Stimmung in der AfD "Viele waren Widerspruch nicht mehr gewohnt"
Ein enthülltes Geheimtreffen und Großdemonstrationen gegen rechts: Nach außen reagierte die AfD erst betont gelassen und ging dann zum Angriff über. Aber wie sieht es im Inneren der Partei aus?
Das Bild zeigt den FDJ-Fackelzug zum 40. Jahrestag der DDR in Berlin. Im Social-Media-Post steht darüber unter anderem: "Als Mitläufer ist auf den Deutschen Verlass. In der Sache ist er flexibel." Geschrieben hat das ein Mitarbeiter der AfD-Bundestagsfraktion am Sonntag, als rund 100.000 Menschen in Berlin gegen Rechtsextremismus vor dem Bundestag demonstriert haben. Bis zu einer Million sollen es in ganz Deutschland in den vergangenen Tagen insgesamt gewesen sein.
AfD-Abgeordnete wie der stellvertretende Bundesvorsitzende Stephan Brandner teilen das Bild fleißig. "November 1989. Januar 2024", schreibt sein Fraktionskollege Jürgen Pohl bei Facebook dazu - was schon daher schräg liegt, da der Fackelzug am 6. Oktober 1989 stattfand.
Nach außen hin Gegenangriff
Der Ton ist gesetzt und er wird rauer. Noch vergangene Woche hatte Alice Weidel gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio erst einmal betont gelassen auf die Demonstrationen reagiert. "Wenn die Leute meinen, gegen die AfD demonstrieren zu müssen, dann ist das ihr gutes Recht", hatte sie gesagt.
Mittlerweile postet die Partei selbst bei Facebook, die Recherchen von Correctiv über das Treffen radikal rechter Kreise und die darauf folgenden Massendemonstrationen seien nur eine Kampagne gegen die AfD, um von den Bürgerprotesten gegen die Regierung abzulenken - alles "ein durchschaubarer Taschenspielertrick": "Man konstruiert einen Skandal und mobilisiert eigene Kostgänger, die dann als Mitte der Gesellschaft auftreten."
Nach außen hin geht die Partei also zum Gegenangriff über. Aber was denken die AfD-Funktionäre, Fraktionsmitarbeiter, Landtagsabgeordnete, die Basis über die aktuellen Entwicklungen, wenn die Kameras aus sind?
"Da braucht sich dann niemand hinterher zu beschweren"
Für die AfD ist 2024 ein besonderes Jahr: Es stehen Wahlen in drei ostdeutschen Bundesländern an, dazu die Europawahl, und das zu einem Zeitpunkt, an dem die Partei in den Umfragen ihre höchsten Werte erreicht. Ausgerechnet da erscheint die Recherche, die offen legt, mit welchen radikalen Vertreibungsideen sich AfD-Funktionsträger anfreunden können. Dass in ihren Augen die Geschichte völlig, "aufgebauscht", "aufgeblasen" oder auch "maßlos überzogen ist", darin sind sich alle AfD-Mitglieder einig, die sich bereit erklären, im Hintergrund zu sprechen - also wenn sie nicht namentlich genannt werden.
Ein interessanter Unterschied jedoch kristallisiert sich heraus: Diejenigen, die eher aus den extremeren Landesverbänden der AfD stammen, verstehen, warum ein Treffen problematisch ist, an dem der frühere Chef der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, für seine Thesen wirbt. "Solche Treffen mit solchen Personen macht man nicht in der aktuellen Situation - da braucht sich dann niemand hinterher zu beschweren, wenn es schlechte Presse gibt", sagt ein Abgeordneter aus Thüringen.
Sellner soll auch darüber gesprochen haben, wie man "nicht assimilierte" deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund aus Deutschland verdrängen könnte. Inhaltlich sei das "typischer identitärer Mist, der aus dem Mitarbeiter-Umfeld so bekannt ist", sagt einer, der selbst für einen AfD-Bundestagsabgeordneten arbeitet. Das traue er dem einen oder anderen, der in der Recherche genannt werde, auch genau so zu. Er wundert sich, dass sich die AfD darüber beschwere, dass diese Geschichte "aufgeblasen werde": "Selbst wenn, das machen wir doch genauso", sagt er.
"Alles eine orchestrierte Aktion"
Ganz anders klingen Abgeordnete aus Westverbänden, die in der AfD noch zu den gemäßigteren gezählt werden, die dem ehemaligen Parteichef Jörg Meuthen nahe standen. "Das ist alles eine orchestrierte Aktion, um die Bürger hysterisch zu machen", sagt einer aus dem Südwesten. Er habe nie gedacht, dass so eine bizarre Art der Verleumdung in Deutschland möglich sei.
