verbessern, wenn sie eine Region von den Taliban befreit haben. In der Vergangenheit wurden teilweise Leute aus umkämpften Gebieten umgesiedelt – so konnte man nicht die Herzen und Köpfe gewinnen. Das ist jetzt besser geworden und wird Wirkung zeigen. Die Mehrheit der Leute weiß, dass die internationalen Truppen notwendig sind. Wir müssen allerdings mittelfristig weitere Fortschritte sehen, damit dies weiter akzeptiert wird.

Zur Person

Abdullah Abdullah, geboren 1961, ist tadschikisch-paschtunischer Herkunft und gelernter Augenarzt. Bei der zunächst gegen die sowjetischen Besatzer und später gegen die Taliban kämpfenden Nordallianz war er für die außenpolitischen Beziehungen zuständig. Nach dem Sturz der Taliban war Abdullah 2001 bis 2006 afghanischer Außenminister. Derzeit ist er Generalsekretär der nach dem ermordeten Anführer der Nordallianz, Achmed Schah Massud, benannten Stiftung.

tagesschau.de: Sie glauben also nicht, dass die zivilen Opfer die Stimmung zugunsten der Taliban gestärkt haben?

Abdullah: Wenn es zivile Opfer bei den Militäroperationen gibt, rege ich mich auf, dann regt sich Präsident Hamid Karsai auf, ist jeder wütend. Aber wenn man einfach die Taliban unschuldige Zivilisten töten lassen würde, wäre das nicht besser.

Wir vermitteln den Eindruck von Schwäche

tagesschau.de: Verhandlungen mit den Taliban – ja oder nein? Einerseits hat Präsident Karsai einen früheren Taliban zum Gouverneur von Musa Kala ernannt, andererseits hat seine Regierung Diplomaten von EU und UN ausgewiesen, weil diese Gespräche mit Taliban geführt hatten. Was muss die afghanische Regierung nun Ihrer Meinung nach tun?

Abdullah: In der Tat sind hier verwirrende Botschaften ausgesandt worden. Das ist ärgerlich, es vermittelt den Eindruck von Schwäche. Wir müssen einen gemeinsamen Standpunkt entwickeln. Die Taliban dürfen nicht zurückkehren, darüber ist sich die Mehrheit der Menschen in Afghanistan einig. Aber wenn jemand die Waffen niederlegt, die Verfassung akzeptiert und friedlich mit anderen zusammenleben will, sollten wir das begrüßen. Wenn wir von den Taliban reden, dann fallen ja eine Menge unterschiedliche Leute darunter: Viele sind gezwungen worden, für die Taliban zu kämpfen, andere haben sich ihnen angeschlossen, da sie wegen ganz anderer Dinge unzufrieden waren. Mit denen, die den Staat stürzen wollen, reden wir natürlich nicht. Bei ihnen handelt es sich ja nicht um eine Opposition, mit der man Gespräche führen kann – das sind Terroristen. Aber sonst muss es Raum für Gespräche geben. Aber das ist die Aufgabe der afghanischen Regierung. Unsere Freunde sollten hier nicht die Initiative ergreifen, auch wenn sie gute Absichten hegen.

Das Interview führte Fiete Stegers, tagesschau.de