Islamwissenschaftlerin kritisiert AfD "Gefährliches Spiel mit dem Feuer"
Erst Anti-Euro, jetzt Anti-Islam: Führende Vertreter der AfD halten den Islam für eine "politische Ideologie, die mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist". Islamwissenschaftlerin Irene Schneider erklärt im Interview mit tagesschau.de, warum sie das für ebenso falsch wie verheerend hält.
tagesschau.de: Die AfD bezeichnet den Islam als politische Ideologie und nicht als Religion. Welches Bild des Islams wird dadurch vermittelt?
Irene Schneider: Meiner Einschätzung nach ein völlig falsches. Denn schon der Begriff "DER Islam" sollte nicht undifferenziert verwendet werden. "DEN Islam" gibt es nämlich nicht. Allein hier in Deutschland leben viele unterschiedlich ausgerichtete Muslime, die aus unterschiedlichen ethnischen und regionalen Kontexten kommen. Die sehr große und überwiegende Mehrheit dieser Bürger verhält sich völlig gesetzeskonform. Ihnen steht selbstverständlich das Recht auf Religionsausübung nach dem Grundgesetz zu.
Dass es einen radikalen Islam gibt, wie es im Übrigen radikale Tendenzen in allen Weltreligionen gibt, soll nicht bestritten werden. Aber ich halte es für absolut gefährlich, diese radikalen Tendenzen zu verallgemeinern. Im Umkehrschluss bedeutet das nämlich, den Terroristen des "Islamischen Staats" in die Hände zu spielen, die ihrerseits Aspekte der islamischen Religion ideologisch missbrauchen. Mit diesem Vorgehen des IS sind die wenigsten Muslime einverstanden.
tagesschau.de: Inwieweit greift die AfD damit Ressentiments in der Bevölkerung auf?
Schneider: Die AfD agitiert. Sie versucht, den Islam einzig in seiner radikalen Form zu beschreiben und ihn darauf zu reduzieren. Das halte ich mindestens für eine Provokation, aber auch für ein gefährliches Spiel mit dem Feuer.
Die AfD benutzt die irrationalen Ängste der Menschen und verhindert eine sachliche Diskussion. Damit aber werden diese irrationalen Ängste erst recht geschürt, zumal sich die öffentlichen Diskussionen in den vergangenen Jahren, auch beeinflusst durch die 9/11-Anschläge, sehr stark auf die religiöse Komponente konzentriert.
Menschen werden vor allem in Hinblick auf ihre Religionszugehörigkeit beschrieben. In den 1960-er Jahren hat man die damaligen Arbeitsmigranten nach ihren Herkunftsländern, also unter dem Gesichtspunkt ihrer Nationalität, wahrgenommen. Der Diskurs hat sich hier stark verändert.
Vollverschleierung kein Thema in Deutschland
tagesschau.de: Die AfD will die Vollverschleierung in der Öffentlichkeit und das Tragen von Kopftüchern im öffentlichen Dienst verbieten. Inwieweit würde ein solches Verbot den Alltag in Deutschland verändern?
Schneider: Vollverschleierte Frauen gibt es in Deutschland so gut wie gar nicht. Das Tragen von Kopftüchern als Lehrerin in den Bundesländern wird meistens abgelehnt. Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings 2015 entschieden, dass ein pauschales Verbot nicht mit der Glaubensfreiheit vereinbar ist.
Ich wünsche mir auch in dieser Frage eine differenzierte Betrachtung. Denn das Kopftuch ist keineswegs immer ein Zeichen der Unterdrückung. Einige Frauen tragen das Kopftuch womöglich mehr aus traditionellen Gründen, andere setzen ein bewusstes Zeichen als persönliches religiöses Symbol.
tagesschau.de: Der Zentralrat der Muslime wehrt sich, indem er die AfD mit Hitlers NSDAP vergleicht. Ist ein solcher Vergleich hilfreich?
Schneider: Ich halte es für dringend notwendig, dass eine sprachliche Versachlichung stattfindet. Wohin soll es führen, wenn gesagt wird, "DER Islam" gehöre nicht zu Deutschland? Der Islam ist da, und die Muslime sind Bürger dieses Landes, in ihrer überwältigenden Mehrheit, um es noch einmal zu sagen, als gesetzestreue Bürger. Dieser Satz sollte aus der Diskussion verschwinden.
Ich bin keine Juristin, aber die Formulierung "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" ist rechtlich mindestens zweifelhaft. Religiöses Bekenntnis und religiöse Ausübung sind nach dem Grundgesetz besonders geschützt, und das gilt nicht nur fürs Christentum. Wer Minarett und Muezzin verbieten will, sieht sich zu Recht dem Vorwurf ausgesetzt, er schränke die Religionsfreiheit ein. Das wiederum trägt keinesfalls zur Deeskalation bei.
Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de