Ein anderer aus Hessen legt noch einen drauf: Er sei ja immer fern von Verschwörungstheorien gewesen, aber Correctiv bezeichnet er als "vom Steuerzahler finanziertes AfD-Zerstörungsmedium". Es sei Wahnsinn. Wenn Deutschland das nicht verstehe, fahre es gegen die Wand. Dass das Recherchenetzwerk Correctiv für investigative Recherchen oder redaktionelle Arbeit keine staatliche Förderung annimmt, wie es selbst erklärt, glaubt er nicht. Trotz der zunehmenden Distanz zur Parteiführung in diesen AfD-Kreisen wird deutlich, wie sehr sich viele Mitglieder in ihrer AfD-Wagenburg verschanzt haben - gerade dann, wenn der Druck von außen größer wird.
Doch sie bekommen Erklärungsprobleme, wenn es um die Personalie Roland Hartwig geht. Der persönliche Referent von Co-Parteichefin Weidel war bei dem Treffen in Potsdam dabei. Wenige Tage nach Veröffentlichung der Recherchen war er seinen Job los. "Der Zeitpunkt war strategisch unklug", sagt einer aus dem Umfeld des AfD-Landesvorstandes NRW. Klar habe sich Weidel schützen müssen, "wer weiß, was da noch veröffentlicht worden wäre" - aber es sähe eben doch wie ein Schuldeingeständnis aus. In der Bundestagsfraktion habe sie den Schritt nicht erklärt, heißt es dort. "Ich sehe wie viele meiner Kollegen keinen Grund, Hartwig zu entlassen", meint einer. Doch das große Kopfschütteln in ihrer Fraktion schadet Weidel nicht.
Weidel in der "Pole Position"
Schon lange beschweren sich viele Abgeordnete, ihre Fraktionschefin nehme sie zu wenig mit, arbeite zu wenig und wenn, mache sie nur, was sie wolle. "Die meisten wussten sogar gar nicht, dass Hartwig Weidels Referent ist", meint ein Mitarbeiter eines AfD-Bundestagsabgeordneten. Sie könne die Funktionärsebene ohnehin behandeln, wie sie wolle - ihnen auch eine Erklärung in der Causa Hartwig schuldig bleiben. Es reiche für Weidel, dass die Basis durchdrehe, wenn sie zum Neujahrsempfang komme.
Auch über einen angeblichen "Dexit-Ablenkungsballon" von Weidel rollen einige die Augen. In einem Interview mit der "Financial Times" hatte sie für viele überraschend dieser Tage laut über ein EU-Austritts-Referendum in Deutschland nachgedacht. Keiner dieser "strategischen Fehler", wie die AfD-Funktionäre sie bezeichnen, habe Weidel aber nachhaltig geschadet. "Eines wird gerade sehr deutlich", meint der Abgeordnete aus Thüringen: "In Sachen Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl, um die intern schon gerungen wird, ist sie sowas von klar in der Pole Position."
Kantige Sprüche zu den Demonstrationen
Angesprochen auf die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus in ganz Deutschland reagieren viele zuerst mit ähnlich kantigen Sprüchen, wie den FDJ-Fackelzug-Vergleich aus den sozialen Netzwerken. "Das sind für mich die Wähler der Ampel, dazu Beamte und NGO-Mitarbeiter, die ihre Felle davonschwimmen sehen", meint der einflussreiche AfDler aus NRW und fügt einen weiteren absurden historischen Vergleich hinzu: "Die haben Angst vor den Zuständen von 1933 und merken gar nicht, dass sie selbst exemplarisch für 1933 stehen."
Andere sprechen differenzierter: Wenn so viele Menschen auf die Straße gehen, mache das schon Eindruck, sagt ein Landtagsabgeordneter aus dem Osten. "Wir sollten vielleicht überdenken, wie wir an die Öffentlichkeit gehen", meint er. Denn die AfD könne ja am Ende keine Regierung führen, "wenn so viele Menschen Angst vor uns haben".
"Viele hatten durch die Umfragen Oberwasser"
Auch andere bestätigten, dass der Schaden und die Verunsicherung durch den gesellschaftlichen Gegenwind in der Partei größer seien, als es viele nach außen hin zugeben würden. "Viele waren Widerspruch nicht mehr gewohnt, hatten durch die Umfragen Oberwasser", sagt ein AfD-Mitarbeiter aus dem Bundestag. Zudem hätten viele durch die Bauernproteste ihre Positionen gestärkt gesehen und die Hoffnung, endlich die lang ersehnte Normalisierung der AfD erreicht zu haben.
Trotzdem scheint die Stimmung vor allem in den Ostverbänden vor dem Wahljahr ungetrübt zu bleiben. "Bald gehen die, die es sich noch leisten können Skifahren, andere feiern Karneval - dann ist mit der Geschichte auch gut", meint ein AfD-Kommunalpolitiker aus Mecklenburg-Vorpommern. Dann nämlich stünden schon im Juni die Kommunalwahlen in fast allen ostdeutschen Bundesländern an, die wegen der Landtags- und Europawahlen auch in der AfD viele gar nicht so sehr auf dem Schirm hätten. "Die werden der Hammer", ist er sich sicher